Ted Chiangs Erzählungen sind anders als übliche Science-Fiction. Stories of Your Life and Others bietet dem Leser kluge Unterhaltung sowie abwechslungsreiche Szenarien. Die Titelstory wurde 2016 unter dem Namen Arrival verfilmt.
In der Kurzgeschichtensammlung Stories of Your Life and Others finden sich acht ausgezeichnete Erzählungen des Autors Ted Chiang. In den Geschichten geht es um den Turmbau von Babel, die Folgen des Erstkontakts mit Außerirdischen, die die Erde besuchen, eine Therapie, die dazu führt, dass sich die kognitiven Fähigkeiten der behandelten Personen deutlich steigern und um Engel, die den Menschen tatsächlich erscheinen, allerdings mit heftigen Folgen.
Für seine Kurzgeschichten hat Ted Chiang eigentlich alles an Preisen erhalten, was es im Science-Fiction Bereich zu gewinnen gibt. Und obwohl ich alles andere als ein Sci-Fi Experte bin, wage ich zu behaupten, dass Ted Chiang sich deutlich aus der Masse abhebt. Jede der Geschichten konnte mich begeistern, manche haben eher spirituelle alttestamentarische Bezüge (Tower of Babylon und Hell is the Absence of God) andere dagegen deutlich wissenschaftlicher orientiert (Division by Zero und Seventy-Two Letters). Die Erzählungen sind gut durchdacht, voller Fantasie und laden zum Staunen und zum Nachdenken ein. Sie sind sowohl unterhaltsam als auch intelligent. Ted Chiang wird zwar dem Science-Fiction Genre zugeordnet, was allerdings Erwartungen wecken kann, die dann enttäuscht werden. So spielt eine Geschichte etwa eher in einer altertümlichen Zeit und fremdes Leben kommt mit einer Ausnahme überhaupt nicht vor. Der Fokus liegt eher auf dem Innenleben der Figuren, das sich durch ihre jeweilige Situation teils drastisch verändert, etwa durch ihre Beschäftigung mit verschiedenen Wissenschaften wie Linguistik oder Mathematik. Das führt in einigen Fällen weiter zu philosophischen und theologischen Fragen, zu der Unterscheidung zwischen Gut und Böse und der Frage nach dem, was einen Menschen ausmacht.
With this language, I can see how my mind is operating. I don’t pretend to see my own neurons firing; such claims belong to John Lilly and his LSD experiments of the sixties. What I can do is perceive the gestalts; I can see the mental structures forming, interacting. I can see myself thinking, and I see the equations that describe my thinking, and I see myself comprehending the equations, and I see how the equations describe their being comprehended. I know how they make up my thoughts. These thoughts.
Zwei der Stories haben es mir besonders angetan. Zum einen die Titelgeschichte Story of Your Life und zum anderen Hell is the Absence of God. Story of Your Life ist vermutlich die bekannteste der Erzählungen, nachdem sie von Denis Villneuve unter dem Titel Arrival verfilmt wurde. Die Linguistin Louise Banks soll gemeinsam mit einem Physiker für das US-Militär Kontakt zu einer fremden Spezies aufnehmen, die auf der Erde gelandet ist. Nach und nach erlernt sie die Sprache und Schrift der Fremden, was dazu führt, dass sich ihre eigenen Gedankenstrukturen völlig verändern. Sie passt sich den als Heptapoden bezeichneten Außerirdischen an. In eingeschobenen Abschnitten wird zudem die Geschichte von Louises Tochter erzählt. Was sofort auffällt, ist die ungewöhnliche Wahl der benutzten Zeitform, denn hier wird in der Zukunftsform erzählt. Durch die neuen Erfahrungen weiß Louise was passieren wird. Story of Your Life baut sich langsam auf, trifft einen dafür im Verlauf umso härter. Traurig und gleichzeitig schön wird diese Geschichte erzählt und geht in ihrer Konsequenz unter die Haut, ohne kitschig zu sein. Ted Chiang liefert viele Anknüpfungspunkte zum selbständigen Weiterdenken und Austauschen. Eine der besten Kurzgeschichten, die ich bis jetzt gelesen habe.
