Cixin Liu – Die wandernde Erde

Cixin Liu Die wandernde Erde Rezension

Cixin Lius Kurzgeschichtensammlung Die wandernde Erde kann nicht nur Fans begeistern, sondern bietet auch neuen Lesern einen sinnvollen Einstieg in die Welt und das Werk des Science-Fiction Autors.

Mit seiner Trisolaris-Trilogie schaffte es der chinesische Sci-Fi-Autor Cixin Liu, auch außerhalb seiner Heimat für Aufsehen zu sorgen. Glaubt man den Stimmen auf dem Buchcover, gehören unter anderem Mark Zuckerberg und Barack Obama zu seinen bekanntesten Fans. In China ist der Autor dagegen schon länger erfolgreich, was unter anderem an seinen Kurzgeschichten liegt, von denen elf nun in deutscher Übersetzung unter dem Titel Die wandernde Erde veröffentlich wurden. Die Storys sind seit 1999 entstanden, einige von ihnen wurden mit dem Galaxy-Award, dem prestigeträchtigsten chinesischen Science-Fiction-Award, ausgezeichnet. Manche der Geschichten sind inhaltlich lose miteinander verbunden.

Die Titelgeschichte wurde in China erst vor kurzem verfilmt und läuft sehr erfolgreich, außerhalb Chinas hat sich Netflix bereits die Rechte gesichert. Inhaltlich plant die Menschheit hier, die Erde mithilfe von Raketentriebwerken aus ihrer Umlaufbahn zu lösen und in der Galaxie eine neue Heimat zu finden. Grund für diese verzweifelt anmutende Entscheidung ist die Erkenntnis von Wissenschaftlern, dass die Sonne bald erlöschen wird und die Erde in Folge nicht mehr bewohnbar sein wird.

Unsere Gesellschaft ist hundertprozentig vom Wirtschaftsdenken durchdrungen. Wir haben gelernt, die Finger von allem zu lassen, dessen möglicher Gewinn einen Verlust nicht rechtfertigt. Die Erschließung des Mondes betrachten wir als wirtschaftlich unergiebig, eine umfangreiche bemannte Erforschung anderer Planeten als wirtschaftliches Verbrechen. Interstellare Raumfahrt wäre für uns geradezu ein Ausdruck von Geistesgestörtheit.

Aber nicht nur die Titelgeschichte bietet spannende, interessante und außergewöhnliche Gedankenspiele. Auch alle anderen Storys bewegen sich auf einem hohen Niveau. Immer wiederkehrende Motive sind große Bilder. So finden sich hier nicht nur die Erde, die durchs Universum wandert, sondern auch ein Tunnel, der die Arktis mit China verbindet und eine Welle, die höher ist als der Mount Everest. Wer bereits die beiden Bände der Trisolaris-Trilogie gelesen hat, weiß was ihn hier erwartet: eher nüchternes und faktenorientiertes Schreiben, in dem auch die Dialoge zuallererst der Informationsübermittlung dienen. Dennoch gibt es ebenso Storys, die vielleicht mit einem gewissen Augenzwinkern zu lesen sind, wie etwa Das Ende in der Kreidezeit, in welcher die Erde von Zivilisationen der Dinosaurier und Ameisen bevölkert wird, die kurz vor einem Krieg stehen. In Fluch 5.0 taucht der Autor selbst auf, allerdings als trinkender Obdachloser.

An anderen Stellen nutzt Liu das Genre Science-Fiction, um Gesellschaftskritik zu üben, die sich nicht auf seine Heimat bezieht. Diese kritischen Töne kommen aber eher leise daher. Die für mich einprägsamste Geschichte trägt den Titel Gipfelstürmer. Hier kommuniziert der Protagonist Feng Fang auf einer Riesenwelle mit einer fremden Zivilisation, die anscheinend unbeabsichtigt dabei ist, die Erde zu zerstören. Es entwickelt sich eine überraschende Unterhaltung, in der es keineswegs um die Rettung der Menschheit geht, sondern vielmehr um eine völlig andere Weltsicht und Geschichte, auf die sich sowohl Feng Fang als auch der Leser einlassen müssen. In ihren besten Momenten können die Geschichten an die grandiosen Storys von Ted Chiang erinnern.

