Roberto Bolaño – Die wilden Detektive

Roberto Bolano die wilden Detektive Rezension

Roberto Bolaño macht die Leser selbst zu Detektiven. Sein Werk Die wilden Detektive ist mit Worten kaum zu beschreiben und die einfache Frage „Worum geht es denn?“ wohl nur mit „So ziemlich alles“ zu beantworten.

Der junge Student Juan García Madero wird eingeladen am viszeralen Realismus teilzunehmen. Angeführt wird diese literarische Avantgarde von Ulises Lima und Arturo Belano, die um eine genaue Definition ihrer Bewegung alles andere als bemüht sind. Madero erzählt von seinem Leben mit den viszeralen Realisten: vom Künstlerdasein, Liebschaften und den langen verrauchten Nächten in Cafés. Doch als sich Lima und Belano auf die Suche nach der Urmutter des Realviszerealismus machen, gehen sie verloren. Sie werden an vielen verschiedenen Orten gesehen. In Spanien, Frankreich, Österreich und Israel. Immer wieder werden neue fantastische Geschichten über sie erzählt. Von Prostituierten, Psychopathen, anderen Literaten und verschiedenen Lebenskünstlern.

Wo soll man bei diesem Roman anfangen? Er ist unglaublich fordernd und aus den vielen verschiedenen Versatzstücken ergeben sich erst nach und nach ein stimmiges Bild und eine nachvollziehbare Handlung. Dabei ist er aber auch unheimlich aufregend.  In Roberto Bolaños Die wilden Detektive wird der Leser selber zu einer Art Detektiv, der in dem Werk die Spuren von zwei Männern verfolgt. Denn Arturo Belano und Ulises Lima hinterlassen überall einen bleibenden Eindruck. Da wäre zunächst einmal Juan García Madero, der in seinem Tagebuch von seiner Aufnahme in die literarische Bewegung berichtet. Fiebrig und aufgeregt erzählt er von den anderen Mitgliedern, von schönen Frauen und seinem Bemühen, selbst Dichter zu werden. Dennoch dreht sich bei Realviszerealisten alles um die die beiden prägenden Figuren Lima und Belano, die eigentlich auch nicht so genau wissen, wofür ihre literarische Bewegung steht und die Finanzierung unter anderem mit Drogenhandel bewerkstelligen.

Es gibt Augenblicke, in denen man Gedichte vortragen soll, und es gibt solche, in denen man besser die Fäuste fliegen lässt.

Die wilden Detektive ist ein Werk voller Ideen und ein stilistisches Feuerwerk. Das Buch ist in drei Teile geteilt, wobei sowohl der erste als auch der dritte Abschnitt aus den Tagebuchaufzeichnungen von García Madero bestehen. Der umfangreichste Mittelteil geht zeitlich deutlich darüber hinaus und versucht, den Spuren der beiden Dichter zu folgen, die mal hier und mal dort auftauchen. Doch trotz der kurzen Aufenthalte bleiben sie anderen Menschen immer im Gedächtnis und werden teilweise fast zu Heiligenfiguren, wobei der Roman hier schon fantastische Züge annimmt.

Letztlich ist das Ganze eine Farce. Der Realviszerealismus ist mehr ein Hirngespinst der beiden charismatischen Intellektuellen. Die Zeitung von der sie träumen wird wohl auch nie erscheinen und ihre Anhänger werden auch kaum Gedichte veröffentlichen. Trotzdem tun die anderen jungen Frauen und Männer viel dafür, um Teil der Bewegung zu sein, auch wenn niemand wirklich weiß was sie bedeutet und kurz nach ihrem Entstehen auch die ersten Mitglieder bereits entlassen werden. Doch was sich viel mehr dahinter verbirgt, ist das Porträt einer Generation, genauer: einer südamerikanischen Generation, die geprägt von Militärdiktaturen auf der Suche nach Sicherheit war. Als Außenseiter bewegen sie sich schnell, tauchen an verschiedenen Orten auf und jeder, der einige Tage mit ihnen zusammen ist, hat eine Geschichte zu erzählen. Die Literatur und noch viel mehr die Poesie und das Schreiben von Gedichten sind hier ein Synonym für Freiheit und Abenteuer. Ein Leben ohne Poesie ist langweilig und wird von einem grauen Alltag bestimmt.

