Amélie Nothomb – Töte mich

Amelie Nothomb Töte mich Rezension

Mord, Schicksal und Verpflichtungen: Amélie Nothombs Roman Töte mich überzeugt erneut durch großartige Dialoge und viel Skurrilität.

Henri Neville, ein belgischer Graf, steht vor dem Bankrott. Die Instandhaltung des Familienschlosses Château de Pluvier, das sie demnächst verlassen müssen, hat Unsummen an Geld verschlungen. Und gerade zu diesem ungünstigen Zeitpunkt steht Henris jährliche Gartenparty an, DAS Event in den Kreisen der belgischen Aristokratie. Doch nur wenige Tage zuvor verschwindet Henris Tochter Sérieuse und wird mitten in der Nacht halb erfroren im Wald von einer Wahrsagerin gefunden. Diese prophezeit Henri, dass er bei seiner Gartenparty jemanden töten wird – nur wer wird es sein?

Henris Kinder Oreste, Électre und Sérieuse zeigen schon an ihren Namen, dass der Roman nicht nur an ein Märchen angelehnt ist (Adel, Wahrsagerin, Prophezeiung), sondern auch an griechische Tragödien. Oreste und Électre, beide von strahlender Schönheit und überall beliebt, sind nach den Kindern Agamemnons benannt, die ihre Mutter und ihren Stiefvater ermordeten. Damit könnten er und seine Frau leben, sagt Henri, aber nicht mit Kindsmord, weshalb Sérieuse ihren Namen erhielt und nicht den der Iphigenie (welche von ihrem Vater Agamemnon geopfert wurde). Schnell stellt sich jedoch heraus, dass auch ihr Name nichts an diesem Schicksal ändern kann: die depressive Jugendliche versucht ihren Vater zu überreden, doch ihrem eigenen Leben ein Ende zu setzen, wenn er denn schon unbedingt jemanden umbringen muss. In absolut wahnwitzigen Gesprächen offenbart sie nicht nur ihr verqueres Innenleben, sondern auch ihre Sturheit und Überzeugungskraft. Statt, wie Iphigenie es vermutlich tat, um ihr Leben zu flehen, bettelt Sérieuse ihren Vater Henri an, sie doch endlich von ihrem Leid zu befreien.

„Nach der Tat, Papa, wirst du dir sagen können, dass du mir das gegeben hast, was mir nottat. Du bist für mich der beste Vater der Welt, weil du bereit bist, mich aus dieser Kruste des Nichts zu befreien. Vergiss nicht, dass deine Tat ein Akt der Liebe sein wird.“

Töte mich startet relativ langsam. Einige Kapitel lang fand ich es lediglich ganz unterhaltsam und wusste aber nicht, ob es mich im Endeffekt so begeistern könnte, wie andere von Nothombs Romanen. Nach einer eher ruhigen Exposition wird es erst im Verlauf rasanter, grotesker und deutlich amüsanter – bis es in einem plötzlichen, bitterbösen nothombschen Finale von nur zwei Seiten endet.

Wäre so ein aufsehenerregendes Verbrechen nicht auch bewundernswert? Viel mehr, als jemanden feige und klammheimlich zu beseitigen, als ob man sich dafür schämen müsste oder Angst vor den Konsequenzen hätte?

Absurde Szenarien treffen hier auf noch absurdere Dialoge: mit Scharfzüngigkeit, düsterem Witz und enorm viel Skurrilität schafft es Nothomb immer wieder, mich ins Staunen zu versetzen. Serienmord, Freiheitsberaubung, Russisches Roulette oder – in diesem Fall – Kindstötung werden so selbstverständlich rübergebracht, dass man es als Leser einfach nur schulterzuckend hinnimmt. Konzepte wie Schicksal, Vernunft, Verpflichtungen und Ethik werden herrlich rücksichtslos in die Mangel genommen. Zudem wirft die belgische Autorin jegliche moralischen Vorstellungen, die man vor der Lektüre hatte, einfach komplett über Bord. Aber damit ist man dann auch d’accord.

Dass es nicht leicht ist, gute Dialoge zu schreiben, sieht man in der Literatur immer wieder. Nothomb ist in dieser Hinsicht aber eine meiner liebsten Autor*innen, denn so grotesk die Themen und Hergänge sein mögen, wirken die Gespräche dennoch immer authentisch und extrem dynamisch. Durch den bösen Witz wird es zu einem einzigen Vergnügen zu beobachten, wie sich Nothombs Charaktere wie beim Tennis den Ball zuspielen, jeder darauf erpicht, endlich einen Punkt oder gar den Sieg zu erlangen.

„Ich hab’s versucht, das schwöre ich. Seit Jahren habe ich nur die besten Bücher gelesen, Klassiker und moderne, und auf ein Wunder gehofft. Ich habe Wunderbares darin gefunden, aber nichts, das mich berührt hat. Immer war da diese Festung Eis zwischen mir und mir. Ich wäre sie so gerne los.“

„Lesen verändert einen nicht. Man muss schon leben.“

Amélie Nothombs Roman Töte mich zählt aufgrund seines langsamen Einstiegs nicht zu meinen Lieblingswerken der Autorin. Dennoch brilliert er gerade im späteren Verlauf sowie am Schluss mit einem makaberen Szenario, viel bösem Witz und den für Nothomb typischen spritzigen Dialogen.

Wie Ulla von Halt die Fresse Klappentext so schön sagt: „ein Mordsspaß!“

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