Sehen Sie doch die silbrig weißen Wolken am Horizont! Für mich sehen sie massiv aus, wie Berge von glänzender Jade. Das Grasland darunter dagegen wirkt gasförmig, als habe das Gras beschlossen, davonzufliegen und ein Meer grüner Wolken zu bilden. Sehen sie doch, wie die Wolken an der Sonne vorüberziehen und dabei Licht und Schatten ein majestätisches Wechselspiel auf der Ebene vollführen. Wie können Sie bei diesem Anblick nichts empfinden?

Die wandernde Erde ist sowohl für Fans von Lius Werk als auch für Neueinsteiger sehr empfehlenswert. Während die einen kreative und ungewöhnliche Storys entdecken können, haben die anderen die Möglichkeit, sich einen Eindruck von Lius Art des Schreibens und Geschichtenerzählens zu machen. Nicht alle werden sich mit dem informativen Stil und den Inhalten, die in der Tradition der Hard-Science-Fiction, stehen anfreunden können. Wer sich darauf einlässt, wird mit den Ideen und den immer wiederkehrenden Themen des Autors vertraut und begegnet einem der wohl außergewöhnlichsten Autoren im Sci-Fi Bereich.

Hier gibt es einen Trailer zur Verfilmung:

5 comments

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  1. Constanze Matthes

    Ich habe mit sehr viel Begeisterung den ersten Band der Trisolaris-Reihe gelesen, den zweiten hatte ich begonnen, habe aber so richtig nicht in das Geschehen hinein finden können. Aber ich denke, jedes Buch hat eine weitere Chance verdient. Ich denke auch, dass mich diese Geschichten interessieren und ich endlich mehr SciFi-Literatur lesen sollte. Vielen Dank für den Tipp und viele Grüße

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    • letusreadsomebooks

      Mir hat der zweite Band nicht ganz so gut gefallen, wie der erste Teil. Das Finale liegt trotzdem schon bereit und ich bin sehr gespannt, wie es ausgehen wird.
      Ja, SciFi würde ich auch gerne (noch) mehr lesen, aber es gibt noch so viele andere Romane, die mich auch interessieren…
      Viele Grüße

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  2. Tina

    Wow, was für eine schöne Rezension. Ich habe letztes Jahr „Weltenzerstörer“ sowie „Spiegel“ gelesen und kam also auch nicht an dem Sammelband vorbei. „Gipfelstürmer“ ist tatsächlich eine meiner Lieblingsgeschichten, die Welt der Außerirdischen will dabei aber gar nicht in meinen Kopf rein. Liu hat hier wirklich tolle Geschichten vorgelegt und obwohl mir die Trisolaris Trilogie wirklich viel zu dick ist, bin ich mit Band 1 am liebäugeln… Ich bin auch schon wahnsinnig auf den Film zur wandernden Erde gespannt!

    Liebe Grüße
    Tina

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    • letusreadsomebooks

      Danke dir!
      Die dort präsentierte Welt ist ja auch wirklich komplett unserer eigenen entgegengesetzt.
      Ich finde, dass sich die Bücher recht schnell lesen lassen und die Anhänge genügend Erklärungen liefern, um auch den technischen Teil verstehen zu können. Von daher kann ich nur empfehlen, mit der Trilogie anzufangen, nachdem jetzt alle drei Bände erschienen sind.

      Liebe Grüße
      Alex

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  3. andrea

    Ich habe „Die drei Sonnen“ gelesen und war dann enttäuscht, dass ich so lange auf die anderen zwei Bände warten musste, dass ich die Bücher erstmal zur Seite gelegt habe. Irgendwann kommt die Zeit, dann lese ich alle drei nacheinander. Die Kurzgeschichten hören sich auch gut an. Ist auf jeden Fall notiert! Danke für die Rezension.

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