Mit Babylon erfindet sich die französische Autorin Yasmina Reza nicht neu. Sie bleibt ihrem Thema treu, zