Garth Greenwells Debütroman Was zu dir gehört über Scham, Begehren und schwules Selbstverständnis. Vielleicht eines der Bücher des Jahres?
Es beginnt auf den öffentlichen Herrentoiletten des Kulturpalastes in Sofia. Hier trifft der amerikanische Lehrer und namenlose Ich-Erzähler auf Mitko, den er für Sex bezahlt. Er ist sofort fasziniert von dem jungen Bulgaren, dem ein Teil eines Vorderzahns fehlt. In den darauffolgenden Wochen treffen sie sich immer. Das Verhältnis der beiden ist schwierig, zwischen Freundschaft und Beziehung, geprägt von Verlangen, das ebenso in Gewalt ausschlagen kann. Immer wieder kehren die Erinnerungen des Dozenten zurück in seine Kindheit, die er in den Südstaaten verbrachte. Gleichzeitig wird ihm immer schmerzlicher bewusst, wie unterschiedlich er und Mitko sind.
Es ist kaum zu glauben, dass es sich bei Was zu dir gehört um den Debütroman von Garth Greenwell handeln soll. Der 1977 geborene Autor, der im Bible-Belt in Kentucky aufwuchs, erzählt gekonnt von Verlust, Scham und Verlangen. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass der Erzähler in einer öffentlichen Toilette auf Mitko trifft. Wo sonst sollten diese aus gesellschaftlicher Sicht so unterschiedlichen Männer aufeinander treffen? Auf der einen Seite der recht gut situierte Dozent auf der anderen Seite Mitko, der arbeitslos ist und auf die Hilfe von seinen „Freunden“ angewiesen ist. Im Interview mit dem SPIEGEL betont Greenwell die Bedeutung von öffentlichen Toiletten für das sogenannte Cruising. Er selbst hat die Erfahrung gemacht, dass es in Sofia letztlich genauso abläuft wie in seiner Heimat Kentucky und die nonverbale Kommunikation gleich funktioniert. Aus den autobiographischen Bezügen macht der Autor also kein Geheimnis.
Es war, als könnte ich Mitko gegenüber keine Haltung einnehmen, in der ich zugleich hinreichend mitfühlend und hinreichend frei war, und so schwankte ich zwischen Begierde und Distanz, eine Ambivalenz, von der ich wusste, dass sie all meine Beziehungen durchzog, egal ob zwanglos oder ernst, die aber in Mitkos Fall besonders ausgeprägt war.
Über eine längere Zeit währt die Beziehung zwischen den beiden Männern. Mitko liefert Sex und Nähe und erhält dafür Geld für Alkohol und Drogen. Gleichzeitig entsteht aber auch eine Ebene, die weit über die geschäftliche hinausgeht. Der Erzähler wird immer stärker auf seine eigene Verletzlichkeit zurückgeworfen, muss sich eingestehen, dass er auf die anderen „Freunde“ von Mitko eifersüchtig ist. Und gerade diese Ebene ist es, die den Roman so besonders macht. Wer ist eigentlich derjenige, der bestimmt und die Macht ausübt in dieser Beziehung? Woher kommt diese starke von Abhängigkeit von Mitko, die bei genauer Betrachtung eigentlich vor allem negativ aufgeladen ist? Mithilfe von Rückblicken in die Jugend und Kindheit wird immer klarer, dass der Erzähler im Inneren unheimlich verletzlich ist und aufgrund seines Schwul-seins mit einer vom Vater vermittelten Scham zu kämpfen hat. Mit der Lust setzt gleichzeitig immer das Gefühl der Schande ein und die Erinnerung an den Vater. Dazu kommt das Problem der Verständigung, der Dozent kann nur wenig bulgarisch, Mitko kaum englisch.
Die zerstörerische Anziehung zwischen den beiden wird intensiv und durchaus auch poetisch in ihrer Körperlichkeit sehr direkt geschildert, immer wieder tauchen mehr als nur doppeldeutige Beschreibungen auf. Greenwell macht aber nicht den Fehler in irgendeiner Form ins Romantisierende oder gar Kitschige abzugleiten. Durchsetzt ist das Ganze mit einzelnen Begriffen aus dem Bulgarischen, die einerseits die Sprachbarriere im Text deutlich machen und andererseits die ambivalente Rolle von Mitko aufzeigen. So bezeichnet er sich als prijatel, was so viel wie Freund bedeutet, aber auch für Freier oder Geliebter stehen kann. Die Liebe offenbart sich hier vor allem in einem Begehren, das ständig an die Schwelle zur Gewalt und darüber hinaus führt.
Dort, wo ich herkam, handelte jede Geschichte über Männer wie mich von Krankheit; mein Leben war ein moralisches Lehrstück, in dem es allein um Keuschheit oder Verdammnis gehen konnte. Vielleicht suchte ich deshalb, als ich endlich Sex hatte, weniger die Lust als den Rausch überwundener Hemmungen und Ängste, den Kitzel des Loslassens, der so stark war, dass er fast suizidal wurde.
Was zu dir gehört ist nicht nur eine ehrliche und direkte autobiographische Geschichte über eine ungleiche Beziehung und ihre destruktiven Auswirkungen, sondern vielmehr auch eine Reflexion und Analyse des Erzählers über sein Leben und seine Erfahrung als Teil der Queer-Community. Eine Kindheit, in der er erleben muss, aufgrund seines „Andersseins“ ausgeschlossen worden zu sein. Nicht nur von den Gleichaltrigen, sondern vor allem vom Vater, der ihm mit Ekel begegnet. Dazu kommen Demütigungen, die nachhallen und tiefe Spuren hinterlassen und das Verhalten und Empfinden in späteren Beziehungen im Erwachsenenalter bestimmen.
Mit seiner Direktheit, Intensität und Ehrlichkeit ist Was zu dir gehört kein Buch für zwischendurch, sondern fordert seinen Leser. Wer auf der Suche nach etwas Romantik ist, wird schwer enttäuscht werden. Alle anderen erwartet dafür ein Roman über Ausgrenzung und Scham, der einen mit seiner poetischen und intensiven Erzählweise gefangen nimmt.
Ich ließ von ihm ab, legte mich an seine Seite und dachte nicht zum ersten Mal darüber nach, wie hilflos Begehren außerhalb des kleinen Theater sexueller Inbrunst doch war, wie lächerlich es wirkte, sobald es nicht erwidert wurde oder die Erwiderung gespielt war.
Ich finde auch: das ist ein großartiger Roman.
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[…] In einer öffentlichen Herrentoilette in Sofia lernt der namenlose Ich-Erzähler Mitko kennen. Trotz der Sprachbarriere entwickelt sich eine Art Beziehung zwischen den beiden Männern, doch die Unterschiede sind offensichtlich und unüberwindbar. Mit Intensität und Direktheit, aber ohne Romantik und Kitsch ist Garth Greenwell ein autobiographisch geprägtes Debüt gelungen, das für mich bis jetzt das Buch des Jahres ist. Zur ausführlichen Besprechung geht es hier. […]
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