Matt Haig – How to stop time/ Wie man die Zeit anhält

Matt Haig How to stop time Wie man die Zeit anhält Rezension

Matt Haigs neuer Roman How to stop time, der im April auf Deutsch erscheint, ist wieder ein gelungener literarischer Streich, unterhaltsam, philosophisch und unglaublich schön.

What is the point of living when you have no one to live for?

Tom Hazard, eigentlich Estienne Thomas Ambroise Christophe Hazard, geboren 1581 in Frankreich, hat ein Problem: er altert unglaublich langsam. Jetzt, im 21. Jahrhundert, sieht er erst aus wie 41. Bis dato hat er schon unzählige Leben gelebt, unter vielen verschiedenen Namen, immer in der Angst, man könne sein Geheimnis entdecken. Doch wie lebt es sich als über 400 Jahre alter Mann im heutigen London? Während Tom als Geschichtslehrer arbeitet, bekommt er immer wieder heftige Kopfschmerzen verbunden mit Flashbacks – Erinnerungsschmerzen, wie er sie nennt, die ihn in seine vergangenen Leben zurückversetzen. Doch kann er wirklich glücklich werden, wenn er doch alle paar Jahre wieder weiterziehen muss?

Kaum altern, fast schon unsterblich sein – ist das nicht ein Traum? Nicht für Tom. Eher im Gegenteil. Was anfangs toll klingt, entpuppt sich schnell als Alptraum: Nicht nur, dass Tom alle geliebten Menschen verliert. Während er weiterlebt, es ist auch sein junges Aussehen, das Nichtälterwerden, was ihn selbst und alle, die ihm wichtig sind, in Schwierigkeiten bringt. Erst wird seine Mutter der Hexerei bezichtigt, später seine Frau. Tom kann nie lange an einem Ort bleiben, muss ständig neue Identitäten annehmen und kann so auch niemandem dauerhaft nahe kommen, ohne dass diese Person genau wie er in Gefahr gerät. Aber was bringt dir ein jahrhundertelanges Leben, wenn du es mit niemandem teilen kannst? Ist es dann überhaupt noch lebenswert?

There is no need to fear change, or necessarily welcome it, not when you don’t have anything to lose. Change is just what life is. It is the only constant I know.

Matt Haig schafft, wie auch schon mit seinem Roman Ich und die Menschen, ein extrem unterhaltsames und gleichzeitig sehr intelligentes Buch. Es ist nicht wahnsinnig komplex oder tiefgründig, vermutlich weit entfernt von Hochliteratur, aber dennoch, auf seine ganz eigene Weise, philosophisch und voller Erkenntnisse. Es ist ein Buch, welches uns das Menschsein näher bringt, auf eine unverschwurbelte und leicht verständliche Art, es zeigt uns, was den Menschen ausmacht, was uns einzigartig macht, unsere Stärken, aber vor allem unsere Schwächen und unseren täglichen Kampf mit uns selbst und unserem Leben.

In schlichter, schnörkelloser aber dennoch mitreißender und einfühlsamer Sprache erzählt Haig vom Menschsein und von der Zeit – was sie mit uns macht, wie sie uns beeinflusst und im Griff hat, wie sie Fluch und Segen zugleich sein kann. Hier trifft ein historischer Roman auf Science-Fiction, Humor auf Philosophisches, und Matt Haig bekommt diese Mischung wieder einmal ausgezeichnet hin. Die vielen geschichtlichen Hintergründe, gerade die Bezüge zur Hexenjagd sowie Toms Treffen mit verschiedenen Künstlern wie Shakespeare oder F. Scott und Zelda Fitzgerald haben mich als Literatur- und Kulturwissenschaftlerin sehr interessiert und unterhalten.

It is strange how close the past is, even when you imagine it to be so far away. Strange how it can just jump out of a sentence and hit you. Strange how every object or word can house a ghost. The past is not one seperate place. It is many, many places, and they are always ready to rise into the present.

Reue, Hoffnung, Selbstfindung – Haig spricht erneut viele wichtige Themen an, die einen jeden Leser betreffen. Wenn ich noch einmal zurück könnte, was würde ich anders machen? Wie lebe ich weiter, wenn mich ein geliebter Mensch verlassen hat? Kann die Zukunft gut werden, wenn mich die Vergangenheit so stark umschlungen hat und ich ihr scheinbar nicht entkommen kann? Haigs Protagonisten haben immer Schwächen und Fehler, sie sind in jeder Hinsicht nur allzu menschlich. Trotzdem lernen sie dazu, schaffen es, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen und etwas zu verändern. Auch nach über 400 Jahren ist es noch nicht zu spät, sich selbst zu finden und zu verstehen, warum man auf dieser Welt ist und was dein Leben lebenswert macht.

