Epos um das gescheiterte Attentat auf Bob Marley
Jamaika im Jahr 1976: In einer Nacht dringen sieben bewaffnete Männer in das Haus des Reggea Stars Bob Marley ein und eröffnen das Feuer. Sein Manager wird beim Versuch, ihn zu beschützen schwer verletzt, ebenso seine Frau. Marley selbst überlebt und trägt nur leichte Verletzungen an Armen und Brust davon. Unklar bleibt, wer waren die Angreifer und was waren ihre Motive? Ausgehend vom Attentat entwirft Marlon James ein Bild Jamaikas in den 70er und 80er Jahren, voll Gewalt, Drogen und Korruption.
Hinweis: Die folgende Rezension bezieht sich auf die englische Ausgabe des Romans.
Im Mittelpunkt seines Romans A Brief History of Seven Killings, für den der jamaikanische Autor 2015 den Man Booker Prize erhalten hat, steht der missglückte Mordversuch an Bob Marley, der im Buch selbst nie mit Namen erwähnt wird, sondern immer nur als „the Singer“ bezeichnet wird. Aber Marley ist nicht die Hauptperson des Romans. Dies sind vielmehr andere, wie etwa die Anführer von Gangs, die untereinander einen unerbittlichen Kampf führen, CIA-Agenten, Dealer, eine ehemalige Affäre Marleys und ein Reporter des Rolling Stone Magazins. Die Banden in den Ghettos werden wiederum von den politischen Parteien gegeneinander aufgehetzt, der Jamaican Labour Party (JLP) und der People’s National Party (PNP). Die regierende PNP hat das Ziel, einen demokratischen Sozialismus durchzusetzen, nach dem Vorbild Kubas. Die USA wollen einen weiteren kommunistischen Staat in der Karibik unbedingt verhindern. Während dieser politischen Unruhen möchte Marley einen Beitrag zur Versöhnung der Menschen leisten und plant ein Gastkonzert unter dem Motto „Smile Jamaica“. Das Konzert ist nach den Vorstellungen Marleys unpolitisch, doch die PNP instrumentalisiert es für sich, indem die Partei Neuwahlen ankündigt, die kurz nach dem Konzert stattfinden sollen.
Zu diesem Zeitpunkt setzt die Handlung des Romans A Brief History of Seven Killings am 2. Dezember 1976 ein. Der Roman erzählt in fünf Kapiteln zwei Jahrzehnte der jamaikanischen Geschichte und endet letztlich in den USA. Aus der Sicht von verschiedenen Personen werden die Ereignisse und die Atmosphäre dieser Zeit dargestellt. Bei der Erzählweise zeigt sich der Autor höchst kreativ. So wird etwa das Attentat aus der Sicht der Täter, bis zum Anschlag mit Koks zugedröhnt, als eine Art Rap dargestellt:
I run fast to get you, to see you, to put you down, but
But Josey beat me to the bang
Bam bam, wife dead
And your brethren
And your sistren
And anybody that play guitar
I hear the bam bam bam bam on the ground
And reach up and push my feet
Echo in my head, bam bam
Blood rushing beat bam bam
Dennoch ist der Anschlag nur der Aufhänger der Handlung. Ausgehend hiervon folgt Marlon James den Angreifern und entwirft fiktive Biographien und Verstrickungen mit anderen Interessen. Nach dem Angriff erfolgt ein Schnitt und die Handlung setzt erst wieder einige Jahre später ein. Einige Personen kommen im gesamten Roman vor und es wird aus ihrer Sicht erzählt. Alle beginnen einige Tage vor dem Attentat ihre Sicht auf ihr Leben, auf Jamaica und die politische Situation zu schildern. So werden dem Leser Hintergrundinformationen zu den Zusammenhängen und den politischen Problemen geliefert, ohne die das Geschilderte nur schwer zu verstehen ist. Marlon James ist es dabei gut gelungen, seinen fiktiven Charakteren ganz eigene und authentische Stimmen zu verleihen, egal ob es sich dabei um Journalisten, CIA-Agenten oder arbeitslose Frauen handelt. Jede Person hat ihre eigene Art zu reden, an der sie immer erkennbar bleibt. Gleichzeitig wird vor allem in den ersten Kapiteln ein Bild von Jamaica entworfen, das mal atmosphärisch daherkommt, aber ebenso die heftigen (politischen) Auseinandersetzungen, sowie deren Auswirkungen auf die Bevölkerung, zeigt.
There’s a reason why the story of the ghetto should never come with a photo. The Third World slum is a nightmare that defies beliefs or facts, even the ones staring at you. A vision of hell that twists and turns on itself and grooves to its own soundtrack. Normal rules do not apply here. Imagination then, dream, fantasy. You visit a ghetto, particularly a ghetto in West Kingston, and immediately leaves the real to become this sort of grotesque, something out of Dante or the infernal painting of Hieronymus Bosch. It’s a rusty red chamber of hell that cannot be described so I will not try to describe it.
Die Handlung folgt ihren Protagonisten bis Anfang der 90er Jahre in die USA, wo ein von Drogenkartellen gejagter Journalist an seinem Buch mit dem Titel A Brief History of Seven Killings arbeitet und Jamaikaner Teile des Drogenhandels in New York kontrollieren. Doch die Vergangenheit holt sie immer wieder ein. Nach und nach erfährt der Leser mehr über die Angreifer, ihr Schicksal und die weiteren politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Der Roman ist umfangreich und aufgrund der Vielzahl an handelnden Personen und komplexen Zusammenhänge auch kompliziert. Dazu gibt es häufig brutale und blutige Szenen. Ebenso sind die vielen sprachlichen Wendungen und Slangausdrücke nicht immer einfach zu verstehen. Es ist kein Roman für zwischendurch, sondern erfordert Konzentration und auch Interesse an Jamaica und politischen Verwicklungen sollte vorhanden sein – die investierte Zeit lohnt sich aber absolut.
Two years since the election. Jamaica never gets worse or better, it just find new ways to stay the same. You can’t change the country. But maybe you can change yourself. I don’t know who’s thinking that. I’m done with thinking, quite frankly. Every time I think it takes me to a bus exploding or me looking down the barrel of a gun.
Komplexer und großartiger Roman
Ja, A Brief History of Seven Killings ist kein einfacher Roman. Aber jede Anstrengung diese Fülle an Figuren, Handlungen, Zusammenhängen und Slang zu verstehen lohnt sich. Ausgehend vom Mordversuch an Bob Marley 1976 folgt der Autor den Tätern und entwirft dabei ein komplexes Bild der jamaikanischen Gesellschaft und den politischen Hintergründen der Zeit, das literarisch ebenso anspruchsvoll wie abwechslungsreich daherkommt. Ein Roman, der mich noch lange begleiten wird!
[…] Ganz ähnlich sahen das das LiteraturReich und letusreadsomebooks. […]
LikeGefällt 1 Person