Michel Houellebecq – Karte und Gebiet

Michel Houellebecq Karte und Gebiet Rezension

Michel Houellebecq schreibt sich selbst in einen Roman ein. Der Künstlerroman Karte und Gebiet ist eines seiner besten Werke.

Der Gegenwartskünstler Jed Martin wird aufgrund seiner Porträts berühmt. Einer der Porträtierten ist der bekannte Schriftsteller Michel Houellebecq. Für eine Ausstellung soll er ein Kapitel zum Katalog beisteuern. Houellebecq erweist sich bei den Treffen mit Jed ganz anders als dieser ihn erwartet hat. Als ein grausamer Doppelmord geschieht, wird auch Jed befragt, der als eine der letzten Personen Houellebecq lebendig gesehen hat.

In dem 2010 veröffentlichten Roman Karte und Gebiet wird die Geschichte eines bildenden Künstlers mit Namen Jed Martin geschildert, der sich als ein typischer Houellebeqc’scher Romanheld erweist. Er sieht sich als gesellschaftlich isoliert an, kämpft mit einem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater und in der Liebe verpasst er es, mit seiner PR-Agentin Olga glücklich zu werden. Als Erzähler fungiert eine Art Geschichtsschreiber oder Kunsthistoriker, der den Werdegang Jed Martins kommentiert und durch dessen Abstand zur Handlung eine wissenschaftliche Sichtweise auf die Geschehnisse suggeriert wird.

Auf formaler Ebene kehrt Houellebecq zu dem Modell seines Romans Elementarteilchen  zurück. So wird auf der einen Seite eine kritische Distanz erzeugt, in eingefügten übergeordneten Metakommentaren Bezug genommen auf eine kunsthistorische Diskussion, und auf der anderen Seite die Perspektive der Figuren geschildert, um Einblicke in deren Gefühlswelt zu ermöglichen. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die beiden Künstler Jed Martin und Houellebecq, die zwar erfolgreich sind, aber mit Problemen kämpfen müssen. Während sich Jed in der Gesellschaft nur schwerlich zurechtfindet, sieht sich Houellebecq mit einem negativen Medienimage konfrontiert.

„Wissen, Sie, die Journalisten haben mich in den Ruf gebracht, Alkoholiker zu sein, aber seltsamerweise ist keiner von ihnen je auf die Idee gekommen, dass ich in ihrer Gegenwart nur deshalb so viel trinke, damit ich sie überhaupt ertragen kann. Wie soll man sich mit jemanden treffen, der für Marianne oder Le Parisien libéré arbeitet, ohne augenblicklich das Bedürfnis zu kotzen zu verspüren?“

Houellebecq spielt in Karte und Gebiet gekonnt mit dem Bild, das von ihm in den Medien transportiert wird: ein trinkender Schriftsteller mit Zigarette, Wein, Parka und Hund, der eine längere Zeit des Jahres in Thailand verbringt, um die dortigen Bordelle zu frequentieren. Dennoch ist der Roman wohl längst nicht so offen provokant wie Elementarteilchen, Plattform und Unterwerfung. Das bedeutete allerdings nicht, dass er sich mit Kritik an der Gesellschaft zurückhält.

Unübersehbar ist die Tatsache, dass der Autor sich selbst in den Roman einschreibt und aufgrund dessen einige Gemeinsamkeiten mit dem echten Houellebecq teilt, die sich nicht nur auf den Namen beschränken, sondern sich ebenso auf die veröffentlichten Werke und vor allem das Image beziehen, mit dem hier bewusst gespielt wird. Wer sich hier Einblicke in das Privatleben von Houellebecq erhofft und erfahren will, wie er denn nun wirklich denkt, wird enttäuscht werden. Viel spannender dagegen ist, wie Houellebecq den anderen Künstler Jed Martin gestaltet und zu seinem Sprachrohr macht, um ihm seine künstlerischen Positionen in den Mund zu legen. So stellen die kunsttheoretischen Gespräche zwischen den beiden einen zentralen Aspekt des Romans dar. Grundsätzlich ist die Sicht auf den aktuellen Kunstmarkt sehr negativ.

Es hat tatsächlich so etwas wie eine Zweiteilung gegeben: auf der einen Seite Fun, Sex, Kitsch und Naivität, auf der anderen Trash, Tod und Zynismus. Wir sind sowieso an einem Punkt angelangt, wo der Markterfolg jeden Mist rechtfertigt, ihn anerkennt und sämtliche Theorien ersetzt, niemand ist mehr imstande, ein bisschen weiter zu blicken, absolut niemand.

Die Diagnose, dass Erfolg entweder auf Habgier oder Sexualität beruht ist alles andere als ermutigend. Faszinierend ist, wie Houellebecq aus dem Künstler- und Gesellschaftsroman im weiteren Verlauf einen Kriminalroman macht, ohne dass es dabei zu einem Bruch kommt. Die immer wiederkehrenden Fragen, die auch die anderen Werke des Autors begleiten, sind hier dieselben geblieben: Wie soll der Mensch in den kommenden Jahren leben? Wie soll er lieben? Wie entwickelt sich die Gesellschaft weiter?

Fast könnte man meinen, Houellebecq wäre mit Karte und Gebiet zahm geworden (die nachfolgenden Romane belegen das Gegenteil). Die Provokationen sind eher zurückhaltend, dafür stehen die Künstlerfiguren im Mittelpunkt und das von den Medien vermittelte Image des Autors. Die Art und Weise wie Houellebecq verschiedene Genres vermischt, sich selbst dabei treu bleibt und einen Blick auf die moderne Gesellschaft wirft, ist sowohl großartig erzählt als auch wunderbar unterhaltsam, durchaus auch spannend und eines seiner herausragenden Werke.

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