Rückblick: Lesemonat Juli

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Nachdem uns im Juni unsere Masterarbeiten stark im Griff hatten, haben wir es nun geschafft, einen Monatsrückblick für den Juli zu erstellen. Neun Bücher haben wir lesen können, darunter einige Highlights und Enttäuschungen.

Kenzaburo Oe – Stille Tage

Stille Tage ist ein autofiktionaler Roman über das Leben und den Alltag mit einem Kind mit Behinderung. Geschrieben ist das ganze aus der Sicht von Oes Tochter, die sich in der Abwesenheit ihrer Eltern um ihren Bruder I-Ah kümmern muss. Nachdem ich vor einigen Jahren schon mit den ersten 50 Seiten dieses dünnen Romans meine Schwierigkeiten hatte, habe ich es nun noch einmal versucht, bin aber ebenso wenig begeistert wie damals. Nur stellenweise einfühlsam und rührend, fand ich das Buch leider größtenteils sehr langweilig – vielleicht passt die Distanziertheit japanischer Autoren für mich nicht wirklich zu einer solchen eher emotional konnotierten Thematik, sodass mir die Probleme der Protagonistin relativ fremd blieben und mir viele Gedanken und Gespräche einfach egal waren.

Madeline Miller – Circe

Die Zauberin Circe ist eine bekannte Figur aus Homers Odyssee. Der Held Odysseus trifft auf die Tochter des Sonnengottes Helios, die auf einer Insel lebt und Besucher in Tiere verwandelt. Madeline Miller schreibt ihre ganz eigene Geschichte der Mythengestalt und konzentriert sich dabei komplett auf die weibliche Perspektive und erzählt das Leben Circes aus der Ich-Perspektive. Mit Circe ist der Autorin ein großartiger Roman gelungen, der eine andere, neue Sichtweise auf weibliche Figuren der antiken Mythen bietet und dabei intelligent sowie poetisch geschrieben ist. Ein literarisches Highlight.

Haruki Murakami – Nach dem Beben

Sechs Kurzgeschichten sind in diesem schmalen Sammelband vereint, die alle mehr oder weniger mit dem Erdbeben von Kobe im Jahr 1995 zusammenhängen. Haruki Murakami bewegt sich hier geschickt zwischen realistischen Stories über Beziehungen und Einsamkeit sowie phantastischen Erzählungen, wie der von einem riesigen Frosch, welcher Tokyo retten will. Mal lakonisch und melancholisch, mal wunderbar skurril und humorvoll, beweist Murakami mit diesem Band, dass seine Kurzgeschichten seinen Romanen in nichts nachstehen. Hier findet ihr einige kurze Gedanken zu Nach dem Beben.

Daniel Kehlmann – Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten

Daniel Kehlmann erzählt neun verschiedene Geschichten, die lose miteinander verbunden sind. Einige Figuren tauchen auch in anderen Abschnitten auf. Spannend sind vor allem die beiden Teile, die von der fiktiven Figur Leo Richter, der selbst ein Autor ist, geschrieben sind und in denen sich die Figuren immer wieder direkt an den Autor wenden und mit diesem kommunizieren. Kehlmanns Idee, mit Identitäten zu spielen und verschiedene Geschichten über Themen und Figuren miteinander zu verbinden, ist zwar alles andere als neu, dennoch liest sich der Roman recht kurzweilig und unterhaltsam.

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John Lanchester – Die Mauer

Alle Briten müssen ihren Dienst an der Mauer verrichten, die das Land vor den Anderen schützt und abschottet. John Kavanaugh ist einer von ihnen und die nächsten beiden Jahre sind vom Blick auf das Meer, dem Beton der Mauer, von Kälte aber auch von Liebe zu Hifa, die ebenfalls ihren Dienst an der Mauer verrichtet, geprägt. Wer will, kann den Roman natürlich in Bezug auf aktuelle Themen wie Brexit, Klimawandel und Migration lesen, er funktioniert aber auch ohne diese Bezugspunkte als Dystopie. Auf lakonische Weise wirft er einen düsteren Blick in eine Zukunft, die auf beängstige Weise gar nicht so weit entfernt und unwahrscheinlich wirkt. Wir haben Die Mauer für euch rezensiert.

