Cormac McCarthy – Die Straße

Cormac-McCarthy-Die-Straße

Cormac McCarthys 2006 erschienener Roman Die Straße gilt als DIE Postapokalypse schlechthin. In einer Atmosphäre der Angst und Hoffnungslosigkeit kämpfen ein Vater und sein kleiner Sohn um das nackte Überleben.

Geht’s dir gut?, fragte er. Der Junge nickte. Dann marschierten sie im stahlgrauen Licht die Asphaltstraße entlang, schlurften durch die Asche, jeder die ganze Welt des anderen.

Ein Vater und sein kleiner Sohn streifen durch Amerika, immer an der Straße entlang, Richtung Süden. Dabei haben sie einen Einkaufswagen, die Kleider, die sie am Leib tragen, ein wenig zu Essen und einen Revolver mit zwei Schuss Munition. Sie versuchen andere Menschen zu finden, die überlebt haben und noch nicht dem Menschsein abgeschworen haben. Doch auf der Suche nach Nahrungsmitteln und Unterschlüpfen in diesem bitterkalten Winter müssen sie sich ständig neuen Gefahren stellen.

Cormac McCarthys kurzer aber nichtsdestotrotz wahnsinnig intensiver Roman Die Straße ist vermutlich eines der deprimierendsten Bücher, die sich in der Buchhandlung finden lassen. Die Grundstimmung ist sehr düster, alles ist verbrannt, überall liegt Asche verstreut oder wird herumgewirbelt. Das Leben von Vater und Sohn ist hart, und trotz positiver Momente, wie dem Finden von Nahrung oder Unterschlupf, ist einfach kein dauerhafter Lichtblick in Sicht. Stellenweise herrscht eine physische Brutalität, wie man sie aus Postapokalypsen kennt: es geht ums Überleben, jeder denkt zuerst an sich selbst, die Menschlichkeit wird über Bord geworfen. Was jedoch viel nervenzehrender ist, ist die außerhalb der Geschichte liegende emotionale Brutalität, die das Weiterlesen erschwert.

Obwohl der Leser weder die Hintergründe der Katastrophe, noch etwas über die Protagonisten erfährt – weder Namen, noch Alter, noch irgendetwas aus ihrer Vergangenheit –, reichen die kargen Dialoge und Handlungsbeschreibungen vollkommen aus, um Vater und Sohn zu charakterisieren und als handelnde Personen sowohl greifbar als auch authentisch rüberzubringen. Sie sprechen nicht viel, sie tun nicht viel, außer versuchen zu überleben, aber dennoch geht einem ihr Schicksal extrem nah.

Du meinst, du wünscht dir, du wärst tot.
Ja.
Das darfst du nicht sagen.
Aber es ist so.
Sag das nicht. So etwas Schlimmes sagt man nicht.
Ich kann nicht anders.
Ich weiß. Aber du musst.
Und wie soll das gehen?
Ich weiß nicht.

Hoffnungslosigkeit trieft aus allen Zeilen, lauert hinter jeder umgeblätterten Seite und lässt einen auch Stunden nach der Lektüre noch nicht aus seinen dunklen Klauen entkommen. Kaum Menschen scheinen das namenlose Unglück überlebt zu haben, und wenn doch, sind sie gefährlich, plündern, morden, verfallen dem Kannibalismus. Doch der Vater und sein Sohn wollen es anders machen. Sie versuchen, niemanden zu töten, es sei denn, ihr eigenes Leben ist in Gefahr. Sie rauben in der Regel niemanden aus und würden erst recht keinen anderen Menschen umbringen, um ihn dann zu essen.

Du wolltest wissen, wie die Bösen aussehen. Jetzt weißt du es. Vielleicht passiert das wieder. Meine Aufgabe ist es, auf dich aufzupassen. Damit hat mich Gott beauftragt. Ich bringe jeden um, der dich anfasst. Verstehst du?

„Das Feuer bewahren“, nennt der Vater diese Aufgabe. Das Feuer der Zivilisation, das Feuer der Menschlichkeit, des Menschseins, die Quintessenz dessen, was uns ausmacht und was auf gar keinen Fall verloren gehen darf. Während es dem Mann leicht fällt, das Feuer zu bewahren, wenn es um sein eigenes Überleben geht, ist es sichtlich schwerer für ihn, sobald sein Kind in Gefahr ist. Es ist eine sehr stille, unterschwellige Form der Liebe, die sich eher in seinen Taten als in Worten ausdrückt. Er würde alles für seinen Jungen tun. Wirklich alles.

