Ronja von Rönne ist das wild child der deutschen Literaturszene, gefeiert und verpönt zugleich. Ihr erster Roman Wir kommen, in dem nun wirklich niemand kommt, sondern eher alle gehen, ist ein sprachliches Feuerwerk.
Nora ist jung, lebt in einer Viererbeziehung und wird ständig nachts von Panikattacken geweckt. Um den Grund für ebendiese herauszufinden, schlägt ihr Therapeut vor, alles aufzuschreiben, was so passiert. Maja, Noras beste Freundin aus der Schulzeit, ist gestorben. Und in ihrer Beziehung läuft auch nicht alles rund. Deshalb beschließen Nora, Jonas, Karl und Leonie ein paar Tage ins Haus ans Meer zu fahren. Leonies Kind und die Schildkröte von Noras Mitbewohnerin mit im Schlepptau, machen sie sich auf den Weg, um zu retten, was noch zu retten ist.
Ronja von Rönnes Name war in meinen Gedanken irgendwie immer negativ behaftet. Und das, obwohl das Feuilleton eigentlich überwiegend lobend von ihrem ersten Roman sprach und ich bis vor kurzem auch keinen einzigen Artikel oder Blogtext von ihr gelesen hatte. Vielleicht liegt es eher an der negativen Rezeption der Leser, die meist posaunen, von Rönne schreibe auf Schülerzeitungsniveau und ähnliche Dinge, die ich nach dieser Lektüre beim besten Willen nicht nachvollziehen kann. Vielleicht auch an diesem einen Feminismustext, der für mächtig dicke Luft sorgte. Trotzdem ärgere ich mich, besagten Text mal völlig beiseite, erst jetzt meine Vorurteile über Bord geworfen zu haben, denn Wir kommen hat mich wirklich positiv überrascht.
Egal, wie sehr er sich vor dem Tag ziert, der Morgen erlaubt das Menschsein. Egal, wie trüb er ist, immer macht der Morgen klar, dass man gestern irgendwie hinter sich gebracht hat, tröstliche Endlichkeit in Blassblau und Orange.
Von Rönne schreibt mit einer Leichtigkeit, die bemerkenswert ist, völlig natürlich und unverkrampft – ganz anders als zum Beispiel Kollege Simon Strauß, obwohl der nur unwesentlich älter ist, also scheint man das zumindest nicht auf ihr junges Alter zurückführen zu können. Trotz der Leichtigkeit findet sich Poesie zwischen ihren Zeilen, auf ihren Seiten, von Anfang bis Ende, ohne je aufgesetzt zu wirken. Ihre Sätze sind einhundertprozentig durchdacht, da ist nichts geschludert oder einfach so hingerotzt. Man spürt ihre Liebe zur Sprache, zum Wort, und zwar in jedem einzelnen Satz. Von Rönne ist außerdem auf wundervoll unkorrekte Weise lustig, zum Beispiel, als jemand auf einer Party von „seinem“ Flüchtling spricht wie von seinem Golden Retriever.
„Wir haben ja jetzt auch einen“, sagte die Frau.
„Einen was?“, fragte Karl.
