Zehn Geschichten aus zehn Jahren: Benedict Wells brilliert in Die Wahrheit über das Lügen vor allem in außergewöhnlichen Szenarien.
„War das alles wirklich nur Fiktion? Oder nicht doch auch ein Funken Wahrheit?“
„Es war die Wahrheit. Die Wahrheit über das Lügen.“
Benedict Wells, erst 35 Jahre alt und schon lange renommierter Autor von erfolgreichen Romanen und Kurzgeschichten, versammelt in diesem Büchlein zehn völlig unterschiedliche Stories aus verschiedensten Genres und Themengebieten. Zwei der Geschichten, „Die Nacht der Bücher“ sowie „Die Entstehung der Angst“, spielen im selben Kosmos wie Wells‘ Roman Vom Ende der Einsamkeit. Für mich war dieser Kurzgeschichtenband das erste Werk des Autors und ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, die Geschichten zu verstehen und großartig zu finden. Letztere der beiden bietet den Lesern von Wells‘ Roman allerdings noch tiefere Einblicke in das Seelenleben einer der Figuren.
Von den zehn Geschichten, die Wells innerhalb von zehn Jahren verfasste, sind es vor allem die gewöhnlicheren Szenarien, die mich nicht vollends überzeugen konnten. Wobei das bei weitem nicht heißen soll, dass es schlechte Texte sind – sie sind bloß nicht so großartig wie die anderen. Zwei der Stories („Die Wanderung“ und „Richard“) waren für mich leider recht vorhersehbar, was aber nichts daran ändert, dass sie handwerklich trotzdem sehr gut geschrieben sind.
Wells‘ Genie zeigt sich vor allem in den Kurzgeschichten, in denen er sich dem Speziellen zuwendet. So konnte mich sein Text über die männliche Muse überzeugen, die einer erfolglosen Schriftstellerin mit einem Kuss die langersehnten Eingebungen schenken soll, sich dann aber rettungslos verliebt. Ebenfalls außergewöhnlich und außergewöhnlich gut fand ich „Ping Pong“, eine Geschichte über eine Entführung und das Tischtennisspielen, die mich an Murakami und Kafka erinnerte und einen extrem starken Sog entwickelte. „Die Nacht der Bücher“ scheint wiederum angelehnt an Walter Moers – ein ähnlich fantasievolles Setting, bloß mit viel mehr bissigem Humor, als sich die Bücher klassischer Autoren eines Nachts in der Bibliothek gegenseitig niedermachen und aus den Regalen schmeißen.
„Schreiben ist mein Trinken.“
Er lächelte. „Damit kann man sich immerhin nicht zugrunde richten.“
„Das ist eine kühne Behauptung.“
Ein wahres Erlebnis ist auch die längste sowie titelgebende Geschichte des Bandes, „Das Franchise oder: Die Wahrheit über das Lügen“. Hier begleiten wir einen glücklosen Drehbuchautor in Hollywood, der in der Zeit zurückgereist ist, um in den Siebzigerjahren George Lucas die Idee für Star Wars zu stehlen, um so selbst zum erfolgreichsten Filmemacher aller Zeiten zu werden. Die Idee und die Umsetzung sind einfach grandios gelungen – mir fällt keine einzige Kurzgeschichte ein, die sich hiermit vergleichen ließe.
Es ist bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit sich Benedict Wells zwischen verschiedenen Genres und Tonalitäten bewegt. Keine Geschichte ähnelt der anderen, sie zeigen ein breites Spektrum seines schriftstellerischen Könnens. Mal zynisch, mal berührend, mal alltäglich und mal völlig abgefahren bereitet der Erzählband Die Wahrheit über das Lügen eine unglaubliche Freude beim Lesen, auch wenn nicht alle Stories dasselbe hohe Niveau halten können. Auf alle Fälle hat mich das Buch sehr neugierig auf den Autor gemacht, von dem ich in Zukunft sicher noch das ein oder andere Buch lesen werde.
[…] dafür herausragend sind. Mein erster Wells, aber definitiv nicht mein letzter. Hier findet ihr ausführlichere Gedanken zu dem […]
LikeLike