David Foster Wallace – In alter Vertrautheit

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Der große David Foster Wallace in Kurzform

David Foster Wallaces Werk In alter Vertrautheit besteht aus fünf Kurzgeschichten, die völlig unterschiedliche Thematiken abdecken. Die erste Erzählung spielt sich in dem Konferenzraum einer Marktforschungs-Agentur ab – man plant einen Giftanschlag mit Schokoriegeln auf die Testgruppe. Im zweiten Teil berichtet ein ehemaliger Sonderschüler von dem Schultag, als sein Vertretungslehrer völlig durchdrehte und wahnhaft „Tötet sie alle“ an die Tafel schrieb. Die dritte Geschichte zeigt auf nur vier Seiten den Horror jeder Eltern auf – wenn dem geliebten Kind ein schrecklicher Unfall widerfährt. Weiter geht es mit einem Jungen mit scheinbar übernatürlichen Fähigkeiten, der in seinem Dorf mitten im Regenwald zu einer Art Orakel ernannt und von seinem Stamm verehrt wird. Die letzte Kurzgeschichte führt uns in die Gedankenwelt eines Heuchlers (so er selbst), der den einzigen Ausweg aus seinem schändlichen Dasein im Selbstmord sieht und darüber philosophiert, was passiert, wenn ein Mensch stirbt.

Das ist er also. Der hochgelobte DFW, der nach seinem tragischen Selbstmord 2008 unglaublich viele Jünger fand. Ich muss gestehen, ich gehöre nicht zu ihnen. Es ist das erste Buch von DFW, an das ich mich herangetraut habe, da Unendlicher Spaß einfach unendlich abschreckend wirkt. Dass er literarisch echt was drauf hat, möchte ich gar nicht anzweifeln. Trotzdem habe ich ein bisschen mehr von ihm erwartet…besonders was Leserfreundlichkeit und Spaß am Lesen angeht.

Die Erzählung über das Kleinkind, das einen grausamen Unfall im eigenen Zuhause hat, fand ich – trotz ihrer Kürze – bewegend und schockierend. Diese einzelne Szene gibt allein mehr her, als so manch andere 100-Seiten Geschichte. Auch die Story über den irren Lehrer, der vor seinen Schülern den Verstand verliert, fand ich thematisch sehr spannend. Foster Wallace hat eine ganz eigene Art, eine drückende Atmosphäre zu entwickeln. Das geschieht besonders durch die geistige Abwesenheit des Jungens, der durch ein Drahtgitterfenster nach draußen starrt und in seinem Kopf Geschichten spinnt, ohne seinen Lehrer zu bemerken. Das waren die beiden Kurzgeschichten, die mir in dieser Sammlung sehr gut gefallen haben.

Die Geschichte über den Jungen im Regenwalddorf fand ich von der Grundidee her eigentlich auch sehr interessant. Leider hat sich der Autor dazu entschlossen, sie von einem sehr gebildeten Erzähler vortragen zu lassen, sodass ich schon auf der ersten Seite dank etlicher unnötiger Fremdwörter und geschwollener Ausdrücke fast so verrückt geworden bin wie der Vertretungslehrer. Ja, ich habe verstanden, dass der erzählende Herr sehr intelligent und kultiviert ist, aber meiner Meinung nach war das alles sprachlich zu viel des Guten.

Zudem möchte man eilends hinzufügen, dass diese Fassung oder dieses exemplum eine formelle Verkündung per se ebenso wenig enthielt wie comme on dit Initiationsprüfungen oder übernatürliche Hilfeleistungen, Trickstergestalten, archetypische Auferstehungen[…]

…und so weiter und so fort. Genau so ist es in der Geschichte über die Schokoriegel. Nur, dass ich diese dank der Fachsprache aus Werbung und Marktforschung kaum verstehen kann. Die Sätze bestehen für mich zu 90% aus „Blablabla“. Dazu kommt, dass es einfach wahnsinnig öde ist. Ich habe die Geschichte nicht einmal zu Ende gelesen, weil ich so genervt und gleichzeitig gelangweilt war. 90 Seiten lang ist sie, und nach 55 habe ich es endgültig aufgegeben. Dabei kam der Giftanschlag bis dahin noch nicht einmal vor. Die allerletzte Story über den Selbstmord habe ich mir direkt gespart, da ich total demotiviert war und keine Lust mehr hatte, mich weiter zu quälen.

Hier kommen wir nämlich zum springenden Punkt, den ich am Anfang ansprach: Ja, DFW kann tolle fiktive Situationen kreieren und er beherrscht es, verschiedene Sprachstile für seine unterschiedlichen Kurzgeschichten zu verwenden. Literaturwissenschaftler mögen ganz glücklich sein, seine Werke zu lesen. Aber normalsterbliche Leser werden in ihrem Lesevergnügen doch sehr eingeschränkt. Das finde ich wirklich schade. Denn für mich bedeutet ein großartiger Autor zu sein nicht nur, literarisches Können zu besitzen – man sollte die Leser auch erfreuen, statt sie zu quälen.

Halb überzeugend, halb abschreckend

Zwei der Erzählungen aus David Foster Wallaces Werk In alter Vertrautheit haben mir sehr gut gefallen. Zwei von ihnen fand ich allerdings so anstrengend und sprachlich „over the top“, dass ich die letzte Geschichte gar nicht erst angefangen habe. Lust bekommen, sein Opus Magnum Unendlicher Spaß zu lesen, habe ich definitiv auch nicht. Ich bezweifle, dass ich mich jemals mit ihm anfreunden kann. Warum man ihn als Literat sehr schätzt, kann ich jedoch gut nachvollziehen.

3sterne

3 comments

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  1. vasenmeister

    Ja, den DFW muss man mögen. Ich habe es mit dem Unendlichen Spaß versucht, aber das ist auch überbordend von der Handlung her. Auch diese Kurzgeschichten, die du hier rezensierst, habe ich gelesen. Ich kann verstehen, dass es Leser gibt, die ihn mögen. Mein Fall ist er auch nicht unbedingt, aber da muss man ja aufpassen, wenn man so etwas sagt.

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      • vasenmeister

        Es ist auch kein schlechter Roman, aber man hat nie so das Gefühl das große Ganze zu überblicken, weil man ständig überlegt, wie passen die Fußnoten jetzt in den Gesamtkontext. Es ist ein wenig mühselig, aber zwischendurch macht es auch Spaß. Es wechselt halt ständig.

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