David Gilbert widmet sich in Was aus uns wird dem Themenkomplex Schuld und schwierigen Vater-Sohn Beziehungen. Ganz nebenbei gelingt ihm auch noch ein satirischer Blick auf das Künstlerleben.
Mit seinem Roman „Ampersand“ hat der Autor A. N. Dyer Weltruhm erlangt. Sein Werk steht auf einer Stufe mit „Der Fänger im Roggen“, doch Dyer hat den Erfolg längst überlebt. Er leidet unter verschiedenen Gebrechen und auch seine Kreativität lässt sich nicht mehr entfalten. Nachdem sein bester Freund gestorben ist, lädt er seine drei Söhne zu sich ein, um ihnen ein Geheimnis zu offenbaren. Doch das, was er ihnen mitteilt, scheint unmöglich der Wahrheit zu entsprechen.
David Gilberts Roman Was aus uns wird hatte ich bis vor kurzem gar nicht auf dem Schirm und habe ihn auch eher zufällig beim Stöbern entdeckt. Wie dieses außergewöhnliche Werk so unbemerkt an mir vorbeigehen konnte, ist mir allerdings nach dem Lesen schleierhaft. Das Buch wird bestimmt von einem fast übermächtig erscheinenden Autor namens A. N. Dyer und seinen problematischen Beziehungen zu seinen Söhnen. So sind Vater-Sohn Beziehungen sowie Schuld in verschiedenen Ausprägungen vorherrschende und immer wiederkehrende Themen in Was aus uns wird.
Väter beginnen als Götter und enden als Mythen, und dazwischen kann die Gestalt, die sie annehmen, verhängnisvoll für ihre Söhne sein. Ich habe keine frühen Erinnerungen an meinen Vater, nur die Ahnung eines Mannes, der sich hinter seiner Zeitung verschanzte. Sein Hinterkopf hinterließ für immer einen Abdruck auf dem Sessel, seinen fettigen Schatten. So erfuhr ich vom Tagesgeschehen, weil ich ihn schweigend anstarrte und darauf wartete, dass sich die Zeitung senkte. Die armen, erwartungsvollen Söhne.
Zu Beginn steht die Beerdigung von A. N. Dyers bestem Freund Charles Topping, der in verschiedenen Variationen und unter anderen Namen immer wieder in Dyers Werken vorkam. Als Erzähler fungiert Charles jüngster Sohn Philip, gescheiterter Schriftsteller und Ehemann. Seit jeher sind die beiden Familien durch die Freundschaft der Väter eng miteinander verbunden. Philip ist einer der größten Bewunderer des legendären Autors und hat all seine Romane mehrmals durchgelesen und nach Anspielungen auf seinen Vater durchsucht. Als Erzähler ist er aber nicht unbedingt vertrauenswürdig und letztlich auch ein Außenstehender, der nicht zum engsten Kreis der Dyer-Familie gehört. So ist er eigentlich kaum involviert und aufgrund seines ambivalenten Verhältnisses zu den Dyer-Söhnen könnte die Geschichte auch als eine Art Abrechnung durchgehen. Ein Roman im Roman. Und erst langsam werden auch die dunklen Seiten der Familien-Freundschaft offenbar, die ein komplett neues Licht auf die Handlung von „Ampersand“ werfen – ein Buch über ein Internat, das stellenweise an „Die Leiden des Zöglings Törleß“ erinnern mag.
