Indiebookday 2020 – acht großartige Bücher aus unabhängigen Verlagen

Indiebookday 2020 Empfehlungen Bücher aus unabhängigen Verlagen

Heute ist Indiebookday!

Seit 2013 besteht dieser Tag, der zunächst in Deutschland großen Anklang fand und sich später auch auf weitere Länder wie die Niederlande, Großbritannien, Portugal, Italien und Brasilien ausweitete. Er ist dazu da, den kleinen, unabhängigen Verlagen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, in ihren Programmen zu stöbern und in ihre Bücher reinzulesen. Zu diesem Anlass möchten wir euch im Folgenden acht Bücher und ihre Verlage ans Herz legen – denn gerade in Zeiten wie diesen benötigen sie jede Unterstützung, die sie bekommen können.

Michelle Steinbeck – Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch (Lenos Verlag)

Loribeth, eine junge Frau (oder ein Mädchen?) unbekannten Alters kehrt in ihr Elternhaus zurück – die Mutter ist in einer Anstalt, der Vater lange fort und der kleine Bruder feiert exzessiv mit seinen Freunden im Wohnzimmer. Als sie versehentlich ein spielendes Kind mit einem Bügeleisen tötet, steckt sie es kurzerhand in den alten Koffer ihres Vaters, den sie ihm sowieso zurückbringen wollte. Auf dem Weg zu ihrem Vater, der in der roten Stadt wohnen soll, begegnet sie vielen Personen, Tieren und Gefahren, aber auch der Liebe, und erhält eine Prophezeiung von einer blauhaarigen Wahrsagerin mit einem pelzigen Krokodil auf dem Schoß. Stets das tote Kind im Koffer – oder ist es doch noch am Leben? – lässt Lori sich durch diese völlig verrückte Welt treiben, bis sie endlich ihrem Vater gegenüber steht.

Michelle Steinbecks literarisches Debüt Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch ist mutig und experimentell; ein Roman, mit dem wohl nicht viele Leser etwas anfangen können, von dem der Buchmarkt meiner Meinung nach aber definitiv mehr gebrauchen könnte. Auf eine ganz neue und unkonventionell weil surrealistische Weise konfrontiert sie die Leser mit den Ängsten vor dem Erwachsenwerden – Generation Y gefangen in einem Traum von Dalí.

Tristan Garcia – Faber. Der Zerstörer (Wagenbach Verlag)

Faber war in der Schulzeit cool, schlau, unnahbar und gefährlich. An der ganzen Schule bekannt und für viele ein Idol. Als Madeleine ihn Jahre später in einer Pyrenäenhütte wiederfindet, erkennt sie ihn kaum wieder. Er ist verwahrlost und wirkt verrückt. Sie bringt ihn zurück in ihre Heimatstadt. Gemeinsam mit Basile bildeten Madeleine und Faber während ihrer Jugend ein kaum zu trennendes Trio. Madeleine nimmt Faber mit, vorgeblich um ihn zu retten, doch eigentlich geht es um Rache und die Frage, was die drei sich angetan haben.

Faber. Der Zerstörer lässt sich sowohl als Thriller, Gesellschaftskritik und Entwicklungsroman lesen. Es ist ein Roman über drei Jugendliche, ihre Träume und eine Gesellschaft, die ihnen keine Vorbilder bietet. Tristan Garcia spinnt daraus eine Geschichte, die auf der einen Seite spannend ist, aber ebenso viel Tiefgang besitzt, (dass der Autor Philosoph ist, merkt man durchaus) unweigerlich immer düsterer wird und auf eine Katastrophe zusteuert.

Tomas Espedal – Wider die Natur (Matthes & Seitz)

Ein älterer Mann lernt auf einer Party eine jüngere Frau kennen. Die beiden verlieben sich und beginnen eine Affäre. Nach einiger Zeit verlässt die junge Frau den Mann wieder. Eigentlich nichts Besonderes. Doch für Tomas Espedal wird ein Prozess des Erinnerns ausgelöst: Erinnerungen an die Jugend, die erste Liebe, die Zeit mit seiner bereits verstorbenen Frau, alltägliche Erfahrungen.

