Kanae Minato – Geständnisse

Kanae-Minato-Geständnisse

Unfall oder Mord? In ihrem düsteren Roman Geständnisse widmet sich Kanae Minato den Themen Selbstjustiz und Rache, als eine Klasse mit dem plötzlichen Tod der kleinen Tochter der Lehrerin konfrontiert wird.

Die vierjährige Tochter der alleinerziehenden Lehrerin Yūko Moriguchi wird eines Tages ertrunken im Schulschwimmbad aufgefunden. Nach einer kurzen Auszeit kehrt Moriguchi an ihre Schule zurück und beginnt, ihren Schülern von dem Tag des Unfalls zu erzählen, von ihrem schrecklichen Verdacht und ihrem eigenen, kleinen Geheimnis. Damit ändert sich das Leben von einigen Schülern schlagartig. Plötzlich stehen noch mehr Menschenleben auf dem Spiel.

Ich hatte etwas Tolles geschaffen, mein Name hatte in der Zeitung gestanden, und meine Mutter wusste nichts davon. Aber wer weiß, wenn ich etwas richtig Scheußliches anstellte, dann würde sie vielleicht endlich zu mir zurückkommen.

Kanae Minatos Buch Geständnisse, das sich vermutlich am besten irgendwo zwischen Roman und psychologischem Thriller einordnen lässt, beginnt recht unscheinbar. Die Lehrerin Moriguchi sitzt vor ihrer Klasse und hält ihr eine ausschweifende Ansprache über ihr Leben, ihren Exmann, über das Strafsystem in Japan, die Kündigung ihrer Lehrstelle – bis sie schließlich auf den Tod ihrer kleinen Tochter zu sprechen kommt. Die Polizei nannte es einen tragischen Unfall, aber Moriguchi weiß, dass sich mehr hinter dem Ertrinken ihrer Tochter verbarg.

Ich glaube, wir Normalbürger haben vielleicht eine Grundregel vergessen – nämlich, dass wir eigentlich kein Recht haben, über jemand anderen zu richten.

Auf den ersten Seiten war ich noch nicht sicher, ob mir dieser Roman wirklich gefallen würde, die Spannung schien auch noch nicht annähernd in Sicht zu sein. Doch je länger ich Moriguchis Monolog lauschte, desto mehr nahm er mich ein. Nach und nach werden die Umstände der Tat aufgeklärt. Erst noch von Moriguchi selbst, dann von ihren Schülern beziehungsweise Angehörigen ihrer Schüler. Aus verschiedenen Perspektiven und durch unterschiedliche Formen – z.B. Monolog, Brief, Tagebucheinträge – beleuchtet Minato die ganze Geschichte. Somit wiederholen sich zwar einige Ereignisse für den Leser, mindern dadurch aber keinesfalls die Spannung, da neue Motive und Hintergründe mit eingebracht werden und immer mehr Details ans Licht kommen.

Sowohl Moriguchi als auch die anderen Charaktere sind scheinbar unauffällige, sich dem System fügende Japaner, unter der Oberfläche brodelt jedoch viel mehr, als sich anfangs erahnen lässt. Sie alle sind getrieben von dem Durst nach Rache, und wie sie diese Rache ausführen, ist größtenteils sehr überraschend und verstörend. Minato offenbart Protagonisten mit schockierenden psychischen Abgründen, der Leser wird von ihren grausamen Handlungen zugleich abgestoßen und angezogen.

Spüren Sie es in der Luft? Fühlen Sie es in der Atmosphäre? Ob schal oder frisch, stickig oder fließend? Ich bin überzeugt, dass die Auren aller Leute an einem Ort zusammen die Stimmung erzeugen. Vielleicht habe ich für so etwas eine besonders feine Antenne – zum Beispiel habe ich mich mit meiner eigenen Aura nie richtig wohlgefühlt. Manchmal habe ich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, so kribbelig fühlt sich die Luft um mich her an.

Da bis auf die Lehrerin hauptsächlich Kinder als Protagonisten agieren, steht die Klasse vor einem Problem: sie sind strafunmündig, egal, was sie auch tun, es kann ihnen nichts geschehen. Körperverletzung, Erpressung, Mord – die Presse würde darüber berichten, sie jedoch niemals namentlich erwähnen, sodass sie unangetastet mit ihrem dunklen Geheimnis weiterleben könnten. Sowohl Moriguchi als auch den Schülern missfällt diese Tatsache jedoch so sehr, dass sie beschließen, das Gesetz in ihre eigenen Hände zu nehmen.Vergeltung, Gerechtigkeit und Selbstjustiz treiben die Charaktere zu immer morbideren Mitteln. Gleichzeitig werden aber auch die Leiden und Ängste der Jugendlichen thematisiert – der Leistungsdruck in der japanischen Gesellschaft, die harten Anforderungen ihrer Eltern, das ständige Vergleichen mit den Mitschülern, Ausgrenzung und Mobbing, das Gefühl des Nichtdazugehörens, die Sehnsucht nach Freundschaft, Liebe und Anerkennung.

Kanae Minatos Roman Geständnisse ist noch viel besser, als ich mir vorgestellt hatte. Es ist ein spannendes, abgründiges und düsteres Buch über Rache und Selbstjustiz in der strengen, leistungsorientierten japanischen Gesellschaft. Die Autorin versteht es, nach und nach neue Details aufzudecken und unerwartete Wendungen herbeizuführen – der Roman ist unglaublich schwer aus der Hand zu legen und endet mit einem fulminanten Knall.

8 comments

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  1. Janna | KeJas-BlogBuch

    Oh ja, das Buch hat mich auch völlig eingenommen! Ich werde mich demnächst mal auf die Suche nach weiteren Übersetzungen der Autorin machen und hoffe dies ist nicht das einzige.
    Der Film ist auch super, wenn er unabhängig vom Buch betrachtet wird.

    Hab einen feinen Sonntagabend!

    Gefällt 1 Person

    • letusreadsomebooks

      Ich habe auch mal geschaut, im April ist von ihr „Penance“ auf Englisch erschienen. Ich denke, das wird auch bald auf Deutsch rauskommen :) Nachdem „Geständnisse“ ja jetzt recht erfolgreich läuft, wird man sich hoffentlich bald um mehr Übersetzungen kümmern ;)

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