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Das geheimnisvolle Internat
Kathy, Ruth und Tommy wachsen gut behütet im englischen Internat Hailsham auf. Die Aufseher – so heißen die Lehrer dort – sorgen dafür, dass die Kinder kreativ gefördert werden, schneiden sie aber auch gleichzeitig völlig von der Außenwelt ab. Dies geschieht aus einem guten Grund: die Kinder müssen auf ihre späteren Aufgaben als Betreuer und Spender vorbereitet werden. Was das bedeutet, wissen sie jedoch lange Zeit nicht so genau. Neben alltäglichen Problemen von Heranwachsenden wie Freundschaft und Liebe steht dem Glück von Kathy, Tommy und Ruth vor allem ihre eigene ungewisse Zukunft im Weg.
Alles, was wir geben mussten wird von der 31jährigen Kathy erzählt, die nun als Betreuerin arbeitet. In Rückblenden blickt sie zurück auf ihre Kindheit und Jugend in Hailsham sowie auf die Zeit nach der Schule, die sie in kleinen Gruppen auf den sogenannten Cottages verbrachten. Kathy mochte ich eigentlich recht gerne, sie behandelt den Leser wie einen Kollegiaten aus Hailsham. Es hat etwas Verschwörerisches an sich, wenn sie von den damaligen Ereignissen berichtet. Auch Tommy ist sympathisch, er hebt sich mit seinen unkontrollierbaren Wutausbrüchen deutlich von den anderen Kindern und Jugendlichen ab und wird dadurch zum Außenseiter. Ruth hingegen konnte ich fast das ganze Buch lang nicht ausstehen. Sie ist sehr manipulativ und darauf bedacht, von allen gemocht zu werden; zwischenzeitlich war ich extrem genervt von ihr.
Der Schreibstil ist sehr schlicht und emotionslos, was es für mich schwierig machte, wirklich mit den Protagonisten mitzufühlen. Ishiguro, der in England aufwuchs, ist gebürtiger Japaner und ich würde sagen, dass sich dies in seinem Schreibstil widerspiegelt. Die geniale Story, die sich hinter den Geheimnissen von Hailsham verbirgt, hat tolles Potenzial, um einem emotional so richtig eine zu verpassen. Tut sie aber nicht. Trotz der Pressestimmen, die meine Erwartungen sehr hoch gesetzt hatten („ein Roman von großer Schönheit und verstörender Kraft“, „eine abgründige Tour de Force“), hat sich bei mir leider wenig geregt: Das Buch konnte mich weder schockieren, noch berühren, noch habe ich es sprachlos zugeschlagen. Natürlich hat mich das brisante Thema nachdenklich gemacht, aber ich hatte mir einfach deutlich mehr versprochen. Ich denke, es ist diese Schlichtheit, die verhindert hat, dass es mich berühren konnte. Allerdings glaube ich, dass der Roman sie benötigt, um den Lesern Kathys Ohnmacht und die Akzeptanz ihres Schicksals zu vermitteln. Vielleicht bin ich einfach doch nicht so sentimental, wie ich immer dachte.
Großartige Idee solide umgesetzt
Trotz der Enttäuschung, dass Kazuo Ishiguros Alles, was wir geben mussten mit mir emotional nicht das gemacht hat, was er hätte machen können, ist es gut geschrieben. Die Informationen über Hailsham sickern nur spärlich durch, eine nach der anderen, sodass man bis zum Ende dranbleiben möchte. Ich befürchte, meine Erwartungen waren einfach zu hoch. Wer sich auf eine außergewöhnliche Geschichte verpackt in ruhigem Erzählstil und schlichter Sprache einlassen möchte, wird sicher seine Freude mit diesem Roman haben.
Übrigens gibt es auch eine Verfilmung aus dem Jahr 2010, mit Carey Mulligan, Keira Knightley und Andrew Garfield.