Von den Grenzen der Toleranz
In Manhattan entscheidet eine Jury über den Entwurf einer Gedenkstätte für die Opfer des Terroranschlags vom 11. September. Nach langen Beratungen und Diskussionen öffnen sie den Briefumschlag mit dem Namen des anonymen Gewinners und sind entsetzt. Wer darf sich als Fürsprecher für die Trauernden präsentieren? Claire Burwell, die ihren Mann bei den Anschlägen verloren hat, setzt sich am stärksten für den Gewinner ein. Doch als die Entscheidung der Jury an die Öffentlichkeit gerät, wird Claire zum Ziel von Journalisten, aufgebrachten Angehörigen, Aktivisten und Politikern. Aber auch der ebenso begabte wie eigensinnige Architekt lässt ihr keine Ruhe.
Nachdem die Jury sich für den Entwurf von Mohammed Khan, einem muslimischen Architekten, entschieden hat, steht die Frage im Raum, ob ein solcher Architekt überhaupt ein Denkmal für die Opfer eines islamistischen Anschlags setzten darf, aber ebenso bedeutsam ist, ob sich eine solche Frage überhaupt stellen darf. Der ausgezeichnete Architekt ist, abgesehen von seinem Namen, ohne Bezug zum Islam. Von seinen Bekannten wird er Mo genannt, ist in den Staaten aufgewachsen, etwas egoistisch und karriereorientiert. Aber für die Gegner reicht der Name aus. Sein Entwurf eines Gartens wird als Paradies für Märtyrer angesehen. Dem Leser werden viele verschiedene Personen sowie deren Perspektiven auf die Auseinandersetzung vorgestellt. Das hatte allerdings auch zur Folge, dass ich mit keiner der Figuren wirklich mitgefiebert habe, oder dass ihr Schicksal mir nahe gegangen wäre. Dafür wirken sie teilweise auch zu bekannt: Journalisten die ohne Skrupel nur auf eine große Story aus sind, Banker die um ihren guten Ruf fürchten, Politiker die schon Wahlkampf machen und Funktionäre, welche die Umstände für ihre eigne Sache nutzen wollen. Allerdings sorgt die Autorin durch die vielen Perspektiven dafür, dass wirklich keine Meinung ausgelassen wird und sowohl amerikanische als auch muslimische Ansichten vorgetragen werden. Bei einigen Meinungen und Auffassungen der Charaktere konnte ich nur fassungslos mit dem Kopf schütteln aufgrund ihrer Engstirnigkeit und dem beiläufigen Rassismus. Am interessantesten ist neben der Figur des Architekten die junge Frau Asam Anwar, die ihren Mann verloren hat. Sie stammt eigentlich aus Bangladesch und kann sich nur illegal in den USA aufhalten. Mit ihren Erinnerungen an die alte Heimat und der dortigen Kultur bringt sie eine ganz eigene Perspektive in die Handlung. Daneben ist vor allem Mohammed Khan ein spannender Charakter. Dabei erschien er mir nicht gerade als Sympathieträger. Er ist egoistisch, eitel und karriereorientiert. Doch seine Beobachtungsgabe und die Art, wie er sein eigenes Verhalten sowie die Geschehnisse, die nur aufgrund seines Namens beginnen, einordnet und reflektiert, ist von der Autorin wunderbar dargestellt. Khan erscheint überfordert mit dem Sturm, der über ihm zusammenbricht. Doch wie soll er auch reagieren, wenn er nur aufgrund seines Namens für die Taten von Menschen verantwortlich gemacht wird, die dieselbe Herkunft haben? Khan ist den Amerikanern zu muslimisch und den Muslimen zu amerikanisch.
Obwohl die Handlung vor knapp 10 Jahren spielt, ist das Thema Islamfeindlichkeit immer noch hochaktuell, ebenso wie eine der zentralen Fragen des Romans: Wem vertraue ich und warum? Während zu Beginn des Romans vor allem mit Worten gekämpft wird, steigert sich die Gewalt immer mehr und es kommt zu immer heftigeren Auseinandersetzungen, die sich von der ursprünglichen Frage nach dem Denkmal entfernen. Letztlich geht der Kampf um die Deutungshoheit des Geländes mit Namen Ground Zero, das für die USA ein Symbol der Trauer, aber ebenso der Demütigung und Niederlage darstellt.
Da es im Roman zu vielen Diskussionen und verbalen Auseinandersetzungen kommt, überrascht es nicht, dass er aus vielen Dialogen besteht. Der Stil der Autorin erscheint mir recht funktional, wobei ich finde, dass sie vor allem bei den Beschreibungen von zwischenmenschlichen Gefühlen an ihre Grenzen stößt. Das Funktionale zeigt sich vor allem in den Beschreibungen außerhalb der Dialoge:
Das Konzept des Gartens war denkbar einfach: ein von Mauern eingefasster quadratischer, streng geometrisch untergliederter Raum. In der Mitte lud ein etwas erhöhter Pavillon zur Besinnung ein. Zwei breite, rechtwinklig aufeinandertreffende Kanäle viertelten das sechs Hektar große Gelände. Gehwege innerhalb der vier Quadranten bildeten zusammen mit den Bäumen, den echten und denen aus Stahl, die wie in einer Baumschule in Reih und Glied ausgerichtet waren, ein Raster. Die Namen der Opfer sollten auf den Innenflächen der weißen, neun Meter hohen Umfassungsmauer aufgelistet werden, so angeordnet, dass das Textfeld den Umriss der zerstörten Gebäude ergab. Die stählernen Bäume riefen die Türme noch buchstäblicher in Erinnerung: Sie würden aus den gefundenen Metallüberresten hergestellt werden.
Das Buch zeigt zudem eine deutliche Medien- und Gesellschaftskritik. Politiker instrumentalisieren den Fall für sich und islamische Verbände wollen Khan als Gesicht für ihre Kampagnen nutzen. Den Medien erscheint jedes Mittel recht, um Auflage zu machen, auch wenn das bedeutet, Meldungen zu erfinden, Persönlichkeitsrechte zu verletzten oder den Konflikt weiter zu befeuern.
Spannend und aktuell
Der amerikanische Architekt von Amy Waldman hat mich überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das Buch so gut ist. Das Gedankenspiel fand ich von vornherein interessant, doch was die Autorin daraus macht, hat mich wirklich beeindruckt. Sie lässt alle Meinungsrichtungen zu Wort kommen und bietet viele Perspektiven, die sie zu einer fundierten Gesellschafts- und Medienkritik verknüpft. Einziger Wermutstropfen ist, dass ihr Stil nicht immer überzeugt, sondern vor allem seinen Zweck erfüllt.