Vladimir Nabokov – Lolita

Zweieinhalb Monate hat es gebraucht, bis ich diesen modernen Klassiker endlich durch hatte – was zum einen an den vielen Fußnoten lag, die in meiner Edition vorhanden sind, zum anderen an der recht schweren Thematik. Humbert Humbert berichtet aus dem Gefängnis heraus, wie er das zwölfjährige Mädchen Lolita kennenlernte – und sich in sie verliebte. Nabokovs großer Wurf wurde über Jahrzehnte hinweg kontrovers diskutiert, und das zu Recht. Mit poetischer Sprache und einer unglaublichen Eleganz schildert der Erzähler uns seine tiefen Gefühle. So anziehend der Stil ist, so abstoßend ist die Thematik der Pädophilie: dieses Buch ist keine leichte Kost. Stellenweise hätte es mir etwas zügiger voranschreiten können, ansonsten ist Lolita ein grandioses Buch, das emotional viel mit seinen Lesern machen dürfte. Hier findet ihr eine ausführliche Besprechung.

Peter Høeg – Durch deine Augen

Als Kinder waren Peter, Lisa und Simon der „Club der schlaflosen Kinder“, die in die Träume von anderen gelangen konnten und sowohl Zukunft als auch Vergangenheit beeinflussen konnten. Jahrzehnte später versucht Simon sich das Leben zu nehmen, weshalb Peter ihn in das „Institut für neurologische Bildgebung“, dessen Leiterin Lisa ist, die sich nicht mehr an ihre Kindheit erinnern kann. Der Roman erzählt auf zwei Ebenen die Kindheit der drei und ihre Gegenwart. Dabei spielt er mit vielen Themen wie Erinnerung, Traumata, Leid, kollektivem Bewusstsein von Gewalt und weiteren mehr. In der episodenhaften Erzählweise baut sich eine enorme Spannung auf und es entwickelt sich ein unheimlicher erzählerischer Sog. Ein sehr eigener und faszinierender Roman, der schon fast surreal wirkt.

Bobette Buster – Story. Wie man eine Geschichte richtig erzählt

In neun kurzen Kapiteln erklärt Drehbuchautorin, Produzentin, Dozentin und Story-Beraterin Bobette Buster die Kunst, eine Geschichte überzeugend zu erzählen. Mit jeweils einer Story unterstützt sie die Aussagen ihrer einzelnen Kapitel, die von Verletzlichkeit, Sinneswahrnehmungen und dem kleinen aber entscheidenden Detail handeln. Von meinem allerersten Schreibratgeber hatte ich mir irgendwie deutlich mehr versprochen: hier geht es hauptsächlich um Storytelling aus den Bereichen Präsentationen und Selbstvermarktung statt um Storytelling für Autoren, da sich das Buch sehr auf die eigenen Erfahrungen und Motivationen fokussiert. Insgesamt war das alles ganz nett zu lesen, ich fand es jedoch ein bisschen oberflächlich – und habe das Gefühl, dass ich auch einfach einen Blogbeitrag zu dem Thema hätte lesen können.

Carys Davies – West

Mit ihrem Hauptprotagonisten Cy Bellman hat Carys Davies einen bizarren Protagonisten geschaffen, der im 19. Jahrhundert seine Tochter in der Obhut ihrer Tante zurücklässt, um in den amerikanischen Westen zu reiten. Ziel der Expedition ist das Auffinden von besonders großen Tieren, über deren Knochenfund Bellman einen Artikel gelesen hat. Stilistisch reduziert, aber sehr gekonnt erzählt die Autorin von der Reise und dem Älterwerden der Tochter. Leider kommt in der Handlung nur wenig Spannung auf, so dass ein gemischter Eindruck entstand, wie ihr in der ausführlichen Rezension lesen könnt.

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