Young-ha Kim – Aufzeichnungen eines Serienmörders

Young-ha Kim Aufzeichnungen eines Serienmörders Rezension

Young-ha Kim ist in Südkorea einer der populärsten Gegenwartsautoren. Mit Aufzeichnungen eines Serienmörders ist nun auch seine erste deutsche Übersetzung erschienen – und macht eine Mords-Lust auf mehr!

Meine letzte Lebensaufgabe steht fest. Ich muss Jutae Park umbringen. Bevor ich vergesse, wer er ist.

Byongsu Kim ist pensionierter Tierarzt – und pensionierter Serienmörder. Seit über 20 Jahren hat er niemanden mehr umgebracht und lebt nun ein ruhiges Leben gemeinsam mit seiner Adoptivtochter Unhi. Doch drei Dinge bereiten Byongsu Unruhe: seine schleichende Alzheimer-Demenz, die ihm den Alltag immer mehr erschwert, die Frauenmorde in seiner Umgebung, sowie der mysteriöse Mann mit dem Geländewagen, der ihm neuerdings ständig begegnet. Ist das etwa Jutae Park, ein Serienmörder-Kollege? Und was hat er im Revier des alten Mannes verloren?

Der temporeiche Roman, den man vermutlich auch als Krimi bzw. Thriller bezeichnen könnte, kommt in einer äußerst nüchternen Sprache daher, die dennoch extrem hypnotisch ist. Das ist vermutlich auch der sehr gelungenen Übersetzung von Inwon Park zu verdanken. Der alternde Byongsu sieht sich durch seine Demenz gezwungen, über das Leben und den Tod nachzudenken, ja geradezu zu philosophieren, während er versucht, seinen Gegenspieler auszumerzen und seine Tochter zu beschützen. Er versucht so gut es geht, alles Erlebte festzuhalten, sowohl in seinem Notizbuch, das wir als Leser*innen lesen, als auch mit seinem Diktiergerät. Nur deshalb gelingt es ihm, dass Jutae Park nicht ständig wieder seinem Gedächtnis entschwindet.

In meinem Kopf herrscht Durcheinander. Mit dem Schwinden des Gedächtnisses weiß auch das Herz nicht mehr, wohin.

Unzuverlässiger als Byongsu Kim kann ein Erzähler eigentlich nicht sein. Das liegt einerseits daran, dass er kriminell ist und deutlich psychopathische Züge offenbart, und andererseits an seiner Alzheimer-Demenz, die ihn immer mehr vergessen lässt. Als Leser*in muss man sich die ganze Zeit fragen: Sind die Dinge wirklich so, wie Byongsu sie wahrnimmt? Ist es die Demenz, die ihn verwirrt, oder ist sein Verdacht begründet? Verrennt er sich in etwas? Haben wir es mit der Realität oder mit alzheimerbedingten Wahnvorstellungen zu tun? Die absolut geniale Prämisse des Buchs ist bitterböse und herrlich absurd – trotzdem schafft Young-ha Kim es, uns auch Mitleid und Verständnis für den Gedichte schreibenden Protagonisten empfinden zu lassen.

Abgesehen vom Inhalt ist auch die Aufmachung des Buches ein wahres Fest. Die Seitenzahlen verblassen mit fortschreitender Demenz des Protagonisten immer mehr. Das ist nur ein kleines, aber sehr feines Detail, das mich persönlich wahnsinnig glücklich macht. Es zeigt, genauso wie der wunderschön gestaltete Umschlag, der an die Bücher der Büchergilde erinnert, dass der Cass Verlag bei seinen Büchern mit viel Liebe ans Werk geht.

Ich hatte einen Nachbarn, der stets alles vergaß, wenn er bei einem Bankett etwas trank. Vielleicht ist der Tod ein Glas Schnaps, das man kippt, um das belanglose Bankett namens Leben zu vergessen.

Ich finde es enorm schwierig, etwas mehr zu diesem Roman zu sagen, ohne zu viel vorweg zu nehmen. Das liegt daran, dass er nur knappe 150 Seiten kurz und zudem großzügig gedruckt ist, aber auch daran, dass die verschiedenen Geheimnisse in Byongsus Leben ob der Kürze und des Tempos relativ schnell entwirrt werden. Deshalb versuche ich es einmal so:

Wer Spannung liebt, sollte dieses Buch lesen.
Wer ungewöhnliche Szenarien und Protagonisten mag, sollte dieses Buch lesen.
Wer sich gerne ein paar Stunden lang von einem Roman absolut mitreißen lässt, sollte dieses Buch lesen.
Wer überraschende Enden mit einem klugen Twist mag, sollte dieses Buch lesen.
Wer auf schwarzen Humor und Skurrilität steht, sollte dieses Buch lesen.
Fans von Fuminori Nakamuras sowie Kanae Minatos Romanen sollten dieses Buch lesen.

Der Mann brachte mich ein paar Mal zum Lachen, zweimal lobte er sogar meine Gedichte. Deshalb ließ ich ihn am Leben. Wahrscheinlich weiß er bis heute nicht, dass er auf geborgte Zeit lebt. Neulich las ich seinen neuesten Gedichtband, eine einzige Enttäuschung. Vielleicht hätte ich den Mann damals doch gleich um die Ecke bringen sollen.

Young-ha Kim hat mit seinem genreübergreifenden Roman Aufzeichnungen eines Serienmörders ein extrem temporeiches, kluges und kurzweiliges Lesevergnügen geschaffen. Mit hypnotischer Sprache, viel Absurditäten und genialen Twists schafft der es koreanische Autor, dass man nur so durch die Seiten hindurch rast. Ein kleines Krimi-Juwel, das definitiv mehr Lust auf die Bücher Kims macht.

Weitere Besprechungen findet ihr zum Beispiel bei Bücherkaffee und Bleisatz.

Der Roman wurde in Südkorea sogar verfilmt und lockte über 2 Millionen Zuschauer in die Kinos.
Wenn ihr mehr über Young-ha Kim und seinen Roman erfahren wollt, besucht die Seite des Cass Verlags.

2 comments

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  1. Alexander Carmele

    Wirklich gelungene Rezension! Ich kann die Leseeindrücke bestätigen – ich finde sogar, dass der Roman eine unheimliche, soziokulturelle Ebene besitzt, nämlich die vom Übergang aus einer Diktatur in die Demokratie. Dass die Seitenzahlen verblassen, ist ein wunderbares Detail, das leider auf einem Kindle nicht sichtbar ist. Da sieht man die Limitierung … schade, und toll, dass die Printversion so liebevoll umgesetzt wurde.

    Gefällt 1 Person

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