Cormac McCarthy – Die Abendröte im Westen

Cormac McCarthy Die Abendröte im Westen Rezension

Die Eroberung des amerikanischen Westens als blutige Passion

Die Handlung beginnt im Jahr 1849, ein namenloser Junge verlässt das verwahrloste Elternhaus in Tennessee. Er flieht in Richtung Westen, wo er sich einer Gruppe, bestehend aus ehemaligen Soldaten und Desperados, anschließt. Verfolgt von Hunger, Durst und Indianern ziehen sie nach Mexiko. Im Auftrag von Gouverneuren machen sie Jagd auf Indianer-Skalpe und sind eine Gefahr für jeden, der ihnen im Weg steht.

Als Leser könnte „Die Abendröte im Westen“ von Cormac McCarthy oberflächlich betrachtet durchaus als Zumutung wahrgenommen werden. Ein Großteil des Geschehens besteht aus sinnlosen Massakern, Habgier und extremer Gewalt. Auch vor Schilderungen davon, was mit den bereits Erschlagenen geschieht, macht der Roman keinen Halt. Der Mythos von „spannenden Abenteuern“ und „kultureller“ Erschließung des wilden Westens wird hier gnadenlos entzaubert. Was bleibt ist Blut, Staub, Gier und Tod. Der namenlose Junge (am Ende einfach nur „der Mann“) befindet sich in der Gruppe von Freischärlern, die Jagd auf Skalpe machen, dabei aber ohne Rücksicht die mexikanische Bevölkerung tyrannisieren und sich bereichern. Angeführt wird die Gruppe vom skrupellosen Glanton und einem Mann namens Holden, den alle nur den „Richter“ nennen, welcher von großer Körperstatur ist und vor allem ohne jegliche Körperbehaarung. Holden ist der einzige in der Gruppe, der über Bildung verfügt, abends macht er sich Notizen und Zeichnungen oder hält Vorträge über die Welt, in denen er das Böse als Teil der Weltschöpfung darstellt und den Krieg glorifiziert.

Und genau das ist das Wesen des Krieges, bei dem es zugleich um Spiel, Macht und Rechtfertigung geht. So gesehen ist Krieg die natürlichste Form der Auslese. Der Krieg stellt der Macht des einen die Macht des anderen gegenüber, gelenkt von einer höheren Macht, die die beiden vereint und daher genötigt ist, eine Auswahl zu treffen. Krieg ist das höchste Spiel, denn Krieg stiftet letztendlich die Einheit des Lebens. Krieg ist Gott.

Der Junge ist der einzige in der Gruppe, der zumindest einen Unterschied zwischen Gut und Böse und richtig und falsch erahnen kann. Der Richter wird als Teufel zu seiner Gegenfigur. Im Gegensatz zu dem einsilbigen Jungen hält er lange Ansprachen und verfügt über Bildung und Wissen. Zum Glück vermeidet es McCarthy, einen der Freischärler als Sympathiefigur aufzubauen und in irgendeiner Weise die Gruppe als Abenteurer oder harte Kerle darzustellen. So gibt es vielleicht zum Glück auch keine Personen mit denen sich der Leser identifizieren kann.

Neben den Gewaltdarstellungen schafft der Autor wunderschöne Landschaftsbeschreibungen, die eigentlich für sich genommen eine Lektüre schon rechtfertigen. Immer wieder findet er eindrückliche Bilder und Kulissen, welche die Menschen dagegen wie Puppen erscheinen lassen. Während die Menschen morden und zerstören, steht die Landschaft unverrückbar und unveränderlich da, wie aus einer anderen Zeit.

Die ganze Nacht lang zuckten Flächenblitze im Westen ursprungslos hinter mitternächtlichen Sturmwolken, machten aus der weiten Ödnis einen bläulichen Tag, die Berge am jäh aufscheinenden Horizont starr, bleiern und schwarz, als gebe es da draußen ein fremdartiges Land, dessen wahre geologische Beschaffenheit nicht Stein, sondern Angst war.

Typisch für McCarthy ist die Sprache voller biblischer Anspielungen und Bezüge. Schon der erste Satz lautet: „Seht das Kind“, was wohl nicht von ungefähr an die Passionsgeschichte erinnert.

