James Baldwin – Giovannis Zimmer

James Baldwin Giovannis Zimmer Rezension

Intensiv und immer noch aktuell: Giovannis Zimmer von James Baldwin hat auch Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nicht an Bedeutung verloren.

Der Amerikaner David lernt im Paris der 50er den Barkeeper Giovanni kennen. Als die beiden eine Affäre beginnen, ist David zwischen Scham und Verlangen gefangen. Nachdem seine Verlobte Hella zurückkehrt, entscheidet er sich, das Verhältnis zu dem anderen Mann geheim zu halten, in der Hoffnung, sich selbst damit zu retten.

James Baldwins Roman Giovannis Zimmer wurde bereits 1956 veröffentlicht und entwickelte sich mit der Zeit zu einem seiner wichtigsten Werke. Aus der Sicht des Expats David schildert er dessen Leben in Paris, wohin Baldwin selbst ausgewandert war. David flieht nahezu vor seinem Vater in die europäische Metropole. Seine Mutter starb als er fünf war, während der Vater seitdem zahlreiche Affären hat und zu viel trinkt. Die Distanz zwischen Sohn und Vater erscheint unüberwindbar. In einer Bar lernt David Giovanni kennen, der von der Gunst reicher, homosexueller Männer abhängig ist. Das Verlangen und die Liebe, die Giovanni für David entwickelt, werden zwar erwidert, dennoch bewahrt David eine kühle Distanz. Für David ist Paris ein mythischer Ort, voller Cafés, Bars und Nachtclubs, dem etwas Verruchtes anhaftet. Ganz anders erscheint dagegen seine eigentliche Heimat, die er nur als oberflächlich liberal charakterisiert.

Vielleicht wollte ich, wie wir in Amerika sagen, mich selbst finden. Das ist eine interessante Wendung, die es meines Wissens in keiner anderen Sprache gibt und die ganz gewiss nicht das heißt, was sie behauptet, sondern den bohrenden Verdacht nahelegt, dass etwas verlegt wurde. Hätte ich auch nur die leiseste Ahnung gehabt, dass das Ich, das ich finden würde, sich als dasselbe Ich entpuppen würde, vor dem ich so lange weggelaufen war, ich glaube, ich wäre zu Hause geblieben.

Aber eigentlich hat David bereits Hella einen Antrag gemacht, die er zu lieben versucht und die sich in Spanien befindet, um sich über ihre Gefühle klar zu werden. Mit ihrem Verschwinden verliert David seine eigene Sicherheit über seine Emotionen. So kommt es zu der Affäre mit Giovanni, der David seine ganz eigene tragische Geschichte erzählt und ihn mit seiner Bestimmtheit und seinem Selbstvertrauen anzieht. Baldwin erzählt mit einer großen Intensität, mit einer gewissen Freimütigkeit, aber gleichzeitig auch diskret.

Kunstvoll beschreibt er Davids inneres Ringen mit sich selbst, der mit seinen Überzeugungen, Emotionen und seinem Selbstbild zu kämpfen hat. Doch es sind nicht nur die inneren Konflikte, die eine Rolle spielen, sondern mindestens im gleichen Maße die gesellschaftlichen Konventionen. Ein zentraler Aspekt des Romans ist die Suche nach dem Glück, an dem die Figuren scheitern. Ebenfalls im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung des Ich-Erzählers mit seiner Homosexualität, aber Baldwin geht auch darüber hinaus und setzt sich mit verdrängtem Verlangen auseinander, das David selbst fremd erscheint und dessen er sich schämt. Die angebliche Annahme der Unnatürlichkeit im Verhalten kommt hier nicht nur von außen, sondern eben auch aus Davids Innerem selbst. Darin spiegelt sich die Prägung seiner Zeit und der Gesellschaft wider. Auf andere homosexuelle Paare blickt er mit Ekel herab und verabscheut sie aufgrund ihres „tuntigen Auftretens“.

Viel ist über die Liebe geschrieben worden, die in Hass umschlägt, über das Herz, das kalt wird, wenn die Liebe stirbt. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Er ist viel schrecklicher als alles, was ich je darüber gelesen habe, schrecklicher als alles, was ich darüber zu sagen vermag.

Dieser Kampf mit der eigenen Identität macht den Roman auch so viele Jahre nach seinem Erscheinen immer noch so lesenswert. Bereits zu Beginn wird deutlich, dass die Geschichte in einem Drama endet. In einem Ferienhaus erhält David die Nachricht, dass Giovanni für ein Verbrechen hingerichtet wird. Somit wird Davids Rückblick auf die gemeinsame Zeit in Giovannis Dachzimmer, sein eigenes Verhalten und seine Trennung von Giovanni zu einer Art Beichte. Dabei springt der Roman zwischen den Zeitebenen und bietet tiefe und intensive Einblicke in Davids Gefühle, die von Scham und Trauer bestimmt werden, aber auch die Unfähigkeit offenbaren, Giovannis Liebe zu erwidern.

Das Schauspiel, das ich mir jetzt selber biete, hat etwas Absurdes: so weit, so emsig weggerannt zu sein, sogar bis auf die andere Seite des Ozeans, nur um erneut von der Bulldogge in meinem eigenen Garten gestellt zu werden – jetzt, da der Garten kleiner ist und die Bulldogge größer.

Giovannis Zimmer ist auch Jahre nach seiner Veröffentlichung ein Roman, der nichts von seiner Klasse eingebüßt hat. Baldwin schildert eindrücklich und offen den inneren Kampf seines Protagonisten, der sich aufgrund seiner Sozialisierung mit Selbstekel und Scham auseinandersetzen muss. Mit seinem scharfen Blick lässt der Autor ein beeindruckendes Psychogramm Davids entstehen. Der Roman ist mit seiner Thematik auch heute weiterhin auf schmerzhafte Weise aktuell.

Weitere Rezensionen findet ihr bei LiteraturReich, queerBuch, 1001Bücher, fuxbooks und Mikka liest.

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