©Fischer Verlag
Kriegsspiel vs. Realität
Udo Berger und seine Freundin Ingeborg verbringen die Ferien an der Costa Brava in dem Hotel, in dem Udo als Kind immer mit seiner Familie war. Viel hat sich nicht verändert, vor allem die Besitzerin Frau Else ist noch genau so schön wie in Udos Erinnerungen. Er verbringt seine Zeit hauptsächlich mit seinem Brettspiel, dem Wargame „Das Dritte Reich“. Währenddessen schließt Ingeborg Freundschaft mit einem anderen deutschen Paar. Lustlos lässt sich Udo ab und zu in Diskos und an den Strand mitschleifen und begegnet dort den seltsamen spanischen Aufreißern El Lobo und El Cordero sowie dem mysteriösen Verbrannten, der ein besonderes Interesse an ihm zu haben scheint. Die Ereignisse beginnen, sich zu überschlagen: Gewalt, Verschwinden, heimliche Küsse und ein unerwarteter Spielgegner – doch Udos oberste Priorität bleibt, Deutschland zum Sieg zu führen.
Ich muss gestehen, dass ich eigentlich sehr gerne Bücher von Bolaño lese und somit auch wusste, worauf ich mich einlasse. Dennoch hat es bei diesem Roman irgendwie nicht so ganz funken wollen. Die Grundidee fand ich sehr gut, genau so wie die Ausarbeitung der Charaktere. El Lobo (zu Deutsch übrigens „der Wolf“) und sein Kumpane El Cordero („das Lamm“) sind zwielichtige Gestalten, bei denen man von Anfang an nicht weiß, ob man ihnen über den Weg trauen kann – in Anbetracht dieser Tatsache ist es sehr raffiniert vom Autor, ihnen genau diese Namen zu verpassen. Charly ist ein verachtenswertes Ekel, Udo aber manchmal auch. Sympathisch sind hier höchstens die Damen, aber die spielen nur eine nebensächliche Rolle. Der Verbrannte ist ebenfalls interessant durch seine schweigsame Art und seine vielen Geheimnisse. Auch gelungen fand ich die Entwicklung Udos, die parallel zu seiner Partie „Das Dritte Reich“ abläuft. Während er darin versunken ist, den zweiten Weltkrieg aus der Sicht Deutschlands nachzuspielen und im besten Fall den Lauf der Dinge zu verändern, verändert auch er selbst sich immer mehr und nähert sich langsam aber beständig dem Wahnsinn. Gleichsam spannend ist auch Udos Entwicklung als Spiegel zur Wahrnehmung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Wer geschichtliches Wissen besitzt, wird sich darüber freuen, die verschiedenen Stufen Deutschlands (Überlegenheit, Niedergang, Verleugnung,…) in Udo wiederzufinden.
Die Handlung plätschert ein wenig vor sich hin, aber das fand ich gar nicht schlimm, da Bolaño nun mal nicht besonders actionreich schreibt. Gestört hat mich jedoch ein wenig, dass Andeutungen gemacht wurden, die nie aufgeklärt wurden. Dies trägt nicht dazu bei, dass am Schluss wichtige Fragen offen bleiben, sondern dazu, dass man kleine Details der Geschichte nicht genau festlegen kann, und im Prinzip ist es völlig schnurz, ob man jetzt genauer Bescheid weiß oder nicht. Es gibt einige Elemente, wie zum Beispiel Udos Albträume, Tagträume und Einbildungen, die dazu führen, dass man als Leser manchmal nicht mehr genau sagen kann, was jetzt wirklich passiert ist und was nicht. Hier hätte Bolaño für mich persönlich gerne noch mehr mit der Verwischung der Realitätsgrenze spielen können, die eben auch wunderbar Udos Besessenheit von Wargames widerspiegelt. Auch das Ende fand ich eher unbefriedigend. Ich hatte gedacht, dass es auf einen völlig anderen Schluss hinausläuft und war eher enttäuscht, weil der, den ich vorfand, nichts Ganzes und nichts Halbes war.
Positiv anzumerken sei allerdings noch die Tatsache, dass der Autor über umfangreiche Kenntnisse von „Das Dritte Reich“ verfügt, da er selbst ein leidenschaftlicher Wargame-Spieler war. So wirkt es jederzeit authentisch, wenn Udo von seinen Spielzügen erzählt – auch wenn ich nicht alles verstanden habe. Ob man so etwas ständig ausgeführt haben möchte, ist wahrscheinlich Geschmackssache. Im Gegensatz zu anderen Autoren fasst sich Bolaño allerdings recht kurz. Ich lese lieber zwei Seiten über Kriegsspielstrategien als acht Seiten über eine Schachpartie oder darüber, wie das Raumschiff genau repariert wird.
Frühwerk mit Luft nach oben
Das Dritte Reich ist eines von Bolaños ersten Werken. Er schrieb das Manuskript 1989 (neun Jahre vor Die Wilden Detektive und lange vor seinem Opus Magnum 2666), es wurde jedoch erst nach seinem Tod veröffentlicht. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum ich es nicht so stark fand, wie seine anderen Bücher. Und vielleicht hatte Bolaño ein ganz anderes Ende geplant, aber nie geschrieben. Mit einem konsequenteren Ende und weniger Andeutungen von halbwichtigen Ereignissen hätte es mir deutlich besser gefallen, da ich von den Charakteren, insbesondere von Udos Entwicklung, sehr überzeugt war.
Nach dieser Besprechung reizt mich dieses Buch nicht, obwohl ich die Verbindung zu einem Computerspiel sehr reizvoll finde. Da ich von diesem Autor noch nichts gelesen habe, werde ich mir aber die anderen Werke mal genauer ansehen.
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Es ist ein Brettspiel, kein Computerspiel. :) Aber ja, es gibt definitiv bessere, ausgereiftere Werke von ihm. Man sollte auf jeden Fall mal etwas von Bolano lesen/es zumindest versuchen. Ich hoffe, du findest da noch ein Buch von ihm, das dir gefällt!
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