Mit Das Erwachen des Feuers wagt sich Anthony Ryan an ein Steam-Punk Szenario mit viktorianischem Flair. Die Mischung aus Spionage-, Abenteuer- und Seefahrerroman kommt aber nicht an die Klasse seines Debütromans heran.
In Mandinorien gilt Drachenblut als eines der größten Reichtümer. Blaue, rote, grüne und schwarze Drachen werden gejagt, um an ihr Blut zu gelangen, die Drachenjagd und -zucht ist ein lukratives Geschäft. Das aus ihnen gewonnene Elixier verleiht übernatürliche Kräfte. Doch kaum jemand ahnt, dass die Drachen immer weniger und schwächer werden. Das Drachenblut-Syndikat setzt seine ganzen Hoffnungen in das Gerücht, es gebe eine weitere Drachenart, die mächtiger als die anderen ist. Claydon Torcreek, ein Dieb und unregistrierter Blutgesegneter, wird in das unerforschte und gefährliche Inland gesandt, um eine Legende aufzuspüren, an die er selber nicht glaubt: den weißen Drachen.
Wer unseren Blog verfolgt, wird wissen, dass ich gerne Fantasy-Romane lese, mich aber schwer damit tue, Neuerscheinungen zu finden, die auch meine (vielleicht zu hohe?) Erwartungshaltung erfüllen können. Die Debüt-Trilogie Rabenschatten des britischen Autors Anthony Ryan gehört für mich aber zu den Höhepunkten der neueren Fantasy-Literatur, auch wenn die Bände zwei und drei das hohe Niveau des Auftakts leider nicht halten konnten. Mit Das Erwachen des Feuers liegt nun der erste Teil seiner neuen Reihe mit dem Titel Draconis Memoria vor.
Etwas an dem weißen Drachen faszinierte die Leute, und es war nicht nur die versprochene Belohnung. Inzwischen hatte er genug vom Inland gesehen, um zu wissen, dass die Freien nicht bloß aus reinem Profitstreben hierherkamen. Die Risiken einer solchen Reise waren viel zu groß. Es musste mehr geben. Die Leute waren darauf erpicht, die Geheimnisse zu lüften, die sich hier verbargen. Sie wurden von Entdeckergeist geleitet – von der Aussicht darauf, etwas zu finden, was noch niemand vor ihnen gefunden hatte.
Ohne große Erklärungen und Erläuterungen ist der Leser von Beginn an mitten in der Handlung – Anthony Ryan verschwendet keine Zeit. Im Gegensatz zu einer großen Masse der Fantasy-Literatur ist Das Erwachen des Feuers nicht in einer mittelalterähnlichen Welt angesiedelt, sondern technologisch deutlich weiter. Hier wird mit Gewehren und Pistolen gekämpft, auch Dampfschiffe gibt es schon und zum Ende kommen auch noch einige neue Erfindungen dazu. Die Drachen sind wohl das stärkste fantastische Element. Von sogenannten Erntemeistern wird ihr Blut abgezapft, das von Blutgesegneten genutzt werden kann. Gerade im Zusammenhang mit den Drachen lassen sich deutliche kritische Töne zum realen Umgang mit Tieren finden: die Haltung, Ausbeutung und Jagd sind durchaus auch vergleichbar mit der Massentierhaltung und dem Überfischen der Weltmeere. Die Drachen sind für die Handelskompanien vor allem ein Mittel, um weitere Gewinne und Macht zu erhalten. Mit den Handelskompanien ist ein weiterer spannender Aspekt verbunden. Das Erwachen des Feuers setzt nicht auf verfeindete Königreiche, sondern zeigt stattdessen einen Konflikt zwischen einem Handelssyndikat und einem Kaiserreich. Zwischen dem Eisenboot-Syndikat und dem Corvantinischen Reich findet ein Flottenwettrüsten statt. Während auf der einen Seite Händler mit Profitgier bestimmen und für ihren Ehrgeiz die Menschen und Drachen ausbeuten, ist das Kaiserreich gefangen in alten Traditionen und unterdrückt jeden Widerstand und Ruf nach Erneuerung mit Gewalt. So kreisen die Gespräche der Protagonisten häufiger um diese beiden gegensätzlichen Kontrahenten, deren Methoden des Machterhalts kritisch betrachtet werden.
Neben dem erfrischenden Setting gelingt es Anthony Ryan auch, eine spannende und abwechslungsreiche Handlung zu entwickeln, in der die Protagonisten ständig um ihr Leben kämpfen müssen. Dabei wechselt die Erzählperspektive zwischen drei Figuren hin und her, wobei zwei teilweise miteinander verbunden sind. So begleitet der Leser Clay auf der Suche nach dem weißen Drachen durch Wüsten und Dschungel, die Agentin Lizanne bei ihrer Mission und den Seesoldaten Hilemore durch Seekämpfe auf der Jagd nach Piraten. Da sowohl Clay als auch Lizanne zu den Blutgesegneten gehören, kommen auch Freunde der Magie auf ihre Kosten.
Überraschend ist, dass die Drachen ziemlich oberflächlich bleiben, obwohl sie eine so tragende Rolle für die Welt und die Handlung spielen. Erst zum Ende kommen einige Andeutungen und Veränderungen, die hoffentlich im Folgeband weiter ausgeführt werden. Eine Erklärung, warum die verschiedenen Farben der Drachen mit ihrem Blut die jeweilige Wirkung auslösen, wird bis hierhin nicht gegeben. Ebenso bietet ihr Verhalten auch keinen Ansatzpunkt, wodurch das Verleihen der magischen Kräfte einen zufälligen Eindruck hinterlässt. Ebenso fehlen Stimmen, die sich gegenüber der Jagd auf die Drachen kritisch äußern. Offensichtlich interessiert sich keiner für ihr Verhalten und versucht mehr über sie zu erfahren, einzig allein der Profitgedanke steht im Vordergrund.
Mit Das Erwachen des Feuers wagt sich Anthony Ryan an ein ungewöhnliches Fantasy-Szenario, in dem die Technik deutlich weiter ist, als in den üblichen Mittelalter-Welten. Dazu baut er einen interessanten Konflikt zwischen zwei konkurrierenden Systemen auf und benutzt die Drachen, um auch den Umgang mit Tieren zu thematisieren. Leider gelingt es nicht, die Drachen wirklich lebendig und spannend zu gestalten, erst zum Schluss gibt es einige Anspielungen zu ihrem Wesen, bis hierhin sind sie vor allem nur Blutlieferant für die wenigen magisch Begabten. Dennoch ist die Geschichte spannend und macht Lust, mit dem Nachfolger tiefer in die neue Welt des Autors einzutauchen.
Blutgesegnete Eltern bringen nicht zwangsläufig blutgesegnete Kinder hervor. Auch im Hinblick auf ihre Persönlichkeit sind sie so verschieden wie der Rest der Bevölkerung. Je nach den Verhältnissen, in die ein Blutgesegneter hineingeboren wurde, kann er sich zu einem kriminellen entwickeln oder zu einem produktiven und verantwortungsvollen Mitglied der Gesellschaft. Der Segen scheint genauso dem Zufall unterworfen wie das Wetter.
Weitere Informationen zum Autor und seinem Werk findet ihr auf der Seite des Klett-Cotta Verlags.