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Keine Panik!
Aufgewachsen in einer Ökofamilie, immerzu unverstanden und unangepasst, wendet sich Benjamin von Stuckrad-Barres Dasein plötzlich völlig: Steile Karriere, Essstörung und Drogen, ganz viele Drogen, Klinikaufenthalte – ein Leben wie ein Formel 1-Rennen, das muss ja etwas mit dem Menschen machen. Und Udo, immer Udo. Jahre später, endlich clean, steigt er im berühmt berüchtigten Hotel Chateau Marmont in Los Angeles ab, trifft Bret Easton Ellis, Thomas Gottschalk, Elvis Costello und natürlich den Mann, der ihn seit seiner Jugend immer wieder prägt und der jetzt sein guter Freund ist – Udo Lindenberg.
Benjamin von Stuckrad-Barre ist zurück. Erwachsener denn je, schonungsloser denn je. Aber immer noch genau so musikverrückt wie damals in Soloalbum. Stuckrad-Barre war schon damals jemand, der stark polarisiert hat, daran wird sich auch mit seinem neuen Roman nichts ändern. Doch nun gibt er uns Lesern eine Chance, ihn zu verstehen. Wer ihn früher arrogant fand, lernt hier, warum er damit gar nicht so falsch lag, aber auch, warum man dem Überflieger-Autor dies vielleicht ja doch verzeihen könnte.
Nach einem ruhigen Start mit Rückblenden in die Kindheit und Jugend, die er wohlbehütet verbrachte und in welcher er die Liebe zu Udo Lindenberg entdeckte, geht es dann deutlich rasanter voran. Seine Essstörung und Drogensucht werden meiner Meinung nach schon recht heftig geschildert, gerade wenn man nicht mit einer solchen Thematik in der Literatur vertraut ist. Ich fand es sehr schockierend, dass er immer wieder die Klinikaufenthalte abbrach und es ihm so dermaßen schlecht ging. Dennoch kommentiert er diese Zeit mit gewohntem Humor, der ihm trotz all der schlechten Erfahrungen, die er machen musste, glücklicherweise nicht abhanden gekommen ist.
Ich hatte haufenweise Drogen und fand, es sei doch schade drum, die wegzuschmeißen. Bis zum Erreichen der Deutsch-Schweizer Grenze müsste ich mich ihrer entledigt haben, aber bis dahin war es ja noch eine gute Strecke, und ich könnte ja mal sehen, wie viel ich reinbekäme.
Mittags schlich ich mich vom Klinikgelände, kaufte in einem Supermarkt tütenweise Eis und Schokolade, und dann setzte ich mich in den Wald, fraß die Tüten leer, steckte mir den Finger in den Hals, kotzte ins Laub und ging zurück in die Klinik. Dort musste ich dauernd meine Kindheit töpfern und im Stuhlkreis mit den anderen darauf warten, dass wenigstens einer von uns anfing zu weinen, damit der Therapeut zufrieden war. Die Therapie lief super.
Witzig schreibt Stuckrad-Barre, ja, aber auch gleichzeitig anrührend. Ich hätte ihn am liebsten des Öfteren an den Schultern gepackt und mal kräftig geschüttelt, damit er zur Vernunft kommt. Im starken Kontrast zu diesen Szenen steht allerdings die Zeit im Hotel in Los Angeles, als wirklich kaum noch etwas passiert, da der Autor nun ein nüchternes und in seinen Worten langweiliges Leben verbringt.
Findest du es auch so toll, dass in den öffentlichen Pissoirs oben in der Lobby EISWÜRFEL in der Abflussrinne liegen und man die dann kleiner pisst?
Ja, da hat man das Gefühl, man hat was geschafft heute.
Was neben dem Humor und all den erschreckenden Bekenntnissen ebenfalls nicht zu kurz kommt, ist Udo. Im gesamten Roman ist er omnipräsent, sei es durch Zitate aus seinen Songs, Erinnerungen an die alten Konzerte oder Treffen mit ihm als menschlicher, fürsorglicher Freund, der seinen „Stuckimann“ unbedingt vor dem Totalabsturz bewahren will. Das Udo-Fieber hat mich nicht gerade gepackt, ich interessiere mich jetzt genau so wenig für seine Musik wie vor dieser Lektüre. Aber Udo ist einfach unglaublich gut dargestellt, seine Sprache, Gestik, Präsenz werden phänomenal von Stuckrad-Barre eingefangen. Natürlich ist dieses Buch auch ein Stück weit Liebeserklärung an sein Idol, an seinen Freund, an diese Legende.
Stuckimann auf seinem Höhepunkt
Benjamin von Stuckrad-Barres autobiografischer Roman Panikherz hat mich komplett überzeugt. Es war ein tolles Leseerlebnis: spannend, unterhaltsam, wirklich witzig, schockierend und ergreifend. Einen Lindenberg-Fan hat es zwar nicht aus mir gemacht, dafür aber einen Stuckrad-Barre-Versteher. Ich habe mir wirklich viele Stellen rausgeschrieben, die ich besonders erinnerungswürdig fand, weil sie so tiefgehend oder tragikomisch waren. Also los, rein in eure neongrünen Paniksocken und ab auf den Panikdampfer, Stuckimann und Udo legen gleich ab!
Ich war auch begeistert von dem Buch – und habe mir tatsächlich die ersten 5 Alben von Lindenberg als Paket gekauft ;-)
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[…] also, dachte ich mir, als der Spätherbst sein Dunkel bereits vorauswarf, zumal die Geschichte bei allem Witz auch anrührend sein sollte, hatte ich gehört oder gelesen, und, dies vor allem: schonungslos offen, entwaffnend […]
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Wirklich eine gelungene „Autobiographie“. Immer mit einem ironischen Unterton, der sicherlich einigen anderen hochtrabenden Biographien nicht geschadet hätte. Ich finde, sein Schreibstil hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem von Jan Brandt. (https://laemmchenblog.wordpress.com/2016/03/14/der-stuckiman/)
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