Die Gewalt, die McCarthy hier so ausufernd schildert, ist gepaart mit Schönheit. Die Stärke des Romans liegt aber vor allem darin, dass er keine Begründung für sie liefert und so legitimiert, wie etwa durch soziale oder moralische Rechtfertigungen. Viel mehr versucht er Gewalt zu zeigen, ungerechtfertigt und grundlos, um ihrem Wesen so am nächsten zu kommen. Gewalt ist hier immer grundlos.

5sterne

6 Kommentare

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  1. Wissenstagebuch

    Auch dieser McCarthy hört sich interessant und nach deiner Beschreibung auch verstörend an. Ich habe vor ein paar Wochen die Verfilmung von „Die Straße/The Road“ gesehen und musste immer wieder schlucken. Der Autor scheint mir immer interessanter zu werden, ich frage mich, was ihn antreibt, immer wieder bei den Themen Gewalt/Einsamkeit/Hoffnungslosigkeit zu bleiben. „Die Abendröte im Westen“ ist ein genial gewählter Titel für den Inhalt, den du beschreibst: Wunderschön und dabei rot wie Blut. Danke für den Tipp, dieses Buch wandert auf die McCarthy-Liste. Viele Grüße!

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    • letusreadsomebooks

      „Die Straße“ habe ich nis jetzt nur gelesen und wie du schon sagst, ist es der Roman ebenso verstörend. Gleichzeitig finde ich die beide Bücher großartig. Ich hatte zusätzlich mal einen anderen Roman von McCarthy mit dem Titel „Verlorene“ angefangen und dann aber abgebrochen. Das Geschilderte war so hoffnungslos, dass ich es wirklich unerträglich fand, es zu lesen, was letztlich wieder für den Roman spricht.
      Liebe Grüße!

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  2. literaturreich

    Tolles Plädoyer für dieses Buch. Ich glaube, für mich aber eher nichts. Ich bin zwar nicht wirklich zimperlich, aber so eine reine Schilderung von Gewalt kann ich schwer ertragen. Habe mich deshalb trotz der herausragenden Qualität noch nicht an „Die Straße“ herangewagt. Viele Grüße, Petra

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  3. Timo

    Hallo, bin zufällig auf diesen Eintrag gestoßen. Dieses Buch habe ich vor einigen Tagen regelrecht verschlungen und wollte mal meine Meinung dazu äußern. Die Atmosphäre, die hier mit bloßen Worten aufgebaut wird, ist einfach grandios. Die Landschaften werden poetisch beschrieben und selbst ich, als Person die es sich oft schwertut, sich gedachtes bildlich vorzustellen, hatte hier keine Probleme, nein, ich empfand es sogar als angenehm. Vielleicht lag es an den heißen Sommertagen, aber hier kommt beim Lesen eine bedrückende Stimmung auf, man wird regelrecht mit auf eine Reise in düstere Zeiten mitgenommen, hier werden jegliche Hollywood Klischees über den Wilden Westen gnadenlos in ihre Einzelteile zerlegt und auf obszönste Art und Weise wieder zusammengeflickt. Absolut geniales Buch.

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  4. Der Bücherwurm

    Hallo.
    Ich habe das Buch „Die Straße“ gelesen und musste eine ums andere mal schlucken und das Buch weglegen, was ich eigentlich selten mache. Mir ging die Geschichte sehr nah und hat Gedanken in den Kopf gepflanzt, die erst mal verdaut werden mussten.

    „Die Abendröte im Westen“ ist nun mein zweites, welches ich noch nicht ganz gelesen habe. Ja, wer dieses Buch gelesen hat, erkennt sehr schnell, dass es die „Karl May Westernromantik“ nie gegeben hat – das Gegenteil war der Fall. Stellenweise fand ich das Buch bis jetzt recht dröge und monoton (irgendwie, wie nach Krieg und Frieden von Tolstoi“. Die Gewaltdarstellung finde ich nicht übertrieben, eher genau auf den Punkt gebracht, aber das verträgt wohl nicht jeder.

    Ich muss sagen, der Autor ist sehr gut und hat ambitionen dazu, einer meiner liebsten Schreiberlinge zu werden – keiner schreibt so kompromisslos und wahr, und aus jedem Buch nimmt man anscheinend ein paar Denkanregungen mit, das ist anscheinen auch gewollt. Prima, kann ich nur empfehlen.

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