Neben Philip sind es vor allem die drei Söhne von A. N. Dyer, die im Mittelpunkt stehen. Zwei Söhne stammen aus seiner Ehe und ein Sohn aus einer Affäre mit einem schwedischen Au-Pair, die zur Scheidung führte. Vor allem die beiden älteren Söhne leiden unter der Größe ihres Vaters, haben selbst durchaus künstlerische Begabungen, die aber neben den Erfolgen des Vaters klein und nichtig erscheinen, weshalb sie sich nicht von ihrem Vater-Komplex lösen können. Der jüngste Sohn ist vor allem damit beschäftigt, endlich seine Unschuld zu verlieren, wobei ihm die Bekanntheit des Vaters gerade recht kommt. David Gilbert schildert die zwischenmenschlichen Verstrickungen mithilfe von Rückblenden, streut fiktive Briefe ein und schafft so ein Netz aus Beziehungen und Kränkungen, dem kaum einer der Protagonisten entrinnen kann. Doch nicht nur die Söhne sind gescheitert, auch der überlebensgroß erscheinende Autor ist privat viel kleiner als sein Werk. Mit ruhigem Erzählton und abwechslungsreichem Stil führt Gilbert seine Leser in die Geschichte ein. Es ist ein Roman, in dem so gesehen nicht viel passiert. Der Großteil spielt sich eher auf der zwischenmenschlichen Ebene ab. Aufgrund des nicht vertrauenswürdigen Erzählers muss sich der Leser ständig fragen, welchen Informationen er traut und welchen eher nicht. Das gilt insbesondere für das große Geheimnis. Im Laufe der Handlung bietet der Roman immer wieder neue Bewertungen an und betrachtet seine Figuren aus anderen Blickwinkeln. Eine geschickt konstruierte Erzählsituation, die immer neue Spannung erzeugt.
„Wollt ihr wissen, was wirklich witzig ist?“ Während ich sprach, konzentrierte ich mich auf Richard und Jaime und stieß jedes Wort stahlhart hervor. „Ich habe mir seit jeher nichts lieber gewünscht, als euer Freund zu sein. Traurig, oder? Denn mir ergeht es dabei wie einem geprügelten Hund. Vielleicht noch schlimmer. Ich weiß nicht mal mehr, wer ich eigentlich bin, mein wahres Ich. Ich bin einfach zu blöd! Und stoned. Zu stoned“.
Was unter der dichten Erzählung fast schon etwas untergehen mag, ist der satirische Blick auf die Literatur-, Kunst- und Filmszene, der sich in einigen bösen Zwischensätzen und Bemerkungen zeigt. Hier kommen mitunter absurd komische Szenen zustande, die aber gleichzeitig ebenso traurig sind. Zum Beispiel als es um Richards Manuskript geht, das der Produzent aber wohl nur lobt und verfilmen möchte, um über Richard Kontakte zu seinem Vater A. N. Dyer knüpfen zu können und so endlich die Filmrechte an „Ampersand“ zu erlangen. Ebenso fallen einige bissige Bemerkungen von A. N. Dyer über sein Dasein als Schriftsteller, die nicht gerade ein romantisches Bild entstehen lassen.
„Meine Arbeit hat mich nie in Ruhe gelassen, entzog sich aber dennoch meiner Verfügung. Sie ergriff von mir Besitz. Ich zog mich zurück. Isolierte mich. Schleppte ständig dieses deformierte Ding mit mir herum. Sogar ein richtig guter Arbeitstag war irgendwie mies. Ich erntete nur die Früchte in meinem Kopf. Und ich war dickköpfig, mein Gott, war ich dickköpfig! Ich hatte fest auf A. N. Dyer gesetzt und kettete mich an diese Person. Entschuldigt, wenn ich wie Prometheus und Sisyphus zugleich klinge. Ich armer, armer Kerl.“
Ich bin sehr froh, dass ich Was aus uns wird jetzt ein paar Jahre nach seiner Veröffentlichung für mich entdeckt habe. David Gilbert trifft einen Ton und konstruiert eine Erzählung, die mich unglaublich ansprechen. Die Figuren und ihre gut durchdachten Gefühle füreinander sowie der ironische Blick auf die Kunstszene nehmen einigen Raum in der Handlung ein, doch am Ende steht die Frage, was von uns eigentlich unser Leben, unser Dasein überdauert – und damit sind nicht nur Künstler gemeint.
[…] Roman, der mir bis jetzt nicht aufgefallen war, dafür aber umso mehr Eindruck hinterlassen hat. Hier unsere Rezension zu dem […]
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