Matt Haig – Mach mal halblang

Matt Haig Macht mal halblang Anmerkungen zu unserem nervösen Planeten Rezension

Matt Haigs neuestes Sachbuch Mach mal halblang – Anmerkungen zu unserem nervösen Planeten füttert authentische persönliche Erlebnisse von Stress, Panikattacken und Ängsten mit Daten, Zahlen und Fakten, um einen spannenden Blick auf unsere moderne Gesellschaft und ihre Probleme zu werfen.

Soziale Medien, Schlafmangel, Nachrichten-Überladung: Haig erläutert, welche Faktoren den modernen Menschen heute besonders stressen und was das genau mit uns macht. Zwischen Anekdoten und eigenen Erlebnissen (wie seiner Panikattacke im Einkaufszentrum) bringt er immer wieder motivierende Worte sowie interessante und passende Fakten aus verschiedenen Studien oder Zitate von Wissenschaftlern wie Yuval Noah Harari ein. So ergibt sich ein insgesamt sehr rundes und stimmiges Bild von einem Werk, das sich irgendwo zwischen Sachbuch und Ratgeber bewegt, aber dieses besondere Matt-Haig-Feeling behält, das seine Romane wie Ich und die Menschen oder Wie man die Zeit anhält aufweisen.

Aber dann erinnerte ich mich, dass gerade das Nicht-Aussprechen von Problemen problematisch ist. Es ist das In-sich-Hineinfressen, das dazu führt, dass Menschen in Büros und Klassenzimmern zusammenbrechen. Es ist das Schweigen, das Suchtkliniken und Krankenhäuser füllt und die Suizidraten ansteigen lässt.

Haig spricht über die Stigmatisierung und die Vorurteile von psychischen Krankheiten, darüber, dass unsere Gesellschaft immer noch nicht offen genug ist, um anständig darüber zu sprechen, sodass viele Menschen lieber schweigen (aus Angst, aus Scham), anstatt über ihren Stress, ihre Probleme, ihre Ängste zu reden. Des Weiteren kritisiert er die Trennung zwischen Körper und Geist, die immer noch stattfindet, obwohl mittlerweile mehrfach bewiesen ist, dass sich Physis und Psyche gegenseitig beeinflussen und psychische Krankheiten ebenso ernst genommen werden müssen wie physische.

Sei nicht cool. Versuch nie, cool zu sein. Mach dir keine Sorgen wegen dem, was coole Menschen vielleicht denken. Das Leben ist Wärme. Such dir warme Menschen. Cool sein kannst du, wenn du tot bist.

Matt Haig mag vielleicht keine Allround-Lösung für all unsere Probleme bieten, ebenso wenig bahnbrechende Erkenntnisse, die wir vorher noch nirgends gelesen haben. Sein Buch gibt uns dennoch Halt und Unterstützung. Es fühlt sich an wie die Umarmung eines guten Freundes nach einem langen, harten Tag. Er erinnert uns an all das, was wir auf dem steinigen Weg des Alltags immer wieder zu vergessen scheinen. Haig beweist eine solch enorme Empathie gegenüber seinen Lesern, eigentlich gegenüber jeglichen Menschen, dass es wirklich bewundernswert ist.

Egal, in welchem seiner Bücher – ob Roman oder Sachbuch –, der britische Autor findet immer die richtigen Worte. Und so ist es nicht verwunderlich, dass ich in seinen Werken unzählige Passagen finde, mal Sätze, mal ganze Seiten, die ich mir anstreiche und rausschreibe und am liebsten überall in der Wohnung aufhängen würde.

Vielleicht ist Glücklichsein gar nichts Persönliches. Vielleicht ist Glück nichts, was zu dir kommt. Vielleicht ist Glück etwas, das aus dir heraus kommt. Vielleicht ist Glück nichts, das du verdienst, weil du es wert bist. Vielleicht ist Glück nichts, das du kriegen kannst. Vielleicht ist Glück das, was du schon hast. Vielleicht ist Glück kein Schmetterling, den du mit einem Netz einfangen kannst. Vielleicht gibt es keinen sicheren Weg zum Glück. Vielleicht gibt es nur Vielleichts. Vielleicht ist der Sinn des Lebens, die Gewissheit loszulassen und uns der wundersamen Ungewissheit des Lebens zuzuwenden.

Matt Haigs Buch Mach mal halblang – Anmerkungen zu unserem nervösen Planeten ist lehrreich und unterhaltsam zu gleich, ohne dabei jemals trocken und unpersönlich zu wirken. Gerade seine eigenen Erlebnisse ermöglichen es, eine Verbindung zu dem Menschen hinter dem Label „Autor“ aufzubauen. Wir fühlen uns verstanden, unterstützt, nicht mehr so allein: es gibt noch mehr Leute da draußen, die extrem unter Stress leiden. Viele mehr. Und das ist okay. Es ist keine Schwäche. Und wenn wir uns doch mal schwach und klein und dem Leben unwürdig fühlen, sind da zum Glück Haigs Bücher, die uns mit ihren zarten Worten umschließen und uns helfen, das Positive auf dieser Welt zu sehen.

 

Eine ausführliche Besprechung findet ihr außerdem bei „Feiner reiner Buchstoff“.

2 comments

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  1. Tom Hansmann

    Ein sehr gutes Buch, es gelingt dem Autor ein feiner Spagat zwischen Ratgeber für Menschen mit Depressionen/Panikattacken/Burnout, Gesellschaftsanalyse und humorigem „Schmökerbuch“. Große Empfehlung!

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