Hochgelobt und ob seiner Härte gefürchtet: Lize Spit legt mit ihrem Debütroman Und es schmilzt ein interessantes Werk vor, das seinen Leser erst weitgehend mit Langeweile quält, um ihn dann, sehr, sehr spät, plötzlich so richtig zu ohrfeigen.
In Rückblenden erzählt Protagonistin Eva nicht unbedingt chronologisch von dem alles verändernden Sommer 2002, von Jans Tod, von dem Leben davor, währenddessen und danach in ihrem kleinen Dorf Bovenmeer, der scheinbar heilen Welt, die in Wahrheit jedoch nur allzu kaputt ist. Der Vater hat sich einen Strick im Arbeitsschuppen aufgehängt und könnte seinem trostlosen Leben jederzeit ein Ende setzen, die Mutter ist ständig betrunken oder auf Tabletten und kümmert sich kaum um Eva und ihre zwei Geschwister, Jan ist gestorben und Schwester Tesje benimmt sich immer seltsamer. Evas beste Freunde Pim und Laurens entfernen sich immer mehr von ihr und auch ihre sogenannte Freundin Elisa scheint sich nicht wirklich für Eva zu interessieren. Zwischenzeitlich werden Szenen aus der Gegenwart eingestreut, Eva, die jetzt in Brüssel wohnt, weit weg von alldem. Eva auf dem Weg zu Jans Gedenkfeier, mit einem großen Eisklotz im Kofferraum. Eva bei ebenjener, versteckt im Hintergrund. Was damals wirklich geschah, das, was den meisten verborgen blieb, spart sie sich für das große Finale auf.
Während ich so dahinfahre, durchquere ich mal warme, mal kalte Luftströme. Würde ich mich nicht zwischen Häusern, sondern in einem Schwimmbad befinden, so würde ich andere verdächtigen, gerade ins Wasser gepinkelt zu haben.
Um mal etwas hart, aber sehr ehrlich zu sein: der Anfang des Romans ist langsam, super langsam. Das wäre okay, wenn er einfach nur entschleunigt wäre, aber das ist er nicht. Er ist einfach langweilig geschrieben, einschläfernd, öde. Es war regelrecht demotivierend, weiterzulesen mit dem Wissen, dass es erst einmal nicht besser wird. Das haben mir einerseits andere Rezensionen verraten, andererseits spürt man aber auch einfach, dass sich da vorerst nichts anbahnen wird. Spit verliert sich in Belanglosigkeiten. Details, die im Laufe des Romans noch wichtiger werden, gehen unter und das sprachliche Geschick ist auch recht fragwürdig, wenn man sich obiges Zitat anschaut.
Die ersten 150 bis 200 Seiten ließen sich problemlos komplett streichen oder zumindest extrem kürzen, die wichtigen Aspekte könnte man auf wenigen Seiten aufgreifen – meiner Meinung nach. Andere Leser würden vielleicht behaupten, hier entstehe ein interessantes Psychogramm der Dorfgemeinschaft. Ich nicht. Erst danach, nach diesen mühsamen Stunden der Quälerei und des Aufhörenwollens wird es halbwegs interessant, erst dann wird es ein „normaler“ Roman über die Jugend auf dem Dorf, erst dann werden einzelne Charaktere interessant, wie Evas Schwester Tesje, Evas ‚Freundin‘ Elisa und ihre beiden besten Freunde Pim und Laurens. Erst dann ist spürbar, dass sich etwas nähert, etwas Unangenehmes, Unheilvolles. Trostlosigkeit, Einsamkeit, Verzweiflung machen sich breit und ergreifen Besitz von den handelnden Personen.
Um nennenswert zu werden, muss man in diesem Dorf etwas Nennenswertes über einen anderen erzählen.
Die Problematiken, die von Anfang an in kleinen Schritten aufgebaut werden, hätten allerdings etwas schneller heranwachsen können. Für mich kam nicht das Grauen der Geschichte schleichend, sondern wirklich nur die Langweile, zumindest vorerst. Ich war oft kurz davor, das Buch einfach in die Ecke zu legen und nach etwas anderem zu greifen. Ich mag ruhige Bücher an sich, zum Beispiel wenn die Stimmung passt, wenn die Atmosphäre dicht ist und die Sprache berauschend, oder aber auch wenn sie nur schlicht und still sind. Aber hier bei Spit…das war nichts für mich. Es war nicht berührend, nicht interessant, nicht lustig und ich habe viele, sehr viele Sätze überflogen.
