Unsere besten Bücher 2018

Jahresrückblick (2)

Heute wollen wir uns gemeinsam mit euch von dem Jahr 2018 verabschieden und noch einmal gemeinsam unsere literarischen Highlights durchgehen. Folgende elf Bücher konnten uns in den letzten zwölf Monaten richtig begeistern:

Yaa Gyasi – Heimkehren

Ghana im 18. Jahrhundert. Effia und Esi, zwei Schwestern, die zwar dieselbe Mutter haben, aber unterschiedliche Väter, wissen nichts von der Existenz der jeweils Anderen. Während Effia einen britischen Offizier heiratet, der in der Festung von Cape Coast Sklavenhandel betreibt, sitzt ihre Schwester am anderen Ende der Nahrungskette, nämlich mit dutzenden anderen Sklaven im Kerker und wartet auf ihre Verschiffung nach Amerika. Die Geschichte folgt den beiden Schwestern und ihren Nachfahren auf zwei verschiedenen Kontinenten. Effia, ihre Kinder und Enkel profitieren vom Sklavenhandel, haben allerdings auch ihre Schwierigkeiten. Esi und ihre Nachkommen hingegen versuchen in den USA, sich trotz Sklaventum eine neue Heimat aufzubauen und gegen den Rassismus zu kämpfen, der ihnen täglich begegnet.

Yaa Gyasis Roman Heimkehren erzählt die Geschichte zweier Schwestern und ihrer Nachkommen, die sowohl in Ghana als auch in Amerika mit dem Sklavenhandel und seinen Auswirkungen zu kämpfen haben, auf der Suche nach einer Heimat und Zugehörigkeit sind und, wo auch immer sie leben, einfach nur frei sein wollen. Es ist ein unglaublich gut geschriebenes Debüt, manchmal ob der vielen Protagonisten ein wenig verwirrend, dafür aber spannend, berührend, schockierend und mit seinem Kernthema Rassismus natürlich auch politisch extrem aktuell.

Roberto Bolaño – Die wilden Detektive

Der junge Student Juan García Madero wird eingeladen am viszeralen Realismus teilzunehmen. Angeführt wird diese literarische Avantgarde von Ulises Lima und Arturo Belano, die um eine genaue Definition ihrer Bewegung alles andere als bemüht sind. Madero erzählt von seinem Leben mit den viszeralen Realisten: vom Künstlerdasein, Liebschaften und den langen verrauchten Nächten in Cafés. Doch als sich Lima und Belano auf die Suche nach der Urmutter des Realviszerealismus machen, gehen sie verloren. Sie werden an vielen verschiedenen Orten gesehen. In Spanien, Frankreich, Österreich und Israel. Immer wieder werden neue fantastische Geschichten über sie erzählt. Von Prostituierten, Psychopathen, anderen Literaten und verschiedenen Lebenskünstlern.

Roberto Bolaños Die wilden Detektive ist ein Fest für Leser, die sowohl anspruchsvolle Literatur als auch Spannung und Witz suchen. Nicht immer erschließen sich alle Zusammenhänge sofort, manche werden erst nach einigen hundert Seiten aufgelöst. Bolaño beherrscht sein Handwerk und schickt den Leser auf die Spur zweier außergewöhnlicher Männer, die irgendwie zwischen den Seiten verloren gehen. Eines der aufregendsten Bücher, das ich den letzten Jahren lesen durfte.

Han Kang – The White Book

Han Kangs The White Book ( im Original, also wortwörtlich als „Weiß“ zu übersetzen) ist kein Roman, sondern vielmehr eine Ansammlung fragmentarischer Texte, die sich assoziativ mit der Farbe Weiß befassen. Eine weiße Tür, Schnee, Vögel, Geburt und Tod, Nebel, der Mond, Reis, ein Lächeln, ein weißer Hund – Han Kang schreibt in ihren Textstücken, die meist nur ein oder zwei Seiten umfassen, über eigentlich sehr alltägliche Dinge und findet in ihnen eine besondere Schönheit.

Han Kang scheint gerne mit Literatur zu experimentieren; Die Vegetarierin bestand eigentlich aus drei kurzen Novellen und Menschenwerk setzt sich quasi aus thematisch miteinander verbundenen Kurzgeschichten zusammen. Genau diese Andersartigkeit ihrer Bücher ist es, die mich anzieht.
The White Book ist ein literarisches Werk, das sich vermutlich nicht jeder Autor erlauben könnte. Es ist eigensinnig, faszinierend, beruhigend, wunderschön und strahlt eine gewisse Würde aus. Gleichzeitig schafft es das Buch, mich auf eine sehr sanfte Weise zu berühren. Es ist eine Mischung aus Belletristik, Poesie und Memoir mit einem starken künstlerischen Ansatz. Und damit ist es so unglaublich anders als der Großteil der Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe.

