Die Heimat als Sehnsuchtsort. In seinem neuen Werk Bergeners reist Tomas Espedal immer wieder an ihm fremde Orte, nur um die Liebe zu Bergen neu zu entdecken. Ein Buch, das von seiner Heimatliebe und seinem ausgeprägten Gefühl von Einsamkeit erzählt.
Tomas Espedal berichtet von seinem Leben als Bergener. Obwohl er hier aufgewachsen ist und sich der Stadt sehr verbunden fühlt, zieht es ihn immer wieder fort. Nach New York, nach Berlin, nach Madrid und nach Griechenland. Dabei erinnert er sich an die dortigen Begegnungen: den Schriftsteller, der nicht schreiben kann, das Mädchen, das ihm in Nafplio jeden Morgen Kekse serviert und Dag Solstad, der ihm erklärt, wie er Goyas Pinturas Negras betrachten soll. Doch die Sehnsucht nach der verregneten Heimat Bergen und den Menschen dort begleitet Espedal auf all seinen Reisen.
Wer unseren Blog in den letzten Jahren verfolgt hat, der wird wissen, dass ich Tomas Espedal als Autor sehr schätze. Sein neues Buch mit dem Titel Bergeners ist eine Mischung aus Essays, Reiseberichten und Lyrik. Fixpunkt ist die gesamte Zeit seine Heimatstadt Bergen, wo er auch aufgewachsen ist. Hier lagern all seine Erinnerungen, sowohl gute als auch schlechte. In dem für Espedal typischen knappen aber gleichzeitig glasklaren Stil berichtet er von seinen Reisen, den Menschen, die er unterwegs getroffen und den Erfahrungen, die er gemacht hat. Egal wo er sich befindet und in welcher Situation er ist, Bergen ist in seinen Gedanken immer präsent.
So erzählt er von einer Begegnung, die ihm besonders in Erinnerung geblieben ist, mit dem Autor Harold Costello, der außerhalb eines Dorfes lebt. Den Weg dorthin findet Espedal nur mit Mühe. Am Haus von Costello angekommen, ist er überwältigt von der Schönheit der Natur und kann sich kaum etwas Schöneres vorstellen, als an diesem Ort zu arbeiten. Costello selbst konnte kaum etwas zu Papier bringen und hat, seit er hier lebt, kein Werk zu Ende gebracht. Und auch Espedal muss feststellen, dass der anfängliche Schreibfluss nach wenigen Wochen zum Erliegen kommt und er in dieser perfekten Umgebung voller Ruhe nichts zustande bringt.
Manchmal schreibt man besser ohne Licht im Dunkeln, wenn die schwarzen Buchstaben verschwinden, nachdem man sie geschrieben hat. Wie in Wasser zu schreiben. Wie die Worte hinüberfließen auf dem Weißen in das Schwarze; was du eben geschrieben hast, kannst du nicht lesen.
Wer bereits mehrere Bücher von Espedal gelesen hat, wird inhaltlich manches wiedererkennen. So schreibt er auch nochmal einige Seiten über die Zeit mit seiner Frau in Nicaragua. Auch eine Episode, die sein Freund und Kollege Karl Ove Knausgård bereits in einem seiner Bücher geschildert hat, greift er auf. Gewidmet sind viele Texte bestimmten Frauen, die für Espedal eine besondere Rolle gespielt haben. Damit einher geht eine Traurigkeit und Melancholie über den Verlust und die Erinnerung an die gemeinsame Zeit. Hier wird ebenfalls auch noch einmal der bereits geschilderte Auszug seiner Tochter aufgegriffen, der für Espedal sehr schwierig war. All diese Passagen sind allerdings keine Wiederholungen des bereits Geschriebenen, sondern ergänzen die anderen Werke um neue Aspekte und Emotionen.