„Einen Flüchtling. Ganz toll ist der. Abdul, komm mal her“, rief sie, und ihr Mann beugte sich zu Karl und flüsterte, Abdul sei ein arabischer Name und bedeutete Knecht, und er wisse auch nicht, warum seine Frau immer ‚Flüchtling‘ sage, den Terminus halte er für grundfalsch.“
Die Charaktere sind…sagen wir mal, interessant. Wirklich sympathisch ist niemand, sie haben diese typischen first-world-problems meiner Generation – Freundschaften doof, Beziehung doof, ab und zu mal eine Panikattacke. (Immerhin haben sie alle einen Job!) Das macht es allerdings auch recht leicht für junge Menschen, sich mit ihnen zu identifizieren. Oder zumindest mit Nora, denn die anderen scheinen überzeichnete Versionen von Leuten aus meinem oder deinem Bekanntenkreis zu sein. Generationskritik aus den eigenen Reihen, verpackt in viel Ironie und Überspitztheit. Karl erinnert mich hin und wieder an eine anstrengendere, negative Version von Hartmut aus Oliver Uschmanns Roman Hartmut und Ich. Leonie ging mir allerdings so dermaßen auf die Eierstöcke, dass ich unweigerlich Mitleid mit Protagonistin Nora hatte. Wer solche Freunde hat, verdient ein wenig Liebe von seinen Lesern. Die polyamore Beziehung zwischen den vier jungen Menschen ist grausam und zerstörerisch. Da ist es ja kein Wunder, dass Nora eine Therapie benötigt. Dabei geht es ihnen eigentlich gar nicht so sehr um eine Beziehung an sich, nicht um die Liebe, nicht um den Sex, sondern vielmehr um das Nichtalleinseinmüssen.
Wir waren viele, aber wir waren nicht genug.
Dass von Rönne schreiben kann, ist offensichtlich, zumindest für einen Teil ihrer Leserschaft, mich inklusive. Inhaltlich passiert nicht allzu viel: ein Urlaub am Meer halt, ein paar Streitereien, eine Party, ein paar Rückblenden zu Noras Jugend mit ihrer besten Freundin Maja, die auch schon eher Gift für ihre Seele war. Dennoch passiert genug, es geht immerhin um Noras Psyche, um ihre Selbstfindung und das Ausbrechen aus dem bestehenden Grauen. Und da brilliert vor allem von Rönnes Sprache. Sie schafft es, dass mein Herz schwer wird, beim Lesen und besonders beim Zuschlagen des Buches. Ich hätte es vor der Lektüre niemals erwartet, aber es hat mich traurig gemacht, melancholisch. Vielleicht, weil ich weiß, wie sich Noras Panikattacken anfühlen. Weil ich das Gefühl habe, sie zu verstehen. Weil ich weiß, wie es ist, wenn man Angst vor der Einsamkeit hat.
Er ist jetzt zwei Wochen weg, im Urlaub, denn mein Therapeut hat das perfekte Leben. Ich habe nicht das perfekte Leben, deshalb habe ich den Therapeuten. Fotos einer glücklichen Familie zieren die Wände seiner Praxis. Familie am Strand. Familie beim Grillen. Familie im Zoo. Familie beim Lächeln. Vielleicht ist mein Therapeut aber auch viel gestörter als seine Patienten und schneidet seine Familienfotos aus Otto-Katalogen aus. Man hört ja so Sachen, und am Ende waren es immer die Netten.
Was den Humor betrifft, ist es natürlich erst recht immer Geschmackssache. Wer bei Mario Barth lacht, wird dieses Buch hassen. Wenn die junge Autorin auf ihrem Instagram-Account den gemeinsamen Podcast mit ihrem Freund Tilman Rammstedt mit den Worten „PS: i love you so much, aber du hast kein Instagram, also wirst du es nie erfahren. Offline Opfer“ bewirbt, finde ich das lustig. Sorry. Wer das doof findet, kann ja immer noch in den Keller gehen. Wer sich einmal auf ihren Social Media-Kanälen umsieht, ihren Blog Sudelheft liest, ihre Artikel in der Welt oder ihre neue Zeit-Kolumne, wird vermutlich gut abschätzen können, ob er von Rönne hui oder pfui findet. Etwas dazwischen ist glaube ich fast unmöglich.
Ronja von Rönnes Debüt-Roman Wir kommen ist viel besprochen und kontrovers rezensiert worden. Ich für meinen Teil habe mich in von Rönnes Sprache und Humor verliebt. Dieses kleine Büchlein hat vieles mit mir gemacht, und das, obwohl ich nicht ohne Vorbehalte angefangen habe, zu lesen.