Anthony McCarten – Jack

Rezension Anthony McCarten Jack Diogenes

Mit Jack widmet sich Anthony McCarten erneut einer realen Figur. Das Porträt von Jack Kerouac ist ehrlich und zeigt verschiedene Facetten des Idols der Beatgeneration.

Jack Kerouac, einst Idol der Beatgeneration, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Zurückgezogen lebt er in Florida und verfolgt das Ziel, sich zu Tode zu saufen. In seinem Roman Unterwegs (On the Road) schlachtete er das Leben seines Freundes Neal Cassady aus, dem so ungewollt Ruhm zuteilwurde und schuf einen Kultroman. Eines Tages steht plötzlich die Literaturstudentin Jan Weintraub auf der Matte und versucht Kerouac davon zu überzeugen, sie zu seiner Biographin zu ernennen.

Mit seinem neuen Roman mit dem einfachen Titel Jack entführt der neuseeländische Autor Anthony McCarten seine Leser in das Jahr 1968. Es ist das vorletzte Lebensjahr des Kultautors Jack Kerouac, der mit seinem Buch On the Road zum gefeierten Idol der Beatgeneration aufstieg. Dem Klappentext kann man entnehmen, welche große Bedeutung und Bewunderung Anthony McCarten gegenüber Kerouac empfindet: „Von Kerouac lernte ich zu schreiben. Seine Engel und Dämonen waren meine eigenen. Er ist der Held meines Buches über die Frage, wer wir wirklich sind.“

Als Jan den großen Autor ausfindig macht und vor seiner Tür steht, ist nicht mehr viel vom alten Glanz übrig. Alkohol und Drogen haben ihren Tribut gefordert. Das Buch ist aus der Ich-Perspektive von Jan geschrieben, was dafür sorgt, dass ich als Leser ihre Bewunderung und die besondere Bedeutung, die Kerouac hat, unmittelbar erlebe:

Für Leser in meinem Alter war Kerouac unsere eigene Stimme, das Sprachrohr unserer Seele, und in meiner Erinnerung bleibt er das bis ans Ende aller Tage – denn was sind Schriftsteller anders als der Inbegriff der Zeit, in der sie uns begegnen, und das von da an für alle Ewigkeit?

Jans größter Wunsch ist es, Kerouacs Biographin zu werden und ihm auch aus wissenschaftlicher Sicht den Status zu verleihen, den er verdient hat. Und so lernt der Leser den Autor Jack Kerouac besser kennen, vor allem die Geschichte hinter seinem Kultbuch On the Road. Jan konfrontiert ihn mit den Vorwürfen, das Leben seines besten Freundes Neal Cassidy benutzt zu haben, woran dieser zu Grunde ging und Jack zumindest eine Teilschuld an dessen Tod trage. Jan weiß eigentlich alles über den Autoren und so reißt sie mit ihrer Energie, ihrem Elan und ihrer Hingabe sowohl den sonst so abweisenden Kerouac mit als auch den Leser. Erst nach und nach wird klar, dass sie dabei ihre ganz eigenen Ziele und Motive verfolgt.

Doch Jack ist nicht nur ein Roman über einen Künstler, der verbittert und fern der Öffentlichkeit leben möchte, sondern auch ein Buch, in dem es immer wieder um die Frage nach Identität geht. So ist es wohl kein Zufall, dass Kerouac einen Satz von Jean Genet zitiert, der später von Jan wiederholt wird: „Nichts könnte mir unähnlicher sein als ich selbst.“ In den Interviews der beiden kommt das Thema immer wieder zur Sprache und Kerouac beklagt, dass er aufgrund des Spielens mit so vielen Persönlichkeiten in seinen Büchern den Bezug zu seinem wahren Ich verloren hat. Dieses Spiel mit Identitäten und Persönlichkeiten ist nicht nur spannend sondern auch sehr eindringlich beschrieben.

„Ich habe eine Unzahl von Rollen gespielt“, fuhr er fort, „und eins kann ich Ihnen sagen: Ich spüre mich nie so intensiv wie in den Augenblicken, in denen ich meinem eigenen Ich entfliehe und ein anderer werden, ganz gleich, wer.“ Er prostete mir mit seinem leeren Glas zu.

Das Buch lebt sehr von Jan als Erzählerin, die, wie sich erst im Laufe der Handlung herausstellt, auch auf der Suche nach sich selbst und ihrer Herkunft ist. Dabei streut McCarten zwei Überraschungen in die Handlung ein, die das Geschehen und das Verhältnis der Figuren drastisch ändern. Neben Jan ist natürlich Jack Kerouac die andere bestimmende Figur des Romans.

Nebenbei erfährt der Leser einiges über Kerouacs Jugend, seine gescheiterten Ehen, seine Zeit in New York gemeinsam mit Allen Ginsberg und William Burroughs, seinen Aufstieg zum Idol der Beat-Generation und dem damit einhergehenden Lebensstil. Die Art, mit der McCarten mit Kerouacs Leben und Vermächtnis umgeht, ist bewundernswert. Er zeigt allen nötigen Respekt, macht die enorme Bedeutung Kerouacs Werks deutlich, scheut aber nicht davor zurück auch zu zeigen, wie sehr er privat gescheitert ist. Hier wird der Autor mit all seinen Verfehlungen gezeigt. Wer Sorge hat, dass der Roman zu sehr in Richtung Fachbuch geht, kann übrigens völlig beruhigt sein. Die Daten und die Einordnung von Kerouacs Schaffen fügen sich ohne Probleme in die Handlung ein und dienen vor allem als Hintergrundinformationen, um die Dialoge zwischen Jan und Kerouac zu verstehen.

Mit Jack zeigt der Autor Anthony McCarten erneut, dass er sich nicht nur für biographische Themen interessiert sondern auch, dass er diese spannend als Roman umsetzen kann. In diesem Fall gelingt das vor allem dank der enthusiastischen Studentin und ihrem Umgang mit dem gefallenen Jack Kerouac. Beide teilen mit ihrer Suche nach der individuellen Persönlichkeit und Identität dieselbe Frage. Die literarische Annäherung an das Idol der Beat-Generation findet die richtige Balance zwischen informativen Darstellungen, persönlichen Schicksalen und Plottwists, die für Spannung sorgen.

Weitere Rezensionen findet ihr bei Sätze&Schätze, paper and poetry blog und Jules Leseecke.

 

 

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