Viele verlassen die Stadt, ziehen fort. Viele schaffen es nicht, längere Zeit in Bergen zu wohnen; der gefängnisartige Regen, das feuchte Eingesperrtsein zwischen den Bergen macht einen krank und lebensmüde. Man ist gezwungen, hinter verschlossenen Türen zu leben, allein oder in kleinen Familien. Man geht von Haus zu Haus, von Lokal zu Lokal, von Bar zu Bar, von Drinnen zu Drinnen. Man könnte sämtliche Einwohner aus der Stadt wegschaffen und sie mit ganz anderen Leuten neu füllen, die Stadt würde dieselbe bleiben.
Einsamkeit und der Umgang mit diesem Gefühl sind einer der zentralen Punkte in Bergeners, den Espedal immer wieder in unterschiedlichen Kontexten aufgreift und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Auch die Kraft der Worte kann die Einsamkeit nicht verdrängen, sie begleitet ihn immer weiter. Seine Versuche, sich selbst in der Fremde und auf Reisen neu zu definieren, scheitern. Die Fremde erscheint ihm zu fremd, gegen seine Bedürfnisse und Natur, weshalb es ihn immer zurück nach Bergen und den dort lebenden Menschen zieht.
Wie soll man sich, wenn man bald fünfzig wird, in einem leeren Haus einrichten?
Wie soll man sich zu seiner Einsamkeit verhalten, womit soll man sie füllen?
Wie soll man leben?
Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.
Obwohl mir Espedals neues Werk Bergeners wieder gut gefallen hat, kann es für mich nicht die Klasse von anderen Büchern wie Wider die Natur oder Wider die Kunst erreichen. Es erlangt nicht dieselbe Tiefe, was vielleicht auch der Form, einer Mischung aus essayistischen, lyrischen und eher darstellenden Beiträgen liegen mag. Dennoch zeigt sich an einigen Stellen wieder die große Kunst des Autors, die auch dafür sorgt, dass ich ihn lieber lese als Knausgård. Espedal brauch nur wenige Wörter oder Sätze, um in seiner klaren Art seine Gefühle, Eindrücke und Beobachtungen zum Ausdruck zu bringen. Diese formuliert er zwar knapp, aber auf bewundernswerte Weise punktgenau. Hier habe ich immer das Gefühl, dass jedes Wort an seiner richtigen Stelle steht.
Aufgrund seiner immer wiederkehrenden Thematik der Einsamkeit kommt Bergeners etwas schwermütig daher. Espedal ist auf der Suche nach sich selbst und einem Gefühl von Heimat, dass er nur seinem Herkunftsort Bergen findet. Die Form ist offen gewählt. Mal sind es Gedichte, dann wieder eher darstellende Berichte von Orten, die er bereist hat. Am stärksten ist der Band, wenn Espedal sich auf seine eigenen Gefühle bezieht und diese mit seiner ganzen Klarheit offen eingesteht. Bergeners mag vielleicht nicht das Niveau von anderen Werken des Autors haben, zeigt aber Facetten von Espedal, die das bereits entstandene Bild weiter ergänzen und vertiefen. Wer bereits seine vorigen Bücher mochte, wird auch in Bergeners viel Positives finden.
Ich mag Espedals Bücher ebenfalls sehr gern, deshalb komme ich nicht um sein neuestes Buch herum, ein Must-Have, gerade auch wegen Deines wundervollen Beitrags. Viele Grüße
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Dann hoffe ich, dass dir dieses auch wieder gut gefällt. Mir fällt gerade im Vergleich zu den Knausgard-Romanen, von denen ich jetzt endlich einige gelesen habe, auf, dass ich mit der knappen Art von Espedal deutlich mehr anfangen kann.
Viele Grüße!
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Ich denke, dass Espedal auch einen Funken literarischer ist, eben in seiner Verknappung. Ich habe mir allerdings auch vorgenommen, mich wieder einmal Knausgard zu widmen. Da gibt es noch ein paar Bände der Min-kamp-Reihe, die ich bisher noch nicht gelesen habe. Viele Grüße
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[…] wird einige Passagen wiedererkennen. Insgesamt nicht ganz so stark wie seine anderen Werke, ist Bergeners dennoch ein Buch, das das entstandene Bild von Espedal sinnvoll erweitert und […]
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