Julian Barnes – Vom Ende einer Geschichte

Als Finn Adrian in die Klasse von Tony Webster kommt, werden die beiden Jungen schnell Freunde. Bücher, Philosophie und Sex sind die wichtigsten Themen, dabei hat Tony immer den Eindruck, dass Adrian in allem klüger ist als er selbst. Der Kontakt hält auch nach der Schulzeit. Doch dann hat die Freundschaft ein plötzliches Ende. Vierzig Jahre später, Tony hat mittlerweile eine Trennung und Karriere hinter sich und ist mit sich im Reinen, erhält er den Brief eines Anwalts und eine Erbschaft, die den Glauben an seine Erinnerung und seine Biographie erschüttern.

Vom Ende einer Geschichte ist ein kleines Meisterwerk, das sowohl mit seiner Thematik, den moralischen und philosophischen Einschüben, sowie mit dem detaillierten Innenleben seines Ich-Erzählers den Leser in seinen Bann zieht. Gleichzeitig erzeugt die Suche nach der wirklichen Vergangenheit eine große Spannung. Für mich einer der besten Roman der letzten Jahre.

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Haruki Murakami – Die Ermordung des Commendatore 1+2

Der namenlose Protagonist dieses Romans ist 36 Jahre alt und wurde kürzlich aus heiterem Himmel von seiner Frau verlassen. Zunächst schnappt er sich ein paar Sachen und fährt ziellos in seinem alten Peugeot 205 durch Japan. Doch dann erhält er von einem Studienfreund das Angebot, das Haus dessen Vaters Tomohiko Amada zu hüten. Auch Amada war Maler und hat auf seinem Dachboden ein äußerst interessantes Bild mit dem Titel „Die Ermordung des Commendatore“ hinterlassen. Während der Protagonist versucht, mehr über Amadas Vergangenheit herauszufinden, wird er von seinem geheimnisvollen Nachbarn Wataru Menshiki beauftragt, ein Porträt anzufertigen. Gemeinsam werden sie in mysteriöse Ereignisse verstrickt – doch kann er Menshiki wirklich trauen?

„Im Leben gibt es einige Dinge, die man nicht erklären kann, und auch einige, die man nicht erklären sollte. Denn in den meisten Fällen geht dabei das Wichtigste verloren.“
Murakami liefert hier selbst die perfekte Antwort auf diejenigen, die sich über die offenen Fragen in seinen Werken beschweren. Dennoch muss man Murakami attestieren, mit Die Ermordung des Commendatore einen seiner rundesten Romane geschaffen zu haben. Viele Fragen sind es dieses Mal nicht, die am Ende offen bleiben – alles fügt sich erstaunlich harmonisch zusammen. Wiederkehrende Motive und diese spezielle Atmosphäre, die sich beim Lesen eines Murakami-Romans einstellt, werden wohl nach wie vor die Leser in zwei Lager spalten: die, die ihm mangelndes Einfallsreichtum unterstellen und sich sowieso schon schnell bei seinen Büchern langweilen, werden auch mit seinem neusten Werk keine Freude haben. Fans jedoch, die immer gerne zurückkehren in Murakamis abgedrehtes Universum, können eine Lektüre genießen, die zwar nicht den Titel als bester Murakami aller Zeiten gewinnen wird, trotzdem aber zu seinen besseren Büchern gehört. Ich gehöre definitiv zu letzteren.

Adam Haslett – Stellt euch vor, ich bin fort

Margaret lernt John auf einer Party in London während der Sechzigerjahre kennen. John stammt aus einer steifen englischen Familie und ist fasziniert von der Amerikanerin. Sie verloben sich, doch als Margaret von einem Familienbesuch zurück nach London kommt, ist ihr Verlobter scheinbar verschwunden. Sie findet ihn in einer psychiatrischen Klinik, wo sie erstmals erfährt, dass John manisch-depressiv ist. Trotz ihrer Bedenken beschließt sie, ihr Leben an Johns Seite zu verbringen. So heiraten die beiden und bekommen drei Kinder: Michael, Celia und Alex. Doch Margaret fürchtet stets um die Gesundheit ihres Mannes.

Mit Stellt euch vor, ich bin fort ist Adam Haslett ein Familienroman gelungen, der sowohl feinfühlig, einfühlsam als auch facettenreich daherkommt. Auch stilistisch gelingt es dem Autor, jeder seiner Figuren eine eigene Stimme zu verleihen, wobei gerade die Abschnitte, in denen Michael sein Innenleben beschreibt, hervorzuheben sind. Ein persönliches und tiefgründiges Buch, das sich eines schwierigen Themas annimmt und diesem absolut gerecht wird.

