Julian Barnes – The Only Story / Die einzige Geschichte

Julian Barnes die Einzige Geschichte Rezension

Julian Barnes lotet die Tiefen und das Scheitern einer unerhörten Beziehung aus: The Only Story knüpft an die Klasse von Vom Ende einer Geschichte an.

Als der neunzehnjährige Student Paul in den sechziger Jahren während der Ferien nach Hause kommt, überredet ihn seine Mutter, dem örtlichen Tennisclub beizutreten. Dort spielt er zusammen mit der deutlich älteren Susan Macleod. Susan ist eine gute Spielerin, die verheiratet ist und zwei fast erwachsene Töchter hat. Paul und Susan verstehen sich auf Anhieb und werden bald ein Paar. Der junge Student ist sich sicher, mit der älteren Frau die Partnerin fürs Leben gefunden zu haben.

You’re still in it. You’ll always be in it. No, not literally. But in your heart. Nothing ever ends, not if it’s gone that deep. You’ll always be walking wounded. That’s the only choice, after a while. Walking wounded, or dead. Don’t you agree?

Julian Barnes hat sich in den letzten Jahren zu einem der Autoren entwickelt, dessen neue Romane ich unabhängig vom Inhalt lesen würde – und bis jetzt wurde ich auch noch nie wirklich enttäuscht. Und das bleibt auch mit seinem neuen Roman The Only Story so. Hier erzählt der englische Autor von den Konsequenzen der ersten Liebe, die den Studenten Paul sein Leben lang begleiten und über die er immer nachdenken wird. Anfang der sechziger Jahre beginnt er eine Beziehung mit einer fast dreißig Jahre älteren Frau, die verheiratet ist und deren Töchter fast so alt sind wie er selbst und Paul geht im Haus der Macleods ein und aus.

Paul, der ebenfalls als Erzähler fungiert, teilt die Geschichte in drei Abschnitte auf. Im ersten Teil beschreibt er den Beginn der Beziehung, im zweiten Teil das Zusammenleben sowie das langsam fortschreitende Scheitern und der dritte Teil beschäftigt sich mit den Auswirkungen für sein Leben. Dabei ist der Roman nicht nur ein Buch über eine unerhörte Beziehung gegen die gesellschaftlichen Konventionen. Vielmehr ist es genauso ein Sittenbild der englischen Nachkriegsgesellschaft: auf der einen Seite die junge Generation zu der Paul gehört und auf der anderen Seite die Generation seiner Eltern und der Macleods, die den zweiten Weltkrieg erlebt haben und in Gedanken noch dem alten Empire angehören. Mit neunzehn Jahren geht Paul davon aus, dass er Susan nur genug lieben muss und so alle Hürden überwinden kann.

Here is something I often thought at this time: I’ve been educated at school and university, and yet, in real terms, I know nothing. Susan bare went to school, but she knows so much more. I’ve got the book-learning, she’s got the life-learning.

Der für mich stärkste Abschnitt ist der zweite Teil, in dem Paul mit Susan zusammen lebt und die Ambivalenz in ihrer Beziehung immer stärker zum Vorschein kommt. Barnes gelingt es hervorragend die Gedankenwelt von Paul darzustellen, der glaubt, immer für Susan da sein zu müssen, gleichzeitig aber spürt, dass es eigentlich vorbei ist, jedoch nicht den Mut und die Kraft findet, ein offenes Gespräch mit Susan zu führen. So versucht er, ihr immer weiter zu helfen, glaubt retten zu können, was nicht mehr zu retten ist und lässt sich so immer weiter in eine Co-Abhängigkeit hineinziehen, stets mit der Vorstellung, dass seine starke Liebe Susan retten kann. So verbringt er seine zwanziger Jahre in einer Beziehung, die beide Seiten nicht (mehr) glücklich macht. Barnes glänzt hier einmal mehr mit klugen und feinen Beobachtungen, für die er stets die richtigen und passenden Worte findet.

Spätestens im zweiten Teil wird deutlich, wie naiv Pauls Vorstellung ist und dass Susan ihn immer weiter mit in einen Abgrund zieht. Die Konsequenzen verfolgen ihn sein Leben lang. Während Barnes im ersten Teil noch einen Ich-Erzähler nutzt, geht er im zweiten Teil zum eher selten vorkommenden Du über und im letzten Abschnitt letztlich zum distanzierten Er-Erzähler. So wird der emotionale Abstand, den Paul mit der Zeit aufbaut, auch auf der formalen Ebene sichtbar.

Ebenso kommt zum einen die oft naive Sichtwiese des 19-jährigen zum Vorschein und gleichzeitig der deutlich ältere Paul, der mit zeitlichem Abstand retrospektiv erzählt und immer wieder einen bitteren Unterton erkennen lässt. Das Ende hat dabei fast schon etwas Tragisches. Paul versucht, das, was passiert ist, zu verstehen und schreibt aus Geschichten Gedanken über die Liebe auf. Diese verwirft er immer wieder, schreibt sie dann doch wieder auf, um sie dann letztlich erneut durchzustreichen. Das Zusammensein mit Susan hat ihn für sein Leben gezeichnet und geprägt.

He sometimes asked himself a question about life. Which are truer, the happy memories, or the unhappy ones? He decided, eventually, that the question was unanswerable.

An einer Stelle im Roman fallen die Sätze: „Most of us have only one story to tell. I don’t mean that only one thing happens to us in our lives: there are countless events, which we turn into countless stories. But there’s only one that matters, only one finally worth telling.” Um diesen Punkt kreist auch Paul immer wieder. Seine erste Liebe, die Geschichte, die er sich immer wieder erzählt und aus allen möglichen Perspektiven betrachtet, ist die Geschichte und das bestimmende Ereignis in seinem Leben, das ihn zu dem Mann gemacht hat, der er nun ist. Der Mann, der sich so viele Gedanken über die Liebe macht. Dieser Rückblick auf die prägenden Momente im Leben und die Art darüber zu sprechen, nachzudenken, zu reflektieren und die Ereignisse darzustellen, ist sicherlich ein Element, das an einen anderen Roman des Autors anknüpft: Vom Ende einer Geschichte.

Dabei bietet The Only Story dem Leser verschiedene Lesarten an: es funktioniert als Liebesgeschichte ebenso wie als Erzählung über emotionale und psychische Reife und gleichzeitig spielen die gesellschaftlichen Erwartungen an eine „richtige“ Beziehung und Liebe immer eine prägende Rolle. All das beschreibt Barnes mit der gewohnte stilistischen Klasse und Tiefe, so dass The Only Story ein weiterer sehr guter Roman im Werk des Autors ist.

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