Stephen King – Running Man. Menschenjagd.

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Von der Dystopie zum x-beliebigen Actionstreifen zum Splatteralptraum: Stephen Kings Roman Running Man – Menschenjagd hätte er vielleicht besser mit seiner eigenen Stimme verfasst als mit der seines literarischen Alter Egos Richard Bachman.

Wir schreiben das Jahr 2025: die Menschen schauen stur ihr Free-Vee-Fernsehen und haben schon lange aufgehört, sich für die gesellschaftlichen Missstände zu interessieren. Sie sind viel zu sehr abgelenkt von gefährlichen Shows wie „Running Man“. Alle Spielshows werden von Network Games produziert, mit der Absicht, das Publikum zu unterhalten – und nicht unbedingt das Preisgeld an die Kandidaten auszahlen zu müssen, denn diese überleben sie meistens nicht. Ben Richards ist, wie viele andere auch, arbeitslos geworden, seine kleine Tochter ist schwer krank. In „Running Man“ sieht er die einzige Möglichkeit, an das Geld zu kommen, von dem er gute Ärzte für seine Cathy bezahlen könnte.

„Aber vorher möchte ich Ihnen noch einmal herzlich gratulieren und Ihnen sagen, dass ich Sie für großartige, mutige Kerle halte. Sie weigern sich, von der Sozialfürsorge zu leben, wenn Sie die Möglichkeit haben, sich als Mann zu beweisen und, wenn ich das persönlich hinzufügen darf, zu wahren Helden unserer Zeit zu werden.“

Stephen Kings Roman Running Man – Menschenjagd beginnt zunächst klassisch dystopisch: Viele Menschen sind arbeitslos geworden, und um sich zu beschäftigen, nehmen sie Drogen oder gucken Free-Vee. Es herrscht eine riesige Kluft zwischen armen und reichen, zwischen schwarzen und weißen Bürgern. Begriffliche Neuschöpfungen sowie Richards‘ Führung durch das Network Games-Gebäude erinnern an bekannte Dystopien wie Schöne neue Welt oder 1984. Ein vielversprechender Start also. Gerade Kings Fernsehshow-Ideen wie „Tretmühle zum Zaster“ sind großartig, an der nur chronisch herz- oder lungenkranke Kandidaten teilnehmen können – um dann im Idealfall vor laufender Kamera einen Herzinfarkt zu erleiden. Auch das Prinzip von „Running Man“ ist gelungen. Jede Stunde, die Richards in Freiheit verbringt, gewinnt er einhundert Neudollar. Wenn er dreißig Tage durchhält, lockt die fette Beute: eine Milliarde Neudollar. Doch der Haken an der Sache ist folgender: ein professionelles Killerkommando ist hinter Richards her, und jeder Bürger, der einen Tipp über Richards Aufenthaltsort an Network Games liefern kann, verdient sich eine Belohnung dazu.

So interessant und überzeugend der Anfang war, so schnell hat sich für mich das Blatt gewendet. Wer auf den ersten Seiten noch eine Dystopie à la Schöne neue Welt oder auch nur Die Tribute von Panem vermutet, liegt weit daneben. Schon nach kurzer Zeit vernachlässigt King die gesellschaftlichen Faktoren und tauscht sie gegen knallharte Action. Man hat das Gefühl, als würde man aus dem Roman herausgerissen und in einen Hollywoodstreifen katapultiert werden. Von psychologischen Betrachtungen oder einem wirklich nervenzehrenden Überlebenskampf keine Spur. Die Menschenjagd wird schnell zur typischen, austauschbaren Verfolgungsjagd, Richards auf der Flucht, die Polizeiwagen hinter ihm her, Schusswechsel, Geiselnahme, ein bisschen das Übliche, was man in jedem herkömmlichen Actionfilm findet.

„ALLE BÜRGER VERLASSEN SOFORT DAS GEBIET, ODER SIE WERDEN WEGEN WIDERSTANDS GEGEN DIE STAATSGEWALT UND ILLEGALER ZUSAMMENROTTUNG FESTGENOMMEN. DIE STRAFEN FÜR DIESE VERGEHEN BETRAGEN MINDESTENS ZEHN JAHRE STAATSGEFÄNGNIS ODER EIN BUSSGELD VON ZEHNTAUSEND DOLLAR ODER BEIDES.“

Richards ist außerdem ein schwieriger Charakter. Er ist völlig unsympathisch, das klassische Arschloch, rassistisch, sexistisch und ordinär. Das ist an sich in Ordnung, denn auch unsympathische Protagonisten können einen Roman interessant machen. Hier fand ich es persönlich eher hinderlich, da ich zu keiner Sekunde mit ihm mitfiebern konnte und es mir wirklich total egal war, ob er nun die Jagd überlebt und das große Preisgeld gewinnt, oder nicht.

Im Laufe des Buchs entfernt sich King glücklicherweise dann doch noch einmal von der Verfolgungsjagd im Auto – Richards Psychospiel mit Network Games beginnt. Das hätte mir wieder einigermaßen gut gefallen können, wenn es nicht plötzlich eine vollkommen andere Richtung einschlagen würde. Der Roman wird unnötig und übertrieben brutal und eklig, eigentlich schon splattermäßig. Ich war eher negativ überrascht und wusste auch nicht mehr, wie ich von dem spannenden dystopischen Start hier hin gelangt war. Die ersten Seiten sowie einige Zwischensequenzen waren sehr lesenswert, der Großteil von Running Man – Menschenjagd jedoch hat mich gelangweilt und verwundert bis abgestoßen zurückgelassen. Ich hatte mir etwas völlig anderes unter dem Roman vorgestellt, sowohl vor dem Lesen als auch beim Lesen selbst.

Ich frage mich allerdings, ob es für mich ein positiveres Erlebnis gewesen wäre, wenn Stephen King den Roman unter seinem eigenen Namen und nicht unter seinem literarischen Alter Ego Richard Bachman verfasst hätte. King sagt selbst im Nachwort, dass die ersten vier Bachman-Bücher „von einer tiefsitzenden Wut erfüllt, sexuell frustriert, auf verrückte Weise gut gelaunt und von Verzweiflung zerfressen“ waren. Er wollte mit Bachman eine Stimme und Perspektive schaffen, die ein wenig, aber nicht völlig, verschieden von seiner eigenen waren. Ich glaube allerdings, dass er diese großartige Grundidee von Running Man – Menschenjagd als Stepehen King viel besser hätte umsetzen können.

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