Haruki Murakamis Kurzgeschichten

Haruki Murakami Kurzgeschichten

Haruki Murakami ist den meisten Lesern vermutlich durch seine Romane bekannt: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt, Kafka am Strand, 1Q84, Mister Aufziehvogel, Naokos Lächeln, Südlich der Grenze, Westlich der Sonne oder der jüngst erschienene Zweiteiler Die Ermordung des Commendatore sind allesamt Weltbestseller. Doch der japanische Kultautor schreibt auch Kurzgeschichten. Und zwar immer dann, wie er selbst sagt, wenn er gerade einen Roman beendet hat. Und nach ein paar Kurzgeschichten kommt – genau, die große Lust, wieder einen neuen Roman zu verfassen.

„Einen Roman zu schreiben, bedeutet eine Herausforderung für mich, Kurzgeschichten zu schreiben ein Vergnügen. Wenn das Schreiben eines Romans dem Pflanzen eines Waldes gleicht, dann gleicht das Schreiben von Kurzgeschichten dem Anlegen eines Gartens. Die beiden Formen ergänzen einander und fügen sich zu einer Landschaft, die mir kostbar ist.“

Von Männern, die keine Frauen haben

Im Jahr 2014 erschien Murakamis neuster Band mit Kurzgeschichten, die alle von Männern handeln, die keine Frauen haben – weil sie keine fanden, weil sie sie verloren oder weil sie verlassen wurden. In sieben Stories freundet sich ein Protagonist mit dem Liebhaber seiner toten Frau an, ein Schönheitschirurg verliebt sich, eine moderne Scheherazade kümmert sich um einen einsamen Mann und erzählt ihm nach dem Sex Geschichten, ein Mann wird von seiner Frau verlassen und eröffnet eine Jazzbar und Gregor Samsa, der bis gestern noch ein Ungeziefer war, erwacht plötzlich als Mensch und verguckt sich in eine junge, buckelige Frau.

Von Männern, die keine Frauen haben war der erste komplette Kurzgeschichtenband, den ich von Haruki Murakami gelesen habe. Bis auf die grandios-raffinierte reverse-Kafka-Geschichte sind alle Stories eher im realistischen Bereich angesiedelt, sie bezaubern allerdings mit ihrer feinen Melancholie und fast unscheinbaren Traurigkeit.

Blinde Weide, schlafende Frau

Haruki Murakami erzählt von mysteriösen Spiegeln, einem Detektiv, der nicht genau weiß, was er eigentlich sucht, einem diebischen Affen aus Shinagawa, menschenfressenden Katzen und einer verschwundenen Freundin, von Menschen, die eine arme Tante haben, und solchen, die keine haben, von Glühwürmchen, Zwergtauchern und einem Mann aus Eis. Zwischen Realität und Anderswelt, zwischen Realismus, Metaphorik und Surrealem bewegt sich der Autor, wenn er über Liebe, Trauer, Einsamkeit, Identität und andere universelle Themen schreibt.

Diese Sammlung enthält 24 Kurzgeschichten Murakamis aus den Jahren 1983 bis 2005 – also eine relativ breite Spanne, was die Entstehung betrifft. Ich muss zugeben, dass mich die ersten Geschichten nicht ganz so sehr überzeugen konnten, wie ich es von Murakami gewohnt bin, sich dies jedoch im Verlauf des Buchs noch geändert hat. Interessant ist hierbei, dass dies keineswegs am Erscheinungsjahr der Story liegt, da diese nicht chronologisch angeordnet sind. Dieser Band enthält auch die Geschichte „Birthday Girl“, die einzeln und von Kat Menschik illustriert erschien. „Menschenfressende Katzen“ wurde etwas abgewandelt und deutlich erweitert 2002 als Roman mit dem Titel Sputnik Sweetheart herausgegeben. War die erste Hälfte des Sammelbandes noch so lala, konnte die zweite für mich glücklicherweise wieder an das gewohnte Niveau seiner anderen Stories anknüpfen.

Der Elefant verschwindet

Murakamis Band mit dem neugierig machenden und auf einer der Stories basierenden Titel Der Elefant verschwindet vereint acht Kurzgeschichten, von denen zwei aufeinander aufbauen. „Der Bäckereiüberfall“ und „Der zweite Bäckereiüberfall“ sowie „Schlaf“ wurden ebenfalls als eigenständige kurze Bücher veröffentlicht. Die Einstiegsgeschichte, „Der Aufziehvogel und die Dienstagsfrauen“ ist leicht abgewandelt als Romanbeginn in Mister Aufziehvogel zu finden. Die Stories drehen sich um brennende Scheunen, einen verschwundenen Elefanten, eine vermisste Katze und seltsame Anrufe beim Spaghettikochen, um klassische Musik, verlorengegangenen Schlaf und einen merkwürdigen Wind.

Dieser kürzere Sammelband bietet einen wunderbaren Überblick über Murakamis Schaffen: hier treffen nicht nur realistische und magisch-realistische Geschichten aufeinander, es sind auch alle Merkwürdigkeiten vorhanden, die Murakamis Bücher so unglaublich anziehend machen. Fünf der acht Stories sind großartig, die anderen drei aber keinesfalls schlecht. Mit „Schlaf“ ist auch eine der für mich besten Kurzgeschichten des Autors mit dabei – insgesamt also ein wirklich stimmiges, kurzes Buch mit qualitativ hochwertigen Kurzgeschichten.

Ein weiterer herausragender Band mit Murakamis Kurzgeschichten ist Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah, den wir bereits einzeln besprochen haben.

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