In Amerikanisches Idyll erzählt Philip Roth die Geschichte eines zerstörten Lebens
Seymour Levov, von allen nur „der Schwede“ genannt, wächst während den Nachkriegsjahren in der jüdischen Gemeinde von Newark auf. An der Highschool ist er ein gefeierter Sportler. Er heiratet eine ehemalige Schönheitskönigin, übernimmt die erfolgreich laufende Handschuhfabrik seines Vaters und zieht nach Old Rimrock, wo hauptsächlich weiße Protestanten leben. Sein Leben scheint perfekt zu verlaufen, bis seine stotternde Tochter zur Terroristin wird. Im Zuge der Proteste gegen den Vietnamkrieg verübt sie einen Bombenanschlag auf das örtliche Postamt, bei dem ein Mensch ums Leben kommt. Nach der Tat taucht die 17-jährige unter und die heile Welt der Familie Levov zerbricht völlig.
Das Leben des Schweden Levov wird von Nathan Zuckermann erzählt, den Roth auch in diesem Roman als Erzähler und fiktiver Alter Ego nutzt. Der Schwede ist ein älterer Schulkamerad von Zuckermann, den die anderen Jungen aufgrund seiner sportlichen Fähigkeiten bewundern. Seinen Spitznamen, der Schwede, trägt er wegen seines Aussehens: ein Meter neunzig groß, blondes Haar und blaue Augen. In der jüdischen Gemeinde Newarks ein ungewöhnliches Äußeres. Viele Jahre später, Zuckermann ist mittlerweile ein erfolgreicher Schriftsteller, trifft er den mittlerweile alt gewordenen Schweden wieder. Auch beim Wiedersehen erscheint er ihm als perfektes Beispiel für das „amerikanische Idyll“. Für Zuckermann ist der Schwede jedoch ebenso perfekt wie langweilig. Erst auf einem Klassentreffen erfährt er von dessen Bruder, dass der Schwede nicht das glückliche Leben hatte, das Zuckermann sich immer vorgestellt hat. Es folgt für Zuckermann die eigentlich banale Erkenntnis, dass sich hinter der nach außen getragenen Fassade des Glücks ebenso ein tragisches Schicksal verbergen kann. Der Konflikt, der hier nun am Beispiel des Schweden aufgemacht wird, ist repräsentativ für weitere Personen. Als Nachfahre einer armen Einwandererfamilie, die durch harte Arbeit in Amerika zu Wohlstand gekommen ist, wird sein Heimatland nun von der 68er Generation, zu der auch seine eigene Tochter gehört, infrage gestellt. Die Vorwürfe lauten Faschismus, Imperialismus, Kapitalismus und Rassismus.
Als sei ein Leben im Einklang mit der Welt ein Zufall, der jungen Menschen, wenn sie Glück hatten, gelegentlich passieren konnte, im Übrigen aber etwas, wozu es dem Menschen an jeglicher Neigung fehlte. Wie sonderbar. Und wie sonderbar mutete ihn hier der Gedanke an, dass in Wirklichkeit womöglich er, der sich immer selig gepriesen hatte, zum großen Heer der Normalen und Friedfertigen zu zählen, die Abnormität war, ein Fremdling im wahren Leben, gerade weil er so fest und unverrückbar darin wurzelte.
Seine Tochter beginnt damit, sein Leben und seine Werte infrage zu stellen. Als Fabrikbesitzer ist er für sie ein Ausbeuter und auch den Protest gegen den Vietnamkrieg trägt sie in die ländliche Idylle. Geduldig und verständnisvoll diskutiert der Schwede mit ihr und glaubt, das Verhalten der Tochter wäre nur eine vorübergehende Phase. Doch mit dem Bombenanschlag auf das Postamt wird sein Leben zur Tragödie. Wie konnte es soweit kommen? Das fragt sich nicht nur der Schwede, sondern vor allem Zuckermann, der schon fast krankhaft versucht, sich in den Schweden hineinzuversetzen und voller Leidenschaft beginnt, das Leben des Schweden zu erzählen.
Ich tauschte meine Einsamkeit gegen seine, lebte in diesem von mir so verschiedenen Menschen, verschwand in ihm, versuchte mir Tag und Nacht ein Bild von diesem Mann zu machen, der scheinbar so oberflächlich und naiv und einfach war; zeichnete seinen Zusammenbruch nach, machte ihn im Lauf der Zeit zur wichtigsten Gestalt meines Lebens.
Und eigentlich erzählt Roth hier zwei Geschichten. Eine Vater-Tochter Beziehung und gleichzeitig das Leben in der jüdisch-amerikanischen Mittelklasse zwischen der Nachkriegszeit und den 70er Jahren. Dabei beschreibt der Autor das Leben in Newark ebenso wie die Gedankengänge des Schweden, die immer um die Frage nach seiner Tochter kreisen. Vor allem die inneren Monologe des Schweden und die sich daran anknüpfenden Gedanken Zuckermanns sind stark psychologisierend. Neben der Darstellung und Interpretation Zuckermanns haben Alternative Darstellungen kaum Platz. Der Leser nimmt Teil an einem doppeldeutigen Kuss zwischen Vater und Tochter als diese Elf ist. Liegt hier der Auslöser für ihre Entwicklung? Zudem stottert das Kind und wird später stark übergewichtig. In der Handschuhfabrik wird das komplizierte Anfertigen von guten Handschuhen minutiös beschrieben. Ebenso die Auswirkungen der Rassenunruhen und der stetige Verfall des Ortes Newark.
Der Roman gipfelt in einem Abendessen, dass deutlich vor Augen führt, welche Auswirkungen die Taten der Tochter auf die Familie haben. Zu Gast sind die Eltern des Schweden, Nachbarn und Freunde aus New York. Und während anhand des Films „Deep Throat“ mit Linda Lovelace und Watergate über den Verfall der Moral und der Gesellschaft diskutiert wird, kommen immer mehr Risse und Spannungen im eigenen Leben zum Vorschein, die sich nur kleinen Gesten und Gewohnheiten zeigen. Nichts davon wird von den Figuren ausgesprochen, aber dem Leser wird kunstfertig das Drama im Leben des Schweden vor Augen geführt.
Die Tragödie des Menschen, der auf Tragödien nicht vorbereitet ist – das ist die Tragödie des Jedermann.
Mir war Amerikanisches Idyll an manchen Stellen zu psychologisierend. Die Obsession, mit der sich Zuckermann in den Schweden hineinversetzt und jedes Detail ausführlich beschreibt und jedes Problem hin und her bewegt, ist so ausführlich, dass es langatmig wurde, was zum Teil auch auf Kosten der Spannung geht. Dasselbe gilt für die ausführlichen Beschreibungen der Handschuhfertigung, die für mich auch kürzer hätten ausfallen dürfen. Bis die Levovs einsehen können, dass die Kunst maßgeschneiderte Handschuhe anfertigen zu können, nicht automatisch dazu führt, ein perfektes auf Leben herstellen zu können, vergeht viel Zeit. Die Familie dabei auf dem Weg zu begleiten, ist nicht immer spannend, aber dennoch lohnenswert.