Thomas von Steinaecker – Die Verteidigung des Paradieses

 

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Zukunft als Katastrophe

Es ist das Jahr 11 nach der großen Katastrophe. Gemeinsam mit einer Handvoll von weiteren Überlebenden wächst der Junge Heinz auf einer Alm in den Bergen auf, die noch von Schutzschilden geschützt wird. Der Rest Deutschlands ist zerstört oder verseucht und wird von Banden kontrolliert. Heinz Ziel ist es, die verlorene Zivilisation zu bewahren und eine Chronik der letzten Menschen zu schreiben. Als das Gerücht aufkommt, dass im Westen ein Flüchtlingslager existiert, macht sich die Gruppe auf den Weg in das vermeintliche Paradies…

In seinem Roman Die Verteidigung des Paradieses erzählt der Autor Thomas von Steinaecker die Geschichte eines Jungen, der mit anderen Überlebenden durch ein zerstörtes Deutschland wandert und dabei mit existenziellen Fragen konfrontiert wird. Heinz ist mit seinen 15 Jahren zwar der jüngste der Gruppe von Überlebenden, erhält aber von Cornelius, den er als den „weltbesten Leader“ bezeichnet, den Auftrag, die Geschichte der Gruppe zu dokumentieren. Und so schreibt Heinz getreu dem Motto: „So lange ich schreibe, leben wir“. Insgesamt füllt er mehrere Hefte, die nach ihren jeweiligen Farben benannt sind und zunächst das Leben auf der Alm beschreiben sowie die Reise in Richtung der erhofften Rettung im Flüchtlingslager. Doch bereits das Leben auf der Alm ist nicht einfach. Zwar wird das Gebiet von Schilden vor den heftigen Witterungen geschützt, doch bei Ausfällen kann die Gruppe nur mithilfe des Schutzes von Anzügen die Sonnenstrahlung überleben. Doch nicht nur das Wetter ist eine Gefahr, sondern auch Drohnen oder andere Überlebende, die zufällig einen versteckten Eingang finden könnten. Heinz ist mit seinen jungen Jahren ein außergewöhnlicher Hauptcharakter, der sympathisch ist und mit dem ich jederzeit mitgefiebert habe. Auf der einen Seite schutzbedürftig und immer begleitet von seinem Spielzeug, einem elektronischen Wüstenfuchs, der ihm zum Einschlafen Kindergeschichten erzählt und auf der anderen Seite sind Überreste von Texten in seinem Kopf, deren Ursprung unbekannt ist und die nicht nach einem Jungen von 15 Jahren klingen.

Einmal in meinem Leben habe ich bis jetzt die Verwandlung erfahren. Es war in der Zeit zwischen Neujahr und Dreikönigstag. Als ich aufwache, ist die andere Seite des Bettes kalt. Ich befinde mich in einem Büro, umgeben von Körpern und Köpfen. Seit ich das schwarze Heft schreibe, geschieht es immer häufiger, dass mir ohne jede Vorwarnung Sätze wie diese durch den Kopf schießen. Dem Höhepunkt des Lebens war ich nahe, als mich dunkler Wald umfing. Nun, Fürst, hat die Familie Bonaparte auch Genua und Lucca in Besitz genommen? Ich schwöre, ich habe keine Ahnung, was da los ist.

Leser, die sich in der Weltliteratur auskennen, finden Zitate von Klassikern wie Lew Tolstoi, Dante Alighieri, Edgar Allan Poe und Adalbert Stifter, aber auch von modernen Autoren wie David Foster Wallace, Haruki Murakami, Suzanne Collins oder W. G. Sebald. Sozusagen die gesamte Weltliteratur im Kopf eines Jungen, der scheinbar zufällig die Apokalypse überlebt hat. Eines der Hobbys von Heinz auf der Alm ist es, Altwörter zu sammeln und in Listen zu bewahren.

In meiner aktuellen Top Ten der besten Altwörter ever steht zurzeit Salbader auf Nummer eins. Aber auch die Nummer zwei, weidlich, ist heftig. Genauso wie Amnestie. Ich kann gar nicht genug davon kriegen. Demonstration, Plenarsaal, Internet. Ich bin verrückt, es ist schrecklich.

Während die Gruppe sich noch auf der Alm befindet, kommt die Bedrohlichkeit des Post-Apokalyptischen Settings nur punktuell zum Vorschein. Das ändert sich aber mit dem Verlassen der sicheren Umgebung völlig. Das Deutschland, das die Gruppe betritt, ist fast gänzlich zerstört, es gibt fast gar kein Wasser und Essen nur aus Konserven, die noch nicht gefunden oder zerstört wurden. Aber nicht nur die Natur erscheint feindlich, sondern auch die anderen Überlebenden. So besteht ständig die Gefahr, von Banden oder Mutanten angegriffen zu werden. Hier ist die Schilderung eines Mutantendorfes besonders eindrücklich. Die Reise durch die zerstörte ehemalige Heimat bringt die Gruppe sowohl an ihre physischen als auch an ihre psychischen Grenzen. Soll man einer anderen Gruppe von Überlebenden etwas von seinem Essen abgeben, um sie vor dem Tod zu retten, damit aber riskieren, selber zu verhungern? Kann man die älteste Frau zurücklassen und so dem sicheren Tod überlassen, weil sie keine Kraft mehr hat um weiterzugehen? Ist es möglich, einen anderen Menschen, der die Strapazen nicht überleben wird, nach seinem Tod zu essen um so das eigene Überleben zu sichern? Diese Fragen und noch weitere stellen sich während der Reise und führen letztlich zu der entscheidenden Frage: Was bedeutet es eigentlich, Mensch zu sein?

Doch nicht nur die Geschichte des Romans ist äußerst spannend, sondern auch seine sprachliche Gestaltung. Geschrieben aus der Ich-Perspektive des 15-jährigen Heinz ist der Stil eine Mischung aus eher altertümlichen Wörtern, den von Heinz so geschätzten ‚Altwörtern‘ und Anglizismen. Am Anfang des Lesens war es gewöhnungsbedürftig, doch nach einigem Zurechtfinden hat es mir sehr gut gefallen und war erfrischend anders. Ebenso beeindruckend wie die stilistische Vielfalt ist auch die die Vermischung von verschiedenen Genres. Es ist sowohl ein Entwicklungs-, Abenteuer- als auch ein Science-Fiction-Roman, aber ebenso macht sich Heinz viele Gedanken über die Bedeutung von Gott, hier als LORD bezeichnet.

Brillante Mischung

Für mich hat Thomas von Steinaecker mit Die Verteidigung des Paradises eine wunderbare Mischung aus spannender Handlung mit tiefgehenden Themen und einer außergewöhnlichen Sprache geschaffen, die mich beim Lesen wirklich begeistert hat. Bis jetzt eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe und ein Roman, der mich sicherlich noch länger begleiten wird.

Die Verteidigung des Paradieses steht auf der Longlist des deutschen Buchpreises.

Weitere Informationen zum Autor und Werk findet ihr hier auf der Seite des Fischer Verlags.

5sterne

3 comments

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  1. Vanessa M.

    Hallo,

    eine schöne Bewertung, der ich in allen Punkten zustimmen kann. Ich fand das Buch großartig und es ist eines meiner Lesehighlights des Jahres. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass das Buch es auf die Longliste des Buchpreises geschafft hat.

    Liebe Grüße, Vanessa

    Gefällt 1 Person

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