Eine Satire, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt: In seinem ausgezeichneten Roman Der Verräter fordert Paul Beatty den Leser mit einem provokanten Szenario heraus.
Zu Beginn sitzt der Ich-Erzähler auf einer Bank im Supreme-Court und wartet auf seine Verhandlung. Angeklagt ist er wegen der Missachtung des 13. und 14. Zusatzartikels. Also Abschaffung der Sklaverei und Gleichstellung. Der schwarze Erzähler stammt aus Dickens, einem Vorort von Los Angeles, wo er Wassermelonen und Marihuana anbaut. Als sein Vater, der sich für die Bürgerrechte einsetzt, aufgrund von Polizeigewalt stirbt, beginnt er mit Hominy, einem ehemaligen Darsteller aus „Die kleinen Strolche“, eine neue Bewegung ins Leben zu rufen. Ihr Ziel: die Wiedereinführung der Rassentrennung und Sklaverei.
Eigentlich genügt es, bereits die ersten Sätze von Paul Beattys mit dem Man-Booker-Prize ausgezeichneten Roman zu lesen, um sich klarzumachen, was einen hier erwartet:
Aus dem Mund eines Schwarzen klingt das sicher unglaublich, aber ich habe nie geklaut. Habe nie Steuern hinterzogen oder beim Kartenspiel betrogen. Habe mich nie ins Kino gemogelt oder merkantile Gepflogenheiten und die Erwartungen von Mindestlohnempfängern ignoriert, indem ich einer Drugstore-Kassiererin das überschüssige Wechselgeld vorenthalten habe.
Es folgen weitere typische Vorstellungen von Alltagsrassismen, diese sind dabei bei weitem nicht das Provokanteste, was Beatty in Der Verräter schreibt. Und damit ist der Leser sofort in dieser Welt, die mindestens problematisch daherkommt. Handlungsort ist der (fiktive) Vorort Dickens, der von Kriminalität beherrscht wird, weswegen der Entschluss gefasst wird, die Ortsschilder einfach abzunehmen und Dickens so von der Landkarte zu streichen. Der Vater des Erzählers ist ein mehr als eigenwilliger Sozialpsychologe, der sich in der Bürgerrechtsbewegung engagiert und seinen Sohn für Experimente in Verhaltenspsychologie missbraucht, bis er von der Polizei erschossen wird. Eigentlich soll das Leben des Erzählers danach normal weitergehen, doch dann taucht plötzlich der alte Hominy auf, der versucht Selbstmord zu begehen. Nach seiner Rettung hat er nur den Wunsch, dass ihm sein „wertloses schwarzes Leben aus dem Leib“ gepeitscht wird. Doch damit nicht genug, führt der Erzähler auch wieder die Rassentrennung in öffentlichen Bussen ein und will das Bildungssystem verbessern, indem schwarze und weiße Kinder getrennt unterrichtet werden. Wie nebenbei wird erwähnt, dass sich all diese Änderungen sehr positiv auswirken.
Aber ich bin keiner dieser unerschütterlich optimistischen Amerikaner. Und was ich getan habe, habe ich getan, ohne an unveräußerliche Rechte oder die stolze Geschichte unseres Volkes zu denken. Ich habe es getan, weil es funktionierte, und ich finde, ein bisschen Sklaverei und Rassentrennung haben noch niemanden geschadet. Und wenn doch, tja, dann ist es halt so, verdammte Scheiße.
Der Verräter sollte aber nicht nur auf diese Versuche der Wiedereinführung von Sklaverei und Rassentrennung reduziert werden. Vielmehr bieten sie für den Autor einen Rahmen, in dem er seine Ideen entfalten kann. Das Buch ist voller Anspielungen auf Soziologie, Philosophie, afroamerikanische Kultur und Geschichte. Das macht den Roman neben dem Thema sehr anspruchsvoll und es ist überfordernd, die zahlreichen Verweise und Anspielungen zu verstehen und in ihren Kontext einzuordnen. Der Stil entwickelt einen fiebrigen Rhythmus, der auch die Vergangenheit des Autors als Poetry-Slamer wiederspiegelt. Die zu lang erscheinenden Sätze drohen den Fokus zu verlieren, nur um dann völlig ungeahnte Perspektiven und Verbindungen zu eröffnen. Dazu kommen einfallsreiche Sprachbilder, die sich häufig auf die amerikanische Popkultur beziehen. Spielerisch wechselt der Autor zwischen verschiedenen Sprachregistern hin und her, die er anscheinend mühelos beherrscht.
Das echte Geld würde ich aber durch den Verkauf von Zuchttieren an Nigger-Neureiche machen, weil ein Strauß im Durchschnitt nur circa vierzig Pfund essbares Fleisch hat, weil Oscar Wilde tot ist und weil niemand mehr Federboas und gefiederte Hüte trägt, ausgenommen Drag-Queens über vierzig, bayerische Tuba-Spieler, Marcus-Garvey-Imitatoren und Pfefferminzlikör süffelnde Südstaaten-Schönheiten, die beim Kentucky Derby Dreierwetten abschließen und selbst dann nicht bei Schwarzen kaufen würden, wenn diese das Geheimnis für faltenlose Haut und Zwanzig-Zentimeter-Schwänze im Angebot hätten.
Die Handlung schreitet durch die Schilderung von einzelnen äußerst pointiert dargestellten Situationen voran, die sich in den meisten Fällen um soziale und gesellschaftliche Themen drehen. Dazu gehört etwa eine Szene, in der der Erzähler bekifft unter einem Tisch im Supreme-Court liegt. Allerdings sollte nicht der Fehler begangen werden, den Roman nur als eine vielleicht überdrehte und provozierende Satire abzutun. So geht es vielmehr darum, nachdrücklich darzustellen, was eigentlich auch offensichtlich sein sollte: Rassismus wurde weder durch die Bürgerrechtsbewegung noch durch einen schwarzen Präsidenten beseitigt, sondern ist immer noch fest im Alltag verankert und findet ständig neue Opfer.
Mit Der Verräter provoziert der Beatty seine Leser: ein Schwarzer, der die Sklaverei und die Rassentrennung wieder einführen will, dauernd von „Niggern“ spricht und bekifft vor dem obersten Gericht erscheint. Herausfordernd sind zudem die zahlreichen Verweise auf Popkultur und Philosophie, die an jeder Ecke auftauchen. Kurz: ein literarisches Ereignis, sowohl stilistisch als auch inhaltlich.
Klingt irgendwie echt gut :-)
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[…] danke. Alle Informationen über Buch und Autor findet Ihr hier. Weitere Rezensionen findet Ihr bei letusreadsomebooks und meineliteraturwelt. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. […]
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[…] Der Erzähler wird angeklagt, die Rassentrennung und Sklaverei wieder einführen zu wollen. Er stammt aus einem Vorort von Los Angeles, in dem die Gewalt vorherrscht und er nur in Ruhe Wassermelonen und Marihuana anbauen möchte. Doch nachdem sein Vater, der sich stark für die Bürgerrechte einsetzt, erschossen wird, kommt alles anders. Paul Beatty erzählt provozierend in einem Ton, der seine Vergangenheit als Poetry-Slammer aufzeigt. Dabei beherrscht er sämtliche Sprachregister und fordert den Leser mit einer vielen Verweisen auf Popkultur und andere Bereiche heraus. Die Satire, die mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde, bietet ein provokantes Szenario, in dem der Autor vor kaum etwas zurückschreckt und in alle Richtungen austeilt. Unsere Besprechung zu diesem großartigen Werk findet ihr hier. […]
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