Vom Kollektiv zur Sekte: T. C. Boyle betrachtet in Das Licht die Anfänge des Wirkens von Timothy Leary in einer zu konventionell anmutenden Weise.
Statt weiter als Schulpsychologe zu arbeiten, hat sich der ambitionierte Fitz dazu entschlossen, eine Wissenschaftskarriere zu verfolgen, bei der Timothy Leary sein Doktorvater sein soll. Als wichtigster Schritt gilt die Aufnahme in den inneren Zirkel und die damit verbundene Teilnahme an LSD-Partys. Fitz erkennt schnell, dass Leary nicht nur medizinische Interessen im Sinn hat. Gemeinsam mit seiner Frau erliegt er dem Charisma von Leary und so folgen sie ihm erst nach Mexiko und später in die Kommune in Millbrook. Doch was als Selbstfindung begann, gerät immer mehr außer Kontrolle.
Tomothy Leary war nicht nur ein Psychologe, sondern ist vor allem für seine Rolle als Guru der Hippie-Bewegung bekannt. Eine seiner Hauptforderungen war der freie Zugang zu psychedelischen Drogen wie LSD. T. C. Boyle macht Leary zur prägenden Figur seines neuen Romans Das Licht, der sich um sein Wirken in Harvard und später in Millbrook dreht. Hauptprotagonisten sind aber andere: nämlich Fitz und seine Frau Joanie, die in Learys inneren Zirkel aufgenommen werden und so auch an den sogenannten Sessions teilnehmen können. Der eigentlichen Handlung vorangestellt ist ein kurzer Prolog, der die „Erfindung“ der Droge LSD durch Albert Hofmann im Jahr 1943 sowie dessen Selbstversuch beschreibt.
„Wir betreten eine neue Welt, Fitz, und du kannst dich darauf verlassen, dass wir sie erforschen werden bis in ihren innersten Kern. Und wenn wir Gott dort finden, dann gibt es ihn eben.“
Bei Jazz-Klängen wird im Haus von Leary in gemeinsamer Runde LSD eingenommen. Nach und nach besucht das ständig mit Geldschwierigkeiten kämpfende Paar immer mehr Sessions, bis sie Teil des Alltags werden. Learys Kollegen in Harvard sind alles andere als begeistert von seiner Forschung. Für die Ferien mietet er daraufhin ein Hotel in Mexiko, wohin er seine Anhänger einlädt. Er besteht weiterhin auf den gesellschaftlichen Nutzen von LSD, den er mit ihrer Hilfe erforschen will. Ziel ist es, ein Gruppenbewusstsein zu finden und ein Zusammenleben in neuen Formen. Diese Experimente werden umso intensiver, nach Learys Rausschmiss in Harvard, in Millbrook fortgesetzt. Auch hierhin folgen ihm Fitz und Joanie.
Wer auf der Suche nach langen Beschreibungen der Wirkung von LSD ist, wird wohl sehr enttäuscht sein von Das Licht. Boyle scheint es vielmehr darum zu gehen, das Vorher und Nachher darzustellen. In Millbrook wird die Droge nur noch als „Sakrament“ bezeichnet und auch die Kinder werden nach einigen Diskussionen an den Sessions beteiligt. Hier wird durch Boyle auch in seiner wohl typischen Ironie deutlich gemacht, wie die Aufhebung der gesellschaftlichen Regeln die Gruppe immer weiter von innen heraus zerstört. Wo auf der einen Seite die freie Liebe ausgerufen wird, kommen auf der anderen Seite dann eben doch Eifersucht und Besitzansprüche ins Spiel, was sich nicht miteinander vereinbaren lässt.
Dass die Regierung, die Bundesregierung, die Gesundheitsbehörde, Sandoz und alle möglichen anderen den Menschen ihr Recht auf die fünfte Freiheit beschneiden wollten – das Recht, sich vom Ego zu lösen, mit der Schöpfung eins zu werden und vielleicht sogar das Angesicht Gottes zu sehen -, war einfach nicht zu versehen. Harvard hatte sich gegen sie gestellt. Die Mexikaner. Die Presse. Alle schienen gegen sie zu sein – und zwar nur aus Unwissenheit und Verblendung.