Wider die Natur ist ein eindrucksvoller autobiografischer Roman, der einen Mann mit all seinen Gefühle und Erinnerungen an seine Liebeserfahrungen zeigt. Er beschönigt nichts, ist ehrlich in seiner Trauer und Verzweiflung und beschreibt gleichzeitig alltägliche Beobachtungen, sowie das Älterwerden und die Vergänglichkeit.

Donald Ray Pollock – Das Handwerk des Teufels (Liebeskind)

In den 50er Jahren wächst der junge Arvin im Niemandsland des mittleren Westens auf. Das Leben ist geprägt von harter Arbeit, Verbrechen, korrupten Sheriffs und religiösen Fanatikern. Arvin kämpft um einen Ausweg aus dieser Welt. Nachdem seine Freundin vom örtlichen Priester missbraucht wird und sich schließlich erhängt, nimmt er das Recht in die eigene Hand. Etwa zur gleichen Zeit brechen die beiden Serienmörder Carl und Sandy auf, um Jagd auf ahnungslose Tramper zu machen und sie zu ermorden.

Das Handwerk des Teufels ist bevölkert von Menschen, die in der Gesellschaft keinen richtigen Platz finden und ihre Moral über Bord geworfen haben, eine Ausnahme ist hier Arvin. Die Beschreibung der menschlichen Hölle, in der sich die Charaktere befinden, ist Pollock außerordentlich gut gelungen und macht das Buch definitiv lesenswert, es ist aber in keiner Weise angenehme Literatur zum Wohlfühlen.

21. März 2020 Indiebookday

Félix Francisco Casanova – Heute ist mein letzter Tag lebendig (hoffentlich) (Luftschacht Verlag)

Bernardo ist erst fünfundzwanzig und doch schon des Lebens überdrüssig. Mehrmals versuchte er bisher, sich umzubringen, doch jeder Versuch scheiterte. Er kann einfach nicht sterben. So kämpft er sich weiter durch die Tage, erträgt eine nervtötende Verlobte und beginnt, das Lebenswerk des schwerkranken Literaten David niederzuschreiben. Doch immer mehr verliert Bernardo den Bezug zur Realität und den Verstand – die Todessehnsucht wird so groß, dass er zu ungeahnten Mitteln greift.

Félix Francisco Casanova hätte einer der ganz großen spanischsprachigen Literaten werden können. Dass sein Erstling Heute ist mein letzter Tag lebendig (hoffentlich) auch sein einziger Roman bleibt, ist schade – denn die opulente Sprache, die rasanten Wendungen, die düsteren Bilder und diese Fiebrigkeit und Dringlichkeit, mit der der Roman verfasst wurde, offenbaren ein großartiges, junges Talent.

Juan Gabriel Vásquez – Die Gestalt der Ruinen (Schöffling & Co.)

Durch einen Museumseinbruch kommt der seltsame Carlos Carballo in die Schlagzeilen. Aber hinter der Tat steht ein für ihn tieferer Sinn: Schon sein ganzes Leben hat er sich mit politischen Morden und deren Aufklärung beschäftigt. Einer der für ihn wichtigsten ist das Attentat aus dem Jahr 1948 auf den liberalen Politiker Jorge Eliécer Gaitán in Bogotá, dessen Tod Kolumbien in eine tiefe Krise stürzte. Carballo sieht dahinter eine Verschwörung, die auch hinter anderen Morden steht und bedrängt den Autor Juan Gabriel Vásquez, seine Recherchen fortzusetzen.

