Auch nach über 60 Jahren mehr als lesenswert: Heinrich Böll nähert sich in Irisches Tagebuch Irland und seinen Bewohnern.
Mittlerweile ist Heinrich Bölls Irisches Tagebuch 61 Jahre alt. Die Auflage hat die Millionengrenze überschritten. Im Jahr 1954 war der Schriftsteller zum ersten Mal auf Achill Island, einer Insel die zur Grafschaft Mayo gehört und abgesehen von der Hauptinsel die größte Insel des Landes ist. Hier sind bis heute ungefähr 87% Prozent der Fläche mit Torfmooren bedeckt. 1958 kaufte Böll dort ein Haus, das heute von der Achill Heinrich Böll Association Künstlern für kurze Aufenthalte zur Verfügung gestellt wird, um hier in Ruhe und Abgeschiedenheit zu arbeiten. Laut Judith Hermann, die sich in dem Cottage aufhielt, befindet sich im Haus ein Bücherregal mit Werken von allen Autoren, die dort gearbeitet haben. Für Besucher und Touristen ist das Haus ausdrücklich nicht zur Besichtigung geöffnet, um den Künstlern Ruhe und Abgeschiedenheit zu bewahren. Böll besuchte Irland 1954 für mehrere Monate und veröffentlichte daraufhin in der FAZ die sogenannten Irland Impressionen, woraus dann 1957 das Tagebuch entstand.
Was aber macht nun Bölls Irisches Tagebuch so besonders, dass es seine Leser bis heute fasziniert und in ihnen den Wunsch weckt, Irland zu besuchen? Mich hat vor allem der genaue und klare Blick von Böll auf das, was ihm dort begegnet, beeindruckt. Das Buch, das sich in 18 Kapitel unterteilt, widmet sich dabei sehr unterschiedliche Beobachtungen. Mal schreibt er über die besonderen Landschaften, das irische Wetter, ein verlassenes Dorf, die Zugreise und ein anderes Mal stehen dafür die Menschen im Mittelpunkt. Kinder, die aufgrund ihrer Armut Barfuß unterwegs sind, Trinker und der Bahnschaffner, der so ganz anders zu sein scheint, als zu Hause in Deutschland.
Viel Gelassenheit, viel Heiterkeit bei Kühen, Eseln und Schulkindern begegnete uns zwischen Dublin und Limerick, dazu noch sich der Limericks zu erinnern, wer sollte sich da Limerick nähern, ohne an eine heitere Stadt zu denken?
Besonders auffällig war für mich, dass Böll mit seinen Beobachtungen sehr deutlich einfängt, wie schwer das Leben für manche Iren ist. Trotz harter Arbeit fällt es manchen schwer, über die Runden zu kommen. An verschiedenen Stellen wird die Armut deutlich, wenn etwa die Kinder ohne Schuhe herumlaufen und immer wieder angesprochen wird, dass viele Söhne und Töchter mehr oder weniger dazu gezwungen sind, ins Ausland auszuwandern und sich dort ein Leben und eine Zukunft aufzubauen, die ihnen ihre eigentliche Heimat nicht bieten kann. Was daneben ebenso ersichtlich wird, ist der starke Einfluss der katholischen Kirche, der an vielen Stellen thematisiert wird.
Als ich an Bord des Dampfers ging, sah ich, hörte und roch ich, daß ich eine Grenze überschritten hatte; […] aber hier auf dem Dampfer war England zu Ende: hier roch es schon nach Torf, klang kehliges Keltisch aus Zwischendeck und Bar, hier schon nahm Europas soziale Ordnung andere Formen an: Armut war nicht nur „keine Schande“ mehr, sondern weder Ehre noch Schande: sie war – als Moment gesellschaftlichen Selbstbewußtseins – so belanglos wie Reichtum […].
Auch wenn im Titel „Tagebuch“ steht, sind es für mich eher Episoden, in denen Böll berichtet. Manches davon geht dabei in Richtung eines Reiseberichts, während andere Passagen dann ganz der persönlichen Beobachtung gewidmet sind. Ebenfalls sehr lesenswert ist der im Anhang befindliche Essay Bölls, den er dreizehn Jahre später geschrieben hat. Hier zeigt er auf, wie sehr sich Irland bereits in dieser kurzen Zeit verändert hat und sich auch in Zukunft natürlich verändert und entwickeln wird.
Langsam stach die Morgensonne weiße Häuser aus dem Dunst heraus, ein Leuchtfeuer bellte rotweiß dem Schiff entgegen, langsam schnaufte der Dampfer in den Hafen von Dun Laoghaire. Möwen begrüßten ihn, die graue Silhouette von Dublin wurde sichtbar, verschwand wieder: Kirchen, Denkmäler, Docks, ein Gasometer: zögernde Rauchfahnen aus einigen Kaminen: Frühstückszeit, für wenige nur: noch schlief Irland […].
Irisches Tagebuch ist keineswegs ein Buch, das in irgendeiner Weise versucht die durchaus komplizierte und wechselhafte Geschichte oder wirtschaftliche Lage Irlands zu beschreiben, sondern einzelne Episoden und Situationen schildert, in denen Böll seine genaue Beobachtungsgabe zeigt und so das Porträt eines Landes und seiner Menschen liefert. Daneben finden sich aber ebenso atmosphärische Darstellungen der Städte und der einzigartigen irischen Landschaft. Und obwohl das Buch weit davon entfernt ist, ein Reiseführer zu sein, hat sich bei mir sofort wieder das Fernweh nach der grünen Insel gemeldet, die uns im letzten Herbst so sehr ans Herz gewachsen ist.
Ich reise demnächst auf die Grüne Insel und habe mir vorgenommen, in den kommenden Wochen möglichst viel zum Thema Irland zu lesen. Böll hätte ich fast vergessen, danke für die Erinnerung!
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