Carlos Ruiz Zafóns Geschenk an seine Leser*innen: Der Friedhof der vergessenen Bücher ist ein gelungener Abschied des verstorbenen Autors.
Der junge David Martín verliebt sich in das mysteriöse Mädchen Blanca, die kleine Laia wird von ihrem Vater als Tochter-Ersatz an eine fremde Familie verkauft und der Schriftsteller Miguel de Cervantes geht einen gefährlichen Pakt ein, um endlich erfolgreich zu sein. In elf mal kürzeren, mal längeren Erzählungen entführt uns der spanische Altmeister der modernen Schauergeschichten erneut nach Barcelona.
Weit hinten wucherte das Viertel Poble Nou einem Horizont aus Asche und Schatten entgegen. Die Stadt der Fabriken zeichnete den dunklen Widerschein eines von Schloten entflammten Barcelonas, die zu Hunderten ihren schwarzen Atem in den scharlachroten Himmel ausdünsteten.
Carlos Ruiz Zafón, der im Juni 2020 mit nur 55 Jahren nach langjähriger Krebserkrankung verstarb, hat mit seinem Erzählband Der Friedhof der vergessenen Bücher, welcher in diesem Jahr posthum erschien, ein letztes Stück seiner Seele hinterlassen. Ergänzt werden die elf Geschichten durch ein kurzes Nachwort von Zafóns spanischem Verleger Émile de Rosiers Castellaine, ein Autorengespräch und zahlreiche Informationen zu all seinen Büchern.
Nur wenige der hier versammelten Erzählungen wurden bisher in irgendeiner Form im deutschsprachigen Raum veröffentlicht, darunter Der Fürst des Parnass, das im Jahr 2014 als eigenständiges kleines Büchlein erschien, und das ich bereits damals gelesen hatte. Einerseits zu meiner Schande, andererseits zu meiner Freude, war von der Geschichte kaum etwas hängengeblieben, sodass ich sie noch einmal völlig neu erleben und genießen konnte. Sie gehört für mich auch zu den stärksten des Erzählbands – neben Eine Weihnachtsgeschichte und Ein junges Mädchen aus Barcelona.
Ein Mann ist fähig, alles zu verzeihen, außer dass man ihm die Wahrheit sagt.
Der Friedhof der vergessenen Bücher beinhaltet alle Elemente, die in Zafóns Romanen je relevant waren und gibt somit einen wunderbaren Gesamtüberblick über sein Schaffen. Ewige Liebe, dunkle Machenschaften, mysteriöse Fremde und Pakte mit dem Teufel bilden die Basis der elf Kurzgeschichten. Ausladende Beschreibungen treffen auf eine reiche und detaillierte Sprache voller Metaphern – Zafón versteht es, eine dichte und packende Atmosphäre zu kreieren, die einen beim Lesen förmlich in die Bücher hineinsaugt – auch diese Kurzgeschichten sind da keine Ausnahme. Was mir hier besonders gefallen hat, ist, wie Zafón die Geschichten realer Künstler wie Gaudí und Cervantes fiktionalisiert und nahtlos in sein Universum einbindet.
„Mein Vater hat diesen Palast für mich erbaut, wissen Sie. Er sagte, er würde mich vor der Welt schützen. Aber wer schützt uns vor uns selbst?“
Hier und da entdecken wir auch alte Bekannte wieder – zum Beispiel David Martín und Andreas Corelli aus Das Spiel des Engels, sowie einen Vorfahren Daniel Semperes, unserem Held aus Der Schatten des Windes. Fans und Kenner von Zafóns Büchern werden ihre Freude haben, bekannte Figuren wiederzufinden, aber auch für Neueinsteiger sind die Erzählungen ebenfalls gut geeignet, da sie einen ersten tieferen Einblick in die düstere Welt des großen spanischen Autors bieten.
„Mein Angebot ist folgendes. Sie werden ein Meisterwerk schreiben, doch um das zu tun, werden Sie verlieren müssen, was Sie am meisten lieben. Ihr Werk wird gefeiert werden, beneidet und nachgeahmt für alle Zeiten, aber in Ihrem Herzen wird sich eine Leere auftun, die tausendmal größer ist als der Ruhm und die Eitelkeit Ihres Geistes, denn erst dann werden Sie den wahren Charakter Ihrer Gefühle begreifen, und erst dann werden Sie wissen, ob Sie, wie Sie meinen, ein besserer Mensch als Giordano und alle diejenigen sind, die wie er zuvor vor ihrem eigenen Spiegelbild auf die Knie gefallen sind, als sie diese Herausforderung annahmen.“
Carlos Ruiz Zafóns Der Friedhof der vergessenen Bücher ist ein würdiger Abschluss seines Oeuvres und ein wundervoller Nachlass für seine Leser*innen. Als großer Fan seiner Romane war es ein wunderbares Gefühl, noch einmal in seine herrliche Sprache hineingezogen und in den dreckigen und düsteren Gassen Barcelonas wieder ausgespuckt zu werden.
Der Friedhof der vergessenen Bücher ist 2021 im Fischer-Verlag erschienen.
Das war auch für mich als Kennenlernerin von Zafons außergewöhnlichem Talent ein perfekter Einstieg. Sicherlich finden Kenner:innen in den Geschichten noch viel mehr Berührungspunkte!
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Wie schön, dann hast du ja noch viele tolle Lesestunden vor dir! Weißt du schon, mit welchem Werk es weitergehen soll? Der nahende Herbst eignet sich übrigens perfekt, weiter in seine Romane einzutauchen… ;)
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Oh für dieses Jahr platzt der SuB schon gewaltig 😅 aber ich trage diesen Band noch eine ganze Weile in mir.
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