Peter Stamms Debütroman Agnes erschien bereits 1998. Es ist ein kurzes Werk, das zärtlich und voller Melancholie vom Scheitern einer Liebe erzählt.
„Agnes ist tot. Eine Geschichte hat sie getötet.“ – So beginnt der nur 153 Seiten kurze Roman des Schriftstellers Peter Stamm. Doch anstatt Antworten zu liefern, auf die Fragen, die durch jene ersten Worte aufgeworfen werden, führt uns der Ich-Erzähler zurück an den Anfang, als er Agnes zum ersten Mal begegnete. Er erzählt die Geschichte ihrer Liebe, einer ungesunden Liebe, die weniger auf Wahrheiten als auf falschen Hoffnungen und Vorstellungen beruhte.
Der Erzähler, welcher wesentlich älter ist als Agnes, lebt für einen begrenzten Zeitraum in Chicago, um sich dort dem Verfassen eines Buchs über amerikanische Luxuseisenbahnwagen zu widmen. In der öffentlichen Bibliothek sieht er die junge Frau zum ersten Mal und fühlt sich sofort zu ihr hingezogen. Sie nähern sich einander, treffen sich, und beginnen eine Liebesbeziehung.
„Wir denken immer, wir leben in einer einzigen Welt. Dabei bewegt sich jeder in seinem eigenen Stollensystem, sieht nicht rechts und links und baut nur sein Leben ab und versperrt sich mit Schutt den Rückweg.“
Diese Beziehung ist vermutlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Der Erzähler weiß eigentlich kaum etwas über Agnes, oft macht sie seltsame Andeutungen und spricht über den Tod, als ob er besonders nahe wäre. Er entwickelt ein fast schon obsessives Verhalten, kann kaum an etwas anderes denken, als an Agnes – sie überstürzen es und ziehen schon nach sehr kurzer Zeit zusammen. Als Agnes dann ebenfalls versucht zu schreiben, wird der Mann schnell eifersüchtig auf das Talent, das in ihr schlummert, doch statt ehrlich mit dieser Situation umzugehen, verletzt er sie nur unnötig.
Auch als er eine Geschichte über Agnes und ihre gemeinsame Zeit schreiben soll, wird es nicht leichter für das Paar. Schnell haben beide gewisse Erwartungen an diese Geschichte, obwohl sie doch eigentlich die Realität widerspiegeln soll, und so versuchen sie, die Geschichte und die Realität durch ihre Erwartungen und Hoffnungen an sich selbst, den anderen und an ihre Beziehung zu beeinflussen – ein gefährliches Spiel mit der Wirklichkeit beginnt, die Phantasie wird zur Obsession und die Relevanz der „perfekten Geschichte“ über die der Wahrheit gestellt. Die Geschichte in der Geschichte – beeinflusst im Roman Agnes nun das Leben die Kunst oder die Kunst das Leben? Oder eventuell beides zur selben Zeit? Stamm schafft es hier, sich dieser Thematik auf eine sehr nüchterne und doch beklemmende Weise zu nähern.
Obwohl Stamms Schreibstil recht schlicht und sehr deskriptiv gehalten ist, ist er doch durchzogen von einer feinen Melancholie, die die Seiten zwischen den Fingern schwerer und schwerer werden lässt, je weiter die Geschichte voranschreitet. Es ist eine kühle Atmosphäre, die im Roman vorherrscht, doch trotz der Distanziertheit wirkt sie fast schon zärtlich.
„Stört dich das nicht? Bei dem Lärm kann man ja nicht schlafen.“
„Nein, im Gegenteil“, sagte Agnes. „Es gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein, wenn ich nachts aufwache.“
„Du bist nicht allein.“
„Nein“, sagte Agnes, „jetzt nicht.“
Peter Stamm hat mit Agnes einen kühlen und melancholischen Roman geschaffen, der vom Scheitern einer Beziehung und von der Gefahr der Grenzaufhebung zwischen Realität und Fiktion erzählt. Ein kurzes, aber beeindruckendes Stück Literatur, das Lust darauf macht, sich intensiver mit dem Schweizer Autor und seinen Büchern zu beschäftigen.
Das klingt vielversprechend und macht Lust auf den Roman… Werde ich mir merken :-)
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[…] Der Ich-Erzähler lernt die jüngere Agnes eines Tages in der städtischen Bibliothek kennen. Schnell kommen sie sich näher, beginnen eine Beziehung. Doch als Agnes ihn bittet, ihre gemeinsame Geschichte aufzuschreiben, tauchen die ersten Probleme auf. Realität und Fiktion geraten durcheinander, Erwartungen schießen in die Höhe und bleiben unerfüllt. Peter Stamm erzählt auf klare aber dennoch sehr zärtliche und melancholische Weise die Geschichte einer ungesunden Liebesbeziehung. Hier findet ihr eine ausführliche Besprechung. […]
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[…] auch in seinem Roman Agnes erzählt Stamm mit einer glasklaren Sprache, die von seidenen Fäden der Melancholie durchzogen […]
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