In Die Gestalt der Ruinen setzt sich Vásquez mit der Geschichte seines Landes auseinander, vor allem mit den Morden an Uribe und Gaitán. Es dauert länger bis klar wird, worauf er eigentlich hinaus will und der Text ist zudem durchaus komplex, weshalb er Zeit einfordert. Die Konstruktion der Zeitebenen und die Verbindungen hat Vásquez größtenteils im Griff und verbindet seine eigene Autobiographie mit der jüngeren Epoche seines Landes. Damit hat er wohl seinen besten Roman geschaffen.

Ae Ran Kim – Mein pochendes Leben (Cass Verlag)

Arum ist erst sechzehn Jahre alt, doch er steckt im Körper eines alten Mannes. Er leidet unter Progerie, der Krankheit des vorzeitigen Alterns. Auch wenn er halb so alt ist wie sein Vater, sieht er aus wie sein eigener Großvater. Auch die körperlichen Kräfte lassen langsam nach – Arum leidet unter den Gebrechen eines Senioren und die Behandlungskosten belasten seine Familie schwer. So beschließen sie, an einer Dokumentation teilzunehmen, die ihnen Spenden einbringen soll, mit deren Hilfe sie Arums Krankenhausaufenthalte finanzieren können. Doch nach Ausstrahlung der Doku meldet sich plötzlich ein Mädchen bei Arum. Zum ersten Mal fühlt er sich wirklich verstanden – und beginnt, Gefühle für So-Ha zu entwickeln.

Ae-Ran Kims Roman Mein pochendes Leben aus dem Cass-Verlag ist zart, einfühlsam und wunderschön – aber auch melancholisch und tief berührend. Es ist eine Geschichte über das Altern, das Leben und die Liebe, keinesfalls kitschig aber auf seine eigene, ruhige Art sehr fesselnd.

Steffen Mensching – Schermanns Augen (Wallstein Verlag)

Im Jahr 1940 landet Rafael Schermann am Ende der Welt: im Lager Artek, einem sowjetischen Gulag. Schermann, der als Graphologe aus Handschriften Vorhersagen ableiten kann, erzeugt großes Interesse. Nicht nur der Lagerkommandant, sondern auch einige der Mitgefangenen wollen seine Dienste in Anspruch nehmen. Doch der Gefangene behauptet, kein Russisch zu können. Ihm wird der deutsche Kommunist Otto Haferkorn als Übersetzer zur Seite gestellt. Gemeinsam verbringen sie knapp ein Jahr im Lager und kämpfen um ihr Überleben.

Mit Schermanns Augen hat Mensching einen Roman geschaffen, der dem Leser einiges abverlangt, ihm dafür aber umso mehr zurückgibt. Ein Werk, das sowohl erzählerisch sehr gut gelungen ist, als auch jederzeit die gesellschaftliche Dimension im Blick hat und hier viele Anregungen liefern kann. Das Buch ist jedem absolut zu empfehlen, der sich auf der Suche nach anspruchsvoller Literatur befindet.

Welche Bücher aus Indie-Verlagen könnt ihr empfehlen?

Falls euch eine oder gleich mehrere der oben genannten Empfehlungen ansprechen, denkt dran: auch wenn die Buchhandlungen zur Zeit geschlossen sind, bieten viele von ihnen einen Lieferdienst bzw. Postversand an. So müsst ihr nicht auf die großen Ketten zurückgreifen und könnt auch weiterhin die kleinen Läden unterstützen – denn gerade jetzt brauchen sie eure Unterstützung! #buylocal #supportyourlocalbookstore

Weitere Lektüretipps findet ihr unter anderem bei:

Sätze& Schätze

Auf der Höhe

letteratura

Wissenstagebuch

3 comments

Add Yours
  1. Marc

    Was für eine schöne Zusammenstellung. Vasquez muss ich mir mal vormerken. Und Schermanns Augen steht schon auf der Merkliste.
    Mein pochendes Leben eines der betührendsten Bücher der letzten Jahre.

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