Emma Donoghue – Das Wunder

Irland, Mitte des 19. Jahrhunderts. Die elfjährige Anna O’Donnell hat angeblich seit vier Monaten keinen Bissen Nahrung mehr zu sich genommen. Menschen aus ganz Irland und auch aus dem Ausland reisen nach Athlone, um das kleine Wunder zu bestaunen. Doch es gibt Kritiker, die einen Schwindel vermuten – so wird eine permanente Überwachung des Kindes veranlasst, um jegliche Zweifel aus der Welt zu schaffen. Die englische Krankenschwester Lib Wright, die eher rational-analytisch denkt, wird in dem irischen Dorf mit christlichem Fundamentalismus und purer Ignoranz konfrontiert. Von Anfang an ist sie überzeugt, dass die ganze Sache fingiert ist und wähnt sich in Sicherheit, schon nach wenigen Tagen wieder nach England zurückkehren zu können. Doch Anna bleibt trotz ständiger Beobachtung putzmunter und fromm. Könnte es wirklich möglich sein, dass Anna von Gott auserwählt wurde?

Emma Donoghue hat mit ihrem Roman Das Wunder einen hochinteressantes, beklemmendes und berührendes Stück Literatur geschaffen, das sich um Glaube, Aberglaube, Sünden und Schuld dreht. Besonders die zarte Beziehung zwischen Lib und ihrem Schützling sowie die nicht ganz so leicht zu verdauenden Hintergründe haben mich emotional deutlich mehr mitgenommen, als ich anfangs vermutet hatte. Keine leichte Kost – aber eine großartige Geschichte vor authentischer Kulisse!

George Saunders – Lincoln im Bardo

Im Alter von elf Jahren stirbt Willie Lincoln, der Sohn des Präsidenten, während des Bürgerkriegs. Der trauernde Vater sucht alleine das Grabmal auf, um den Sohn noch einmal in den Armen zu halten. In der Nacht werden die Gespenster wach, die Geister der Toten. Willie befindet sich in einem Zwischenreich, in der tibetischen Tradition als Bardo bezeichnet, und um die Seele des Verstorbenen entbrennt ein Streit.

Lincoln im Bardo besticht durch eine außergewöhnliche Erzählstruktur, in der sowohl das Private als auch das Öffentliche offenbar wird. Dazu kommt die zugleich komische und tragische Welt des Bardo, in dem sich Willie befindet. So funktioniert der Roman von Saunders auf mehreren Ebenen und ist eines meiner literarischen Highlights des Jahres.

Leigh Bardugo – Die Sprache der Dornen

Die Sprache der Dornen, deren Originaltitel The Language of Thorns – Midnight Tales and Dangerous Magic lautet, hat sechs wundervolle Geschichten versammelt, die zum Teil schon vorher publiziert wurden, unter anderem drei von ihnen in einem Band namens Folktales from Ravka im Jahr 2015. Wie auch schon Bardugos Grisha-Trilogie und ihre sehr erfolgreichen Fantasyromane Das Lied der Krähen und Das Gold der Krähen spielen die Märchen im selben Universum, in den Regionen Nowij Sem, Rawka, Fjerda und Kerch. Bardugo lässt sich von bekannten Geschichten inspirieren, wie zum Beispiel von Hans Christian Andersens Die kleine Meerjungfrau. In Als das Wasser Feuer ersang kann die Meerjungfrau Ulla mit der Sturmmagie, die ihr Gesang heraufbeschwört, den Prinzen davon überzeugen, sie mit an Land zu nehmen, wo sie schreckliche Entdeckungen macht. Die Hexe von Duva wiederum ist an Hänsel und Gretel angelehnt, doch, wie alle der sechs Geschichten, nimmt sie einen völlig anderen Lauf als die Originale. Gut und Böse sind hier nicht klar kategorisierbar, Bösewichte erhalten gütige Züge und die Heldinnen moralische Abgründe. So gesehen sind es keine Nacherzählungen der klassischen Märchen von Andersen, Grimm und Co., sondern eigenständige Stories, die auf bestimmten Ideen der Klassiker basieren.

Die Sprache der Dornen von Leigh Bardugo ist eine wunderschön illustrierte Sammlung kreativer Märchen im klassischen Stil, die den altbekannten Geschichten von den Gebrüdern Grimm in nichts nachstehen – gerade die starken Heldinnen sind eigentlich sogar viel gelungener als ihre Vorgängerinnen.

Cormac McCarthy – Die Straße

Ein Vater und sein kleiner Sohn streifen durch Amerika, immer an der Straße entlang, Richtung Süden. Dabei haben sie einen Einkaufswagen, die Kleider, die sie am Leib tragen, ein wenig zu Essen und einen Revolver mit zwei Schuss Munition. Sie versuchen andere Menschen zu finden, die überlebt haben und noch nicht dem Menschsein abgeschworen haben. Doch auf der Suche nach Nahrungsmitteln und Unterschlüpfen in diesem bitterkalten Winter müssen sie sich ständig neuen Gefahren stellen.

Cormac McCarthy hat mit seinem postapokalyptischen Roman Die Straße ein Buch geschaffen, das viele nach ihm inspirieren sollte. Es wurde 2007 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, was angesichts der exquisiten Sprache, der gelungenen Charakterdarstellung sowie der eindringlichen, dunklen und trostlosen Atmosphäre nicht verwunderlich ist. Es ist ein 250 Seiten kurzes Meisterwerk.

Auf ein ebenso erfolgreiches Lesejahr 2019!

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