So ist es kein Wunder, dass der Fokus auf dem Leben der verschiedenen Dichter liegt. Wobei die meisten von ihnen eher gescheitert sind. Einzig sie selbst haben das scheinbar nur noch nicht erkannt und glauben immer noch, dass sie kurz vor dem großen Erfolg stehen. Aber Bolaño, der übrigens im Alter von 19 Jahren in Mexiko den Infrarealismus gründete, bezieht zudem, wie oben bereits angedeutet, einige politische Begebenheiten mit ein. So etwa die sandinistische Revolution in Nicaragua, die Militärdiktatur in Chile vor der Arturo Belano flieht oder an einer anderen Stelle die Rote Armee Fraktion.

Für mich ist eindeutig der Mittelteil der Höhepunkt des Romans, der aus vielen Stimmen besteht, die von ihren Begegnungen mit den beiden sagenumwobenen Dichter berichten. Für manche sind sie wie Außerirdische, andere fühlen sich an den Film Easy Rider erinnert. Dabei kommt es immer wieder auch zu Widersprüchen. Ihr Leben wird nicht von ihnen erzählt, sondern von Menschen die sie kannten, manche standen ihnen nahe, andere kannten sie nur flüchtig. Eine Art moderne Biographie. Natürlich stellt sich dabei die Frage, was davon eigentlich wahr ist und was zu fantastisch klingt, um sich so zugetragen zu haben. Eine übergeordnete Erzählinstanz fehlt dabei, weshalb es als Leser unglaublichen Spaß macht, die nicht immer chronologischen Erzählungen miteinander zu verbinden und zu entschlüsseln.

Haben sie Easy Rider gesehen? Ja, den Film mit Dennis Hopper, Peter Fonda und Jack Nicholson. Ungefähr so waren wir damals auch. Jedenfalls Ulises Lima und Arturo Belano, bevor sie nach Europa gingen. Wie Dennis Hopper und sein Spiegelbild: zwei Schatten, kraftvoll und schnell.

Die genannten Stimmen sind dabei von Bolaño stilistisch höchst unterschiedlich gestaltet. Mal vulgär, mal eher gebildet und um eine poetische Sprache bemüht. Wieder andere betont cool und lässig. Bolaño beherrscht sowohl die Schimpftiraden als auch intellektuell anmutende Gedanken. So entsteht ein vielfältiges Panorama an Figuren. Manche Berichte sind deutlich länger als die anderen, gerade hier wirken die Stimmen unverwechselbar. Viele der angelegten Konstruktionen sind auf den ersten Blick kaum zu durchschauen. Manche Erzählungen haben nur wenige Seiten, werden dabei aber kontinuierlich fortgeführt. Manche Szenen sind auch unglaublich komisch. An vielen Stellen äußert sich Bolaño sehr satirisch gegenüber anderen Schriftstellern und dem Literaturbetrieb im Allgemeinen.

Bildende Kunst ist im Grunde etwas Unverständliches. Oder sie ist so ohne weiteres verständlich, daß niemand, und ich schon gar nicht, die offensichtlichste Lesart akzeptieren kann.

Roberto Bolaños Die wilden Detektive ist ein Fest für Leser, die sowohl anspruchsvolle Literatur als auch Spannung und Witz suchen. Nicht immer erschließen sich alle Zusammenhänge sofort, manche werden erst nach einigen hundert Seiten aufgelöst. Bolaño beherrscht sein Handwerk und schickt den Leser auf die Spur zweier außergewöhnlicher Männer, die irgendwie zwischen den Seiten verloren gehen. Eines der aufregendsten Bücher, das ich den letzten Jahren lesen durfte.

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