Wir wünschen euch einen schönen ersten Advent!
Das Jahresende nähert sich schon in erschreckend schnellen Schritten und bald klopft auch schon der Weihnachtsstress an die Tür. Aber vorher möchten wir – pünktlich zum Dezemberbeginn – dann noch einmal auf unsere gelesenen Bücher im November zurückblicken, die uns mal mehr und mal weniger begeistern konnten.
Guillermo Arriaga – Der Wilde
Juan Guillermo wächst um das Ende der 1960er Jahre in einem ärmeren Viertel von Mexiko-City auf. Als Jugendlicher erlebt er, wie erst sein Bruder ermordet wird und wenig später auch die Eltern sowie seine Großmutter sterben. Sein Ziel ist es, sich an den Mördern seines Bruders zu rächen. Die Welt, die hier von Guillermo Arriaga beschrieben wird, ist hart, düster und voller Gewalt. Mit sprachlicher Wucht, Verweisen und Zitaten aus philosophischen Texten erzählt Arriaga vom Tier im Menschen. Neben dem Leben von Juan wird die Geschichte eines Wolfes geschildert, wobei hier gegen Ende manche Entwicklungen alles andere als glaubwürdig daherkommen, was den insgesamt sehr guten Eindruck leider trübt. Eine ausführliche Rezension erfolgt in den nächsten Tagen.
Fuminori Nakamura – Der Dieb
Der Held dieses kurzen Romans ist ein Taschendieb, der in den Straßen, Bahnhöfen und Zügen reiche Japaner beklaut, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch seine Arbeit erinnert eher an Kunst als an ein Verbrechen. Als ihn seine Vergangenheit beginnt, einzuholen – ein dunkler Turm, ein bewaffneter Raubüberfall, ein verschwundener Freund – bekommt er einen ungewollten kleinen Komplizen dazu. Nakamura, der mich mit seinem neusten Werk Die Maske in diesem Jahr total begeistern konnte, hat einen kühlen und spannenden kurzen Roman über Moral und das Schicksal geschaffen. Leider waren meine Erwartungen aufgrund der vorherigen Lektüre wohl etwas sehr hoch, sodass es leider nur ein gutes statt herausragendes Leseerlebnis blieb.
Marc-Uwe Kling – Die Känguru-Apokryphen
Kommunisten-Känguru is back! Marc-Uwe und sein beuteltragender Mitbewohner erleben in episodenartigen Kapiteln verschiedene Abenteuer – meistens jedoch eher auf dem Sofa oder in der Stammkneipe bei Herta als in der großen, weiten, gefährlichen Welt. Es wird Open-Schnick gespielt, philosophiert, missioniert, entnazifiziert und generell recht viel Unsinn geredet. Kling ist wieder einmal verrückt, witzig und politisch. Da ich kurz vorher auch noch Teil 1, Die Känguru-Chroniken, gelesen hatte, konnte mich das neue Buch zwar gut unterhalten, dennoch fiel es im direkten Vergleich von der Qualität für mich ein wenig ab. Einige detailliertere Gedanken dazu findet ihr hier.
Carlos Ruiz Zafón – Der Gefangene des Himmels
In den letzten zwei Jahren habe ich mich nach langer langer Zeit zum zweiten Mal an Zafóns große Saga gewagt – einerseits, weil ich die Bücher sehr geliebt habe und andererseits, um fit zu sein, um endlich Band 4, Das Labyrinth der Lichter, lesen zu können. Band 3, Der Gefangene des Himmels, begleitet erneut Daniel Sempere und seinen Freund und Kollegen Fermín Romeoro de Torres, die beide mit verschiedenen Bedrohungen zu kämpfen haben. Fermín sieht sich gezwungen, die Dämonen seiner Vergangenheit zu konfrontieren und Daniel in sein früheres Leben einzuweihen. Die Geschichte ist sehr düster und brutal, springt sie doch in vielen Rückblenden immer wieder zurück ins Barcelona zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs und der Verhaftungen und Hinrichtungen von Regimegegnern. Auch wenn allgemein weniger passiert und das Buch ruhiger ist als seine beiden Vorgänger, sind Fermíns Erlebnisse extrem eindrücklich geschildert – und geben außerdem weitere Informationen zu David Martíns Verbleiben nach Band 2. Für mich ist es ein sehr gelungener Roman, aber der bisher „schwächste“ der Reihe – allerdings nur, weil Der Schatten des Windes der Inbegriff des perfekten Romans ist und Das Spiel des Engels in seiner düsteren Darstellung zwischen Wahn und Wirklichkeit haargenau meinen Geschmack trifft.
Paul Beatty – Der Verräter
Der Erzähler wird angeklagt, die Rassentrennung und Sklaverei wieder einführen zu wollen. Er stammt aus einem Vorort von Los Angeles, in dem die Gewalt vorherrscht und er nur in Ruhe Wassermelonen und Marihuana anbauen möchte. Doch nachdem sein Vater, der sich stark für die Bürgerrechte einsetzt, erschossen wird, kommt alles anders. Paul Beatty erzählt provozierend in einem Ton, der seine Vergangenheit als Poetry-Slammer aufzeigt. Dabei beherrscht er sämtliche Sprachregister und fordert den Leser mit einer vielen Verweisen auf Popkultur und andere Bereiche heraus. Die Satire, die mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde, bietet ein provokantes Szenario, in dem der Autor vor kaum etwas zurückschreckt und in alle Richtungen austeilt. Unsere Besprechung zu diesem großartigen Werk findet ihr hier.
Min Jin Lee – Ein einfaches Leben
Min Jin Lees Familiensaga erzählt die Geschichte von Sunja, die als Mädchen den Priester Isak heiratet und mit ihm gemeinsam von Südkorea nach Japan auswandert, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Als Leser begleitet man sie, ihre beiden Söhne Noa und Mozasu sowie Sunjas Enkelsohn Solomon über die Jahre hinweg, wie sie versuchen, in Japan Fuß zu fassen, doch ständig mit Vorurteilen und Rassismus konfrontiert werden, während sie gleichzeitig keine Heimat, keine Identität haben. Ein hochaktuelles Thema also, dass Lee hier verarbeitet, gehüllt in den spannenden Mantel koreanisch-japanischer Geschichte. Es ist ein wirklich gelungenes und bewegendes Epos das mit ausgezeichneten Charakterdarstellungen überzeugen kann. Hier gelangt ihr zur ausführlichen Rezension.