Jonathan Lee – Wer ist Mr. Satoshi?

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©Random House

Das mysteriöse Päckchen für Mr. S.

Robert Fossick – kurz Foss – ist ein ziemliches Wrack. Als Witwer mit diversen Angstzuständen und unzähligen Medikamenten gegen ebendiese hat er es nicht leicht. Er hat schon seit Ewigkeiten kaum seine Wohnung verlassen, außer vielleicht, um seine Mutter zu besuchen. Als diese stirbt, hinterlässt sie ihm ein Päckchen für einen gewissen Mr. Satoshi. Er stellt erste Nachforschungen an und findet heraus, dass Satoshi, falls er noch lebt, in Tokio wohnt. Wird er über seinen eigenen Schatten springen und sich auf eine lebensverändernde Reise begeben?

Viele sagen (Booktrust, Amazonkunden, Blogger), dass Lee der neue Murakami sei – oder zumindest so schreibe, wie der junge Murakami damals in seinen ersten, brillanten Werken. Teils stimmt das. Ich würde sagen, dass gewisse Ähnlichkeiten im Erzählstil auftreten. Wenn man Murakami-Fan ist, spürt man eine gewisse Vertrautheit beim Lesen von Wer ist Mr. Satoshi?. Sprachlich gesehen gibt es aber große Unterschiede. Murakami schreibt mit einer eleganten Schlichtheit, während Lees Sprache oft poetisch und opulent ist.

Tja, ein grauer Schatten dieses Rauchs hängt immer noch in der Luft, und im Umkreis von Meilen um die Stadt hat sich eine Wolke von pulverisierten Geheimnissen abgesetzt. […] Erinnerungen an ein längst vergessenes Tokio ragen aus der Asche wie versengte Daumen.

Hier muss auch der Übersetzerin Cornelia Holfelder-von der Tann ein großes Kompliment gemacht werden, denn sie gibt dem Autor eine unvergleichliche deutsche Stimme.

Der Zug machte ein schönes Geräusch, während er südwärts sauste, ein Grundrauschen, das all die Stimmen derer aufsammelte, die sich murmelnd durch die Waggongänge arbeiteten, sich Wände und Haltegriffe entlangtasteten. Es war eine Musik, die die Linearität der Zeit aufzuheben schien. Ich blickte Monate und Jahre zurück und fand nur Spuren meiner selbst, Bilder, die ins Jetzt diffundierten, vorbeirauschten, ein leises Wackeln in den Bäumen jenseits der Scheibe hinterließen.

Foss ist eine richtig arme Socke und er tat mir wirklich Leid. Er war mir von Anfang an sympathisch und ich hatte nie den Eindruck, dass er sich in Selbstmitleid suhlt. Er ist ein sehr, sehr spezieller Typ und gerade das macht ihn meiner Meinung nach besonders liebenswürdig. Er hat Traumata zu verarbeiten und ist auf der Suche nach sich selbst, nach einem neuen Leben. Dabei begegnet er einigen skurrilen Nebencharakteren – wie Freddie, Daisuke und Wendy.

Der Roman ist vielschichtig: er ist spannend, er lässt uns schmunzeln und auflachen, er rührt und er schockiert. Und vor allem zeigt er uns, dass das Leben immer weiter geht. Wie sagt man so schön? It ain’t over till it’s over. Das einzige, was zu bemängeln wäre, ist der Höhepunkt gegen Ende des Buches. Das Ereignis wirkte sehr konstruiert, aber auf der anderen Seite muss man gestehen, dass es trotzdem für Spannung gesorgt hat.

Murakami 2.0?

Jonathan Lees Wer ist Mr. Satoshi? ist ein toller und lesenswerter Roman, der ohne große Action auf seine ganz eigene Art Spannung und einen Sog erzeugt. Lee versteht es, Geschichten zu erzählen und tut dieses mit einer wunderbaren, teils poetischen Sprache. Ich würde ihn nicht als „neuen Murakami“ bezeichnen, aber er ist ein talentierter junger Schriftsteller, der meines Erachtens viel Aufmerksamkeit verdient hat. Ich freue mich schon darauf, mehr von ihm zu lesen.

 

4,5sterne

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