The existence of free will meant that we couldn’t know the future. And we knew free will existed because we had direct experience of it. Volition was an intrinsic part of consciousness. Or was it? What if the experience of knowing the future changed a person? What if it evoked a sense of obligation to act precisely as she knew she would?
Hell is the Absence of God handelt von Neil Fisk, dessen Frau aufgrund einer Engelserscheinung tödlich verunglückt und daraufhin zum Himmel auffährt. Neil, der an einer Gehbehinderung leidet und nach dem Tod seiner Frau an seiner Liebe zu Gott zweifelt, versucht, Gottes Willen zu ergründen. Die Geschichte macht auf den ersten Blick einen etwas schrägen und ironischen Eindruck. Wie soll Neil einen Gott lieben, der ihm das genommen hat, was er am meisten liebt? Gleichzeitig wünscht er sich nichts sehnlicher, als wieder mit seiner Frau zusammen zu sein, was nur im Himmel möglich ist. Dafür müsste er aber Gott lieben. Grundstein der Geschichte ist die Annahme, dass Gott in der Welt sichtbare und nachweisliche Spuren hinterlässt. Damit geht gleichzeitig einher, dass es eine höhere Instanz gibt, die alle menschlichen Handlungen bewertet. Problem dabei ist, dass die Wertungen keinem Muster folgen. So kommt der Massenmörder in den Himmel und eine gläubige Frau wie die von Neil, stirbt scheinbar zufällig und unter Qualen während einer Engelserscheinung. Neil selbst muss, um seine Frau wiederzusehen, ihren Mörder (Gott) lieben. Die Erzählung trägt offensichtlich religiöse Züge. Neben Neil treten noch zwei weitere Figuren auf, die direkt von Engelserscheinung oder anderen Gotteserscheinungen betroffen sind. Die Geschichte spielt spannend und interessant mit der Frage nach Schicksal und Bestimmung. Bewundernswert ist, wie Ted Chiang es hier schafft, Motive, die eigentlich eine feste Bedeutung haben, aus anderen Blickwinkeln und Perspektiven zu bearbeiten.
Den Stil des Autors habe ich als eher nüchtern wahrgenommen. Trotz der Kürze der Geschichten schafft er es, den Figuren die nötige emotionale sowie psychologische Tiefe zu verleihen. Auch hier sticht für mich die Titelgeschichte heraus. Dennoch standen für mich ganz klar die Gedankenspiele der unterschiedlichen Szenarien immer im Vordergrund und die sind ausnahmslos gelungen. Trotzdem eine Vorwarnung: Die Erzählungen und die dahinter stehenden Bedeutungen sind nicht leicht zu ergründen, manche Passagen musste ich öfter lesen und bei vielen Geschichten sind zumindest Grundkenntnisse der Sprachwissenschaft sehr hilfreich, um die Hintergründe zu verstehen.
Ted Chiangs Kurzgeschichtenband Stories of Your Life and Others gehört zu den besten Sammlungen, die ich bis jetzt gelesen habe. Der Autor entwickelt intelligente und tiefgründige Geschichten, die zum Nachdenken anregen und von einer großen Fantasie des Autors zeugen. Gleichzeitig schafft Ted Chiang es auch, die emotionalen Seiten seiner Figuren zu zeigen und diese sinnvoll mit den wissenschaftlichen Aspekten zu verbinden. Kurzum: Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die aus der Masse herausragt!
Ich war ähnlich begeistert, die Kurzgeschichten haben mich echt einigermaßen umgehauen. Freue mich, dass es Euch ähnlich ging. Ganz liebe Grüße :)
https://bingereader.org/2017/10/13/stories-of-your-life-ted-chiang/
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