Bov Bjerg – Auerhaus

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Our House, in the Middle of our Street, Auerhaus

Das Leben auf dem Dorf ist nicht immer einfach, besonders in den 80er Jahren in Westdeutschland. „Birth, School, Work, Death“ lautet das Motto, das alle jungen Leute versuchen, zu vermeiden. Mit Frieder im Gepäck klappt das sogar ausgesprochen gut. Nachdem er versucht hat, sich das Leben zu nehmen, gründen seine drei besten Freunde mit ihm eine WG in einem alten Bauernhaus, das einmal Frieders Großvater gehört hat. Das Auerhaus, benannt nach dem Madness-Hit „Our House“, den sie ständig hören. Sie: der Ich-Erzähler, seine Freundin Vera und Cäcilia, die keine Lust mehr auf ihr gutes Elternhaus hat. So können sie immer ein Auge auf Frieder haben, denn wer weiß, wann er wieder etwas Dummes macht. Doch statt für einen geregelten, sicheren Alltag zu sorgen, bringen sich die Freunde gegenseitig das Klauen bei und nehmen die psychisch labile Brandstifterin Pauline sowie den schwulen Kiffer Harry bei sich auf. Während ihre Mitschüler sich um ihr Abitur und ihre Zukunft kümmern, versucht die Auerhaus-WG vor allem eines: Frieder am Leben zu halten.

Wieder das Rattern der Schienen, wieder der Lustzug. Frieder drehte sich weg und sagte: „Ich weiß, dass ich es wieder tun kann, wenn es nötig ist. Es ist ganz einfach.“

Bov Bjergs Roman Auerhaus mutet zunächst ein wenig wie Wolfgang Herrndorfs Bücher Tschick und Bilder deiner großen Liebe an. Doch sind es zwei verschiedene Paar Schuhe, Äpfel und Orangen quasi, denn bei aller Ähnlichkeit von Thematik und Sprache, die auf den ersten Blick besteht, findet Bjerg seine ganz eigene Stimme.

Der Ton ist jovial, der nur als Herr Höppner bekannte Erzähler und seine Freunde klingen wie authentische Abiturienten, nichts wirkt aufgesetzt. Zwischenzeitlich vermischen sich die Berichte des Ich-Erzählers mit seinen Tagträumen und gehen nahtlos ineinander über. So kommt es, dass ich ab und an stutzte, weil ich mir überhaupt nicht mehr sicher war, ob diese Situation nun wirklich passierte oder sich lediglich in der Gedankenwelt des Erzählers abspielte. Bov Bjerg, der eigentlich Kabarettist ist, schreibt nostalgisch über die Zeit im Auerhaus, die ihn an seine eigene WG als Jugendlicher erinnert. Auch wenn manche Szene melancholisch anmutet, gibt es viele humorvolle Stellen die sich vor allem durch skurriles Lustigsein auszeichnen.

„Stellen Sie sich vor, Sie spazieren nachts mit Ihrer Freundin durch den Park. Plötzlich springt ein nackter Russe aus den Büschen und will ihre Freundin vergewaltigen. Sie haben zufällig eine Panzerfaust bei sich. Was tun Sie?“

Das zentrale Thema des kurzen Romans ist die Freundschaft. Der Ich-Erzähler, Frieder, Vera, Pauline, Cäcilia und Harry verbringen jeden Tag und jede Nacht gemeinsam im Auerhaus, sie lachen, streiten, feiern wilde Partys und versuchen, sich um den Wehrdienst zu drücken. Auch wenn sie komische Charaktere sind, die einen Hang zum Gefährlichen besitzen, versuchen sie dennoch, ihren Alltag so normal wie möglich zu gestalten. Federball spielen, gemeinsames Kochen, Silvester feiern, alles, um Frieder Halt und Geborgenheit zu vermitteln. Sie sind wie eine Familie, die bloß ab und zu ein paar jugendliche Dummheiten begeht. Doch immer wieder schleicht sich bei ihnen die Angst ein, Frieder könne wieder schlimme Gedanken haben, sich schlecht fühlen, den nächsten Selbstmordversuch planen. Man redet und redet und redet die ganze Nacht durch, redet sich um Kopf und Kragen, redet um Frieders Leben.

Sturm und Drang, Klassik, Romantik, ich konnte mir die Reihenfolge nie merken. Ich verstand nicht, wie das funktionierte mit diesen Epochen. Hatte sich Goethe irgendwann mal vorgenommen, so, genug Klassik geschrieben, das wird mir langweilig, jetzt schreibe ich Sturm und Drang? Außerdem war der Epochen-Name völlig bescheuert. „Sturm und Drang“, das klang wie so eine christliche Teenie-Band.

Der Roman bewegt sich somit zwischen einem unbeschwertem letzten Sommer von sechs Oberstufenschülern und dem dramatischen Versuch, einen selbstmordgefährdeten Jungen im Leben zu halten – Freude und Trauer, Witz und Ernst sind hier unmittelbar miteinander verwoben, unzertrennlich. Auf den ersten Blick wirkt die Lektüre kurzweilig und unterhaltsam, doch sie hat sich schnell als tiefsinnig, herzerwärmend und kraftvoll entpuppt. Bov Bjerg schafft es in Auerhaus, in einfacher, jugendlicher Sprache von Übergängen zu erzählen – zwischen Schule und Arbeitswelt, zwischen Leben und Tod.

1 comment

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  1. Buchperlenblog

    Hallo! :)
    Ich habe zuletzt ebenfalls Auerhaus gelesen und bin doch sehr von diesem Buch angetan. Ich habe auch das Gefühl, dass die Geschichte erst im Nachhinein sein volles Potential ausschöpft. Während des Lesens ging einiges an mir vorbei, doch dauern die Gedanken danach noch länger an.

    Tolle Besprechung!

    Liebe Grüße,
    Gabriela

    Gefällt 1 Person

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