Tomas Espedal – Wider die Kunst

Wider die Kunst

Vom Schmerz und vom Schreiben: Tomas Espedals Wider die Kunst ist ein weiterer Beweis für das außerordentliche Können des norwegischen Schriftstellers

Das Leben des norwegischen Autors Tomas Espedal wird von zwei Schicksalsschlägen erschüttert: Zuerst stirbt seine Mutter und kurz darauf seine Frau Agnete. Er bleibt allein mit der Tochter zurück und versucht eine neue Art zu leben. Trost kann er ihr in seiner Trauer kaum spenden und der Versuch, die Mutter zu ersetzen, beraubt das Kind des Vaters. Halt findet Espeal in seiner Familiengeschichte. Eng verwebt Espedal sein Leben und sein Schreiben und erzählt von seinen eigenen Erfahrungen.

Erst Anfang dieses Jahres habe ich den Schriftsteller Tomas Epedal für mich entdeckt und er ist in diesen wenigen Monaten zu einem der Autoren geworden, die ich am meisten schätze. Wider die Kunst ist nun das letzte Werk, das ich von ihm gelesen habe und leider habe ich damit schon alle Bücher gelesen, die bis jetzt von ihm übersetzt wurden. Ich hoffe es gibt in absehbarer Zeit weitere Romane, die auf Deutsch erscheinen.

Ich dachte an das Schreiben wie eine notwendige Arbeit. Ich hatte feste Routinen. Ich hatte ein Arbeitszimmer. Ich arbeitete. Wie mein Vater vor mir und sein Vater vor ihm, wir arbeiteten. Wir arbeiteten, um die Armut fernzuhalten, diese Familienschwäche, diese konstante Sorge, nicht genug Geld zu haben, die Familie nicht versorgen zu können, sie wurde vererbt, wir waren und blieben eine Arbeiterfamilie, wir arbeiteten, um Geld zu verdienen, und ich schrieb, als wäre ich in einer Fabrik angestellt.

Wer Espedal kennt, weiß, was ihn in Wider die Kunst erwartet: Eine enge Verbindung von persönlichen Erfahrungen und der Verarbeitung im literarischen Schreiben. Ausgangspunkt sind die Verluste der Mutter und seiner Ehefrau. Er bleibt mit der Tochter, die sich im Teenageralter befindet, allein zurück. Der Versuch, die Mutter zu ersetzen, ist zum Scheitern verurteilt. Im Schreiben und dem Nachdenken über seine Familiengeschichte findet er halt. Er beschreibt die Begegnungen seiner Eltern, wobei der Fokus vor allem auf der Familie seiner Mutter liegt. Dabei wird auch deutlich, wie sehr er im Arbeitermilieu verwurzelt ist. Über die Großeltern verfolgt der Leser die Familie bis hin zu Espedals Kindheit, seinen Ängsten, Sorgen, aber auch seinen ersten Schreibversuchen.

Aber es geht nicht nur um die Familie. Typisch für Espedal reflektiert er seinen eigenen Schreibprozess, die Bedeutung, welche dieser für ihn persönlich hat und wie sehr er darauf angewiesen ist. Der literarische Schaffensprozess als Weg, die eigenen Gefühle und in diesem Fall eben Verluste, zu verarbeiten. Er berichtet von seinem ersten Manuskript, in dem er seine damalige Lebensgefährtin als Vorlage benutzt. Als sie es liest, zerbricht die Beziehung. In der Rückschau bekennt Espedal, dass erst die Trennung und der damit verbundene Schmerz, ihn zu einem besseren und produktiveren Autor gemacht haben. Aus vielen Zeilen kommt einem förmlich die Leidenschaft für Literatur und zum Schreiben entgegen. Bis jetzt habe ich nirgends so schön und ehrlich vom Handwerk des Schreibens gelesen, wie bei Espedal.

Worte und Sätze gingen mir durch den Kopf, als wäre das Innere meiner Augenlider ein umgedrehtes Blatt Papier, auf dem jemand schrieb, ein dunkles Papier, auf dem die Wörter mit voller Kraft einschlugen, sie leuchteten.

Mindestens genauso beeindruckend wie die Ehrlichkeit und Offenheit des Autors in Bezug auf sein eigenes Leben, ist die Art und Weise, wie er es schafft, davon zu berichten. Sätze von großer Klarheit, die sein Innerstes zeigen. Manchmal auch bruchstückhaft und sprunghaft. Es sind vor allem kurze Sätze, die der Autor benutzt und die schon fast an Lyrik erinnern. Dabei entwickeln sie ihren ganz eigenen Rhythmus, in den der Leser sich fallen lassen kann. Das Wort ‚authentisch‘ mag oft überstrapaziert sein, aber hier finde ich es wirklich passend. Keine Künsteleien, sondern ein klarer Bezug auf das Wesentliche. Das führt gleichzeitig dazu, dass das Erzählte häufig sehr dicht gerät.

Der erste Satz, er muss hart sein wie Stahl. Man arbeitet ihn heraus, schleift und bürstet, schneidet und feilt, es ist Handwerk. Das mechanische Geräusch der Schreibmaschine, wie allein in Fabrikräumen zu sitzen und die Stimmen derer zu hören, die nicht da sind; untätige Hände und schwere Schuhe, die über den Boden trampeln ohne einen Laut. Der Satz schimmert. Hart wie Stahl. Uns ist gemeinsam, meiner Tochter und mir, dass wir beide unsere Mütter verloren haben.

Wider die Kunst von Tomas Espedal ist erneut ein Roman, in dem der Autor seine Leser nah an sich heran lässt. Voller Erinnerungen an die eigene Familie, Verluste und Schmerz. Dazu Passagen, in denen er seine eigenen Schreibprozesse reflektiert und die Kraft, die er daraus ziehen kann. Aber allein die Sprache, die Espedal dafür findet, ist es wert, den Roman zu lesen. Ein Werk von großer Ehrlichkeit und einer glasklaren Sprache. Wie immer eine absolute Leseempfehlung!

Weitere Rezensionen findet ihr bei Zeichen&Zeiten und Literaturleuchtet.

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