Im starken Kontrast dazu steht der Junge selbst, eine Art Christusfigur, derjenige, der das Feuer dank seines reinen Herzens tatsächlich bewahren kann. Ein Kind, vielleicht fünf, sechs oder sieben Jahre alt, das in jedem Menschen das Gute sehen möchte, das sich um andere sorgt und stets helfen will. Es bereitet einem fast physische Schmerzen zu lesen, wie weit der Vater für seinen Sohn gehen würde und wie sehr er ihn liebt. Gerade die Momente, in denen der Vater seinen Sohn belügt, ihm versucht Hoffnung zu geben, doch der kleine Junge ihn durchschaut, brechen einem beinahe das Herz. Vater und Sohn porträtieren somit zwei Arten der Liebe, die kaum unterschiedlicher sein könnten: der Vater die Liebe, aus der Gewalt wachsen kann, und der Junge die vollkommene Liebe eines Menschen, der der Inbegriff des absolut Guten ist.

Vielleicht begriff er zum ersten Mal, dass er für diesen selbst ein außerirdisches Wesen war. Ein Geschöpf von einem Planeten, den es nicht mehr gab. Dessen Schilderungen suspekt waren. Er konnte diese Welt, die er verloren hatte, nicht zum Vergnügen des Kindes wiedererstehen lassen, ohne auch den Verlust wiedererstehen zu lassen, und vielleicht, dachte er, hatte das Kind das besser verstanden als er.

Der postapokalyptische Roman überzeugt nicht nur mit einer stimmungsvollen Atmosphäre, sondern auch mit sprachlicher Finesse – was vermutlich erst einmal überraschend scheint, wenn man das Genre bedenkt. McCarthys Sprache ist in den Dialogen schlicht und spiegelt dort die Aussichtslosigkeit der Situation, gleichzeitig aber auch eine gewisse Abgeklärtheit der Charaktere wieder. Es gibt nicht viel, über das sie reden können, außer dem was ist, was sie sehen und dem, was morgen vielleicht sein könnte. In den Landschaftsbeschreibungen jedoch blüht die Sprache auf und wird dicht. Sie ist detailreich, bildhaft und der bedrückenden wie desolaten Stimmung entsprechend finster.

Im grauen Licht ging er hinaus, blieb stehen und erkannte einen Moment lang die absolute Wahrheit der Welt. Das kalte, unerbittliche Kreisen der hinterlassenschaftslosen Erde. Erbarmungslose Dunkelheit. Die blinden Hunde der Sonne in ihrem Lauf. Das alles vernichtende schwarze Vakuum des Universums. Und irgendwo zwei gehetzte Tiere, die zitterten wie Füchse in ihrem Bau. Geliehene Zeit, geliehene Welt und geliehene Augen, um sie zu betrauern.

Cormac McCarthy hat mit seinem postapokalyptischen Roman Die Straße ein Buch geschaffen, das viele nach ihm inspirieren sollte. Es wurde 2007 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, was angesichts der exquisiten Sprache, der gelungenen Charakterdarstellung sowie der eindringlichen, dunklen und trostlosen Atmosphäre nicht verwunderlich ist. Es ist ein 250 Seiten kurzes Meisterwerk. Die Straße wurde 2009 auch verfilmt, mit Viggo Mortensen und Charlize Theron in den Rollen des Vaters und der Mutter.

7 Kommentare

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  1. Der Bücherwurm

    Moin nochmal.

    Ja, eure Rezension bringts auf den Punkt. Mir ist das lesen des öfteren sehr schwer gefallen, weil mir die bedrückende Stimmung und die Geschehnisse, die beide durchlebten sehr sehr nah gegangen ist; teilweise schon zu nah, dann musste ich das Buch zur Seite legen um den Brocken erst einmal zu verdauen und um das Gelesene wirken zu lassen. Ja; ein Roman, der Bewegt, der ganz sicher keine GuteLauneGeschichte ist, sondern eine, die zum Grübeln animiert. Was heist es Mensch oder Menschlich zu sein? Was ist jetzt Gut oder Böse? Und was würde ich tun, wenn ich der Vater des Jungen wäre? Fragen über Fragen über die man sich nach der Lektüre stellt.
    Keine leichte Kost – aber Definitiv eine die sich lohnt.

    Bin mal gespannt, wann ich das Buch „Verlorene“ von ihm lesen darf. Wird bestimmt wieder nicht einfach – aber das Kopfkino und die Gedankenkreise müssen weiter aktiviert bleiben.

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