Sally Rooney – Normale Menschen

Sally Rooney Normale Menschen RezensionSally Rooneys neuster Roman Normale Menschen liest sich wie eine optimierte Version ihres Erstlings – und überzeugt auf ganzer Länge.

[Werbung: Kooperation mit dem Luchterhand Verlag]

Marianne und Connell leben in einer Kleinstadt in der Nähe von Sligo an der irischen Westküste. Sie gehen in eine Klasse, doch haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Mariannes Eltern sind wohlhabend und sie ist eine völlige Außenseiterin, Connell ist beliebt und sportlich – und seine Mutter putzt für Mariannes Familie. Obwohl sie sich in der Schule meiden, nähern sich die beiden in Mariannes Haus an, bis es zu einer geheimen Affäre kommt. Über mehrere Jahre hinweg sind Marianne und Connell zusammen, wieder getrennt, schlafen miteinander und versuchen, ihre Freundschaft aufrecht zu erhalten. Während sie langsam erwachsen werden und versuchen, sich selbst zu finden, umkreisen sie sich ständig und verletzen sich gegenseitig, obwohl sie die ganze Welt des jeweils anderen sind.

Ich weiß nicht, was mit mir nicht stimmt, sagt Marianne. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach wie ein normaler Mensch sein kann. […] Ich weiß nicht, warum ich andere Leute nicht dazu bringen kann, mich zu lieben. Ich glaube, mit mir hat schon etwas nicht gestimmt, als ich geboren wurde.

So unterschiedlich die Lebensumstände der beiden Protagonisten sind, so ähnlich sind sie sich eigentlich. Auch wenn Connell von jedem gemocht wird – er selbst fühlt sich von niemandem richtig verstanden, fühlt sich fremd inmitten seiner sogenannten Freunde. Er und Marianne erkennen schnell, dass die beiden mehr verbindet, als nur der Job seiner Mutter. Auch, als sie sich am Trinity College in Dublin wieder begegnen und Marianne nun unter Leuten ihresgleichen verweilt, während Connell in die Außenseiterrolle schlüpft, können sie nicht ohne den anderen. Zwischen Freundschaft, Sex und Liebe erforschen die jungen Erwachsenen über die Jahre ihre Beziehung zueinander. Sie finden zusammen, sie treffen sich mit anderen, sie versuchen trotz unterdrückter Gefühle füreinander da zu sein. Ihre Beziehung ist voller Missverständnisse und Misskommunikation.

Normale Menschen ist, ähnlich wie Rooneys Erstling Gespräche mit Freunden, ein Roman über Verletzlichkeit und Stolz, über Macht und Dominanz, sowie über die Angst vor Bekenntnissen und Zurückweisungen. Im Gegensatz zum Vorgänger schafft es die irische Autorin allerdings, ihren Figuren in diesem Roman mehr Tiefe zu verleihen. Sie sind viel greifbarer und ihre Probleme und Kämpfe wesentlich relevanter. Mir scheint, als hätte Rooney die Grundformel ihres ersten Buchs beibehalten, aber die Exekution deutlich verbessert. Ein enorm großer Sprung für eine junge Autorin innerhalb einer so kurzen Zeit.

Marianne und Connell werden als jung und in Beziehungen unerfahren porträtiert, und so machen sie es sich selbst unnötig schwer. In gewisser Weise haben sie mich an Rachel und Ross aus Friends erinnert, nur mit weniger Leichtigkeit und stattdessen düsteren Untertönen. Denn beide Protagonisten haben mit ihrer mentalen Gesundheit zu kämpfen. Marianne ist in einem Familienumfeld voller Gewalt aufgewachsen und hat dementsprechend ungesunde Denkmuster verinnerlicht. Connell hingegen hat Probleme damit, seine Identität zu festigen und zerbricht langsam aber sicher an den Erwartungen anderer.

Mit ihr allein zu sein ist, als würde er eine Tür öffnen, die weg vom normalen Leben führt, und sie dann hinter sich schließen.

Sally Rooney Normale Menschen Fanpaket

Extrem nüchtern und reduziert erzählt Rooney die Geschichte des jungen Paares. (Übrigens hervorragend ins Deutsche übersetzt von Zoe Beck.) Zunächst mag der Stil, auch mit seiner fehlenden wörtlichen Rede, noch etwas ungewohnt sein, doch nach einiger Zeit legt sich das. Ich habe das Buch innerhalb von drei Tagen inhaliert – es ist so intensiv, trotz seiner modernen Kühle, und es hat so verdammt wehgetan, Connell und Marianne dabei zu beobachten, wie sie versuchen, das Leben und ihre Beziehung zueinander zu meistern.

Marianne kam sich vor, als fände ihr wahres Leben in weiter Ferne ohne sie statt, und sie wusste nicht, ob sie es jemals entdecken und daran teilhaben würde. Dieses Gefühl hatte sie oft in der Schule, aber es wurde nie von konkreten Vorstellungen begleitet, wie das wahre Leben aussehen könnte. Sie wusste nur, dass sie es sich nicht mehr ausdenken musste, wenn es anfing.

Sally Rooney hat mit ihrem neuen Roman Normale Menschen ein wirklich großartiges Werk geschaffen. Nachdem ich von Gespräche mit Freunden wenig begeistert war, muss ich nun meine Meinung über die irische Autorin revidieren: ja, sie hat Talent, und was für eines! Trotz kühler und distanzierter Schreibweise schafft sie es, ihre Figuren lebendig werden zu lassen. Ich hätte nie gedacht, dass mich die On/Off-Beziehung und Freundschaft zweier fiktiver junger Menschen so sehr mitreißen würde. Dieser Roman geht unter die Haut, indem er die zutiefst verletzlichen und zerbrochenen Seelen seiner Protagonisten seziert. Normale Menschen ist bisher eines meiner Jahreshighlights und ein unglaublich repräsentatives Werk zeitgenössischer Literatur.

Normale Menschen stand 2018 auf der Longlist des Man Booker Prize. Es erhielt den Costa Novel Award, den An Irish Book Award sowie den British Book Award in gleich zwei Kategorien. Für BBC und Hulu wurde der Roman mit Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal in den Hauptrollen als Serie verfilmt.

Übrigens: Bis zum 30. September habt ihr noch die Möglichkeit, beim Luchterhand Verlag eines von zehn Sally-Rooney-Fanpaketen zu gewinnen, das aus dem Roman und einem passend designtem T-Shirt besteht. Hier geht es zum Gewinnspiel – wir wünschen viel Glück!

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