Relativ zum Ende hin, kurz vor Seite 400, kommt endlich Schwung in die Geschichte, dann aber gleich so richtig. Man hat es kommen spüren, es hat sich schon länger angedeutet und findet endlich seinen Höhepunkt. Es sind heftige Schilderungen, die mich erst nur mit Scham und mit Wut auf Eva, dann mit Schmerz und Grauen erfüllten. Spit schlägt sie einem förmlich ins Gesicht. Ich wollte die Sätze eigentlich gar nicht so genau lesen. Wollte ich anfangs noch Zeilen aus Langeweile überfliegen, MUSSTE ich nun Zeilen überfliegen, weil sie zu hart waren, um vollkommen aufgesogen zu werden. Ähnlich wie bei Hanya Yanagiharas Ein wenig Leben ist es fast bis gänzlich unmöglich, das Gelesene nicht an sich heranzulassen. Ich hatte beinahe physische Schmerzen während des Lesens. Glücklicherweise beschränkt sich das Schlimmste, meiner Meinung nach, auf eine längere Szene, wobei auch einige andere Momente des Romans keine leichte Kost sein mögen. Zartbesaiteten Lesern sei also definitiv von diesem Buch abzuraten.
Die Umgebung, die ich seit Jahren kannte, zeigte sich plötzlich aus einer anderen Perspektive. Ich passte nicht mehr so hinein, wie ich immer hineingepasst hatte. Ich war das Duplomännchen in einem Legohaus.
Hätte Spit die genannten ersten 200 Seiten purer Ödnis anders gehandhabt, hätte ein großartiger, ein wahnsinnig guter Roman entstehen können. So war für mich der erste Teil eine einzige Qual, danach wurde es langsam besser, interessanter, endlich von Bedeutung, und der letzte Teil ist wirklich, wirklich gelungen. Es ist quasi eine graduelle Steigerung vom 1-Sterne-Buch zum 3-Sterne-Buch zum 5-Sterne-Buch. Ich bereue es nicht, das Buch weiter gelesen zu haben, ärgere mich aber dennoch, dass der Anfang so grauenhaft zäh und unnötig in die Länge gezogen ist. Und es schmilzt ist somit ein Roman, der vieles vom Leser abverlangt: hauptsächlich Geduld und Ausdauer, später aber auch starke Nerven und eine hohe Schmerzgrenze, was das Leid literarischer Charaktere betrifft.
Mit der Schmerzgrenze hast du absolut Recht. Allerdings fand ich den Anfang toll. Triste Harmlosigkeit, aber es liegt etwas Übles in der Luft. Ich habe den Roman in zwei Tagen verschlungen, habe es aber bisher nicht geschafft, eine Rezension zu schreiben. Vielleicht im nächsten Jahr ;) Der Text war einfach sehr krass, aber auch wirklich gekonnt geohrfeigt. Ich bin gespannt, was Spite nach diesem Debüt als nächstes raushaut. :D
Liebe Grüße, Eva
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Ja, zu dem Anfang habe ich sehr geteilte Meinungen gelesen. Die eine fanden ihn besonders gelungen, die anderen – wie ich – sterbenslangweilig. Ich glaube, dazwischen etwas hat kaum einer empfunden. ;)
Bin gespannt auf deine Rezension! :)
Liebe Grüße und einen guten Rutsch, Nadine
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Huhu!
Dieses Buch schiebe ich schon ein Weilchen auf meinem SUB hin und her, weil ich mich ein bisschen vor der Schmerzgrenze fürchte… Aber eigentlich will ich es schon noch lesen.
LG,
Mikka
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Es ist wirklich, wirklich nicht ohne, aber wie schon geschrieben, es ist hauptsächlich nur eine Szene, die so heftig ist. Da kannst du bestimmt ein bisschen überfliegen, wenn es dir zu krass ist. Versuch’s einfach mal! :)
Lg,
Nadine
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„Er ist einfach langweilig geschrieben, einschläfernd, öde. Es war regelrecht demotivierend, weiterzulesen mit dem Wissen, dass es erst einmal nicht besser wird.“
Das finde ich viel zu hart. Hier wird sehr schön Atmosphäre aufgebaut.
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„Langweilig und demotivierend“ ist „viel zu hart“? Das ist einfach meine Meinung und nicht besonders fies formuliert. „Das ist das schlechteste Buch, das je geschrieben wurde“ wäre recht hart, aber selbst wenn man das für sich selbst begründen kann, hat der Satz eine Daseinsberechtigung. Dass die Atmosphäre sehr schön aufgebaut wird, könnte ich überhaupt nicht unterschreiben. Aber wie schon geschrieben, wird das Buch meiner Meinung ja auch noch besser, je weiter es voranschreitet.
Gut, dass in der Kunst und Literatur alles Ansichtssache ist und viele verschiedene subjektive Standpunkte der Betrachter/Leser möglich sind. Alles andere wäre ja langweilig. ;)
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Der Unterschied ist, dass ich schreibe, dass ich das so empfinde, während Du schreibst, dass das so ist ;-)
Aber Du hast natürlich Recht, Geschmäcker sind glücklicherweise verschieden.
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