Liebe, ein wichtiges Thema bei Haig, klar, denn er schreibt über die Menschen, wird niemals kitschig. Die Witze werden niemals flach. Haig ist einfach ein wahnsinnig guter und vor allen Dingen kreativer Geschichtenerzähler, der seinen Lesern spannende, emotionale und schöne, wunderschöne Stories liefert. How to stop time ist ein Buch, das ich fast jedem Freund, jeder Freundin, jedem oder jeder Verwandten schenken würde. Matt Haig schafft es auf seine ganz eigene Art ein großartiger Autor zu sein, auch ohne überbordende Sprache oder epische Handlungen. Er ist vermutlich einer der menschlichsten Autoren da draußen. Er spendet so viel Freude, Trost und Hoffnung mit seinen Geschichten, man fühlt sich als Leser von ihm zu einhundert Prozent verstanden.

And, just as it only takes a moment to die, it only takes a moment to live. You just close your eyes and let every futile fear slip away. If I could live without doubt what would I do? If I could be kind without the fear of being fucked over? If I could love without fear of being hurt? If I could taste the sweetness of today without thinking of how I will miss that taste tomorrow? What would I do? Who would I care for? What battle would I fight? Which paths would I step down? How, in short, would I live?

Matt Haigs How to stop time ist ein wundervoller, witziger, berührender und kluger Roman, durch den man nur so hindurchrast. Für den Moment des Lesens schafft er es wirklich, die Zeit anzuhalten. An manchen Stellen habe ich eine gewisse Ähnlichkeit zu David Mitchells Werken, insbesondere den Knochenuhren, gesehen. Meiner Meinung nach ist dieses Buch noch einmal ein ganzes Stück besser als Ich und die Menschen, welches mir auch schon sehr gut gefallen hatte. Haig blickt tief in die menschliche Seele hinein und zeigt uns, dass wir die Zeit zwar nicht beherrschen können, uns aber auch nicht von ihr beherrschen lassen müssen.

That’s the thing with time, isn’t it? It’s not all the same. Some days – some years – some decades – are empty. There is nothing to them. it’s just flat water. And then you come across a year, or even a day, or an afternoon. And it is everything. It is the whole thing.

Die deutsche Übersetzung von How to stop time erscheint am 20. April unter dem Titel Wie man die Zeit anhält im dtv-Verlag.

Der Roman soll übrigens auch verfilmt werden – und zwar mit Benedict Cumberbatch als Produzent und in der Rolle des Tom Hazard (ich könnte mir kaum einen passenderen Schauspieler vorstellen!).

5 Kommentare

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  1. mllefacette

    Ganz tolle Rezension. Lage das Buch nicht ohnehin schon auf meinem SuB, es würde jetzt auf jeden Fall dazukommen!

    Und obwohl ich sonst nicht so der Fan von Buchverfilmungen bin – wie könnte man Benedict Cumberbatch widerstehen und nicht in kleine Vorfreude ausbrechen? 🤗

    Gefällt 2 Personen

    • letusreadsomebooks

      Danke, das freut mich wirklich sehr! Ganz besonders, dass du es dann auch bald lesen willst! :)
      Ich bin auch eher kritisch bei Verfilmungen, die meisten gefallen mir nicht besonders, aber dieser Roman eignet sich glaube ich ziemlich gut dafür und – wie du schon sagtest: Benedict Cumberbatch! Da kann nicht so viel schief gehen ;) :D

      Gefällt 1 Person

  2. Mikka Liest

    Huhu!

    Das Buch steht schon auf meiner Wunschliste, aber Ich glaube, Ich werde es auch auf Englisch lesen. Eigentlich habe ich ja schon länger vor, mal etwas von diesem Autor zu lesen. Dieses hier interessiert mich von allen seinen Büchern aber tatsächlich am meisten.

    Nach den Textstellen, die du zitiert hast, gefällt mir der Schreibstil schon sehr gut. Auch die Thematik finde ich sehr spannend. Der Wunsch, unsterblich zu sein, der steckt ja schon in den Vampirromanen und Serien wie Highlander, aber dass es auch unglaublich schwierig sein muss, die Zeit an sich vorüberziehen zu sehen und den Tod seiner Liebsten mitzuerleben…

    Eine wirklich wunderbare Rezension, nach der ich jetzt noch mehr Lust auf das Buch habe!

    Ich habe deinen Beitrag HIER für meine Kreuzfahrt durchs Meer der Buchblogs verlinkt.

    LG,
    Mikka

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