Der immer wieder heraufbeschwörte Zusammenhalt bröckelt dabei mehr und mehr, was Boyle anhand von Fitz und Joanie aufzeigt, deren Ehe einen Riss nach dem anderen aufweist. Den emotionalen Kontakt zu ihrem Sohn haben sie da schon lange verloren. Boyle erweist sich hier als sehr guter Beobachter, der den langsamen Niedergang und das Infragestellen der gemeinsamen Vision in seinen verschiedenen Schritten darstellen kann. Mit dem Ziel, ein neues Bewusstsein und Gott zu finden, waren sie nach Millbrook gekommen und finden sich letztlich in einer Abhängigkeit wieder, aus der es für manche keinen Ausweg mehr gibt.
Schade ist es, dass Boyle seinen Roman fast schon zu konventionell gestaltet hat. In chronologischer Reihenfolge werden die verschiedenen Stationen abgearbeitet und auch wenn die Beschreibung der Trips nicht der Schwerpunkt sein sollte, erreichen ihre Darstellungen nicht die Klasse, die vielleicht von einem Autor wie Boyle erwartet werden könnte. Andererseits passt diese Art des Erzählens gut zu den biederen Protagonisten Fitz und Joanie. Trotzdem hätte die sprachliche Form angesichts des Themas deutlich experimenteller und spielfreudiger sein dürfen.
Auf dem Etikett stand die idiotische Warnung GIFT, obwohl die Substanz darin das einzige bekannte Mittel gegen das Gift der Welt war, das Gift des Bewusstseins, des Nichtgöttlichen, des Nichtwissens, das Gift des jämmerlichen Begriffs der Menschheit von den Zusammenhängen der Natur, das Gift der toten schwarzen Weiten des Alls, die alles wie ein unersättlicher Rachen verschlangen.
T. C. Boyle legt seinen Schwerpunkt in Das Licht eher auf das Scheitern der Vision einer neuen Form des Zusammenlebens und nicht auf die Darstellung der Trips. So wird aus der vermeintlichen Familie nicht mehr als eine Sekte mit Leary als ihrem Guru. Die Darstellung dieses langsam fortschreitenden Scheiterns gelingt Boyle gut, dennoch hätte er sich stilistisch gerne mehr austoben und eine weniger konventionelle Erzählform wählen dürfen.
Ich habe es auch gern gelesen, hätte es mir allerdings zynischer und krasser gewünscht. Oder mit deinen Worten – weniger konventionell. Irgendwie hab ich den T.C. Boyle aus Romanen wie „Wenn das Schlachten vorbei ist“ oder „Drop City“ vermisst.
LikeGefällt 1 Person
„Drop City“ ist bei mir schon sehr lange her, fand ich aber im Gegensatz zu „Das Licht“ auch deutlich zynischer. „Wenn das Schlachten vorbei ist“ finde ich sehr interessant, würdest du das empfehlen?
LikeLike
Absolut! „Wenn das Schlachten vorbei“ ist, ist für mich eins seiner unvergesslichen Meisterwerke.
LikeGefällt 1 Person
Super, danke für den Tipp! :)
LikeLike
Ich bin gerade noch dabei, muss aber sagen, dass es das erste Buch von T.C. Boyle ist. Bisher finde ich es klasse, wahrscheinlich werden mir die anderen Bücher von ihm noch besser gefallen. Auf jeden Fall ein Autor von dem ich mehr lesen will!
LikeLike
Ich bin auch alles andere als ein Boyle-Experte und kann mich da nur dem Wunsch anschließen, weitere Romane von ihm zu lesen. Vor allem „Wassermusik“ und „Wenn das Schlachten vorbei ist“ sprechen mich an.
LikeGefällt 1 Person
[…] Aus der Sicht eines Paares wird von T. C. Boyle das frühe Wirken des Hippie-Gurus Timothy Learie geschildert. Nachdem Fitz und Joanie Teil der wöchentlichen LSD-Sessions in Learis Haus geworden sind, folgen sie im später auch nach Mexiko und in die Kommune Millbrook unter dem Vorwand, auf der Suche nach einer neuen Art des Zusammenlebens zu sein. Boyle bezieht sich vor allem auf die Auswirkungen des Drogenkonsums, wodurch die Darstellungen der Trips eher im Hintergrund bleiben. Dennoch hätten die Schilderungen deutlich drastischer und experimenteller sein dürfen. Dasselbe gilt für die Form des Erzählens, die angesichts des Themas ebenso bieder daherkommt. Vielmehr überzeugen kann dafür die Beschreibung der langsam voranschreitenden Zerstörung der Ehe von Fitz und Joanie und das Scheitern der ursprünglichen Vision, die immer mehr zu reinem Drogenmissbrauch verkommt. Zur längeren Rezension gelangt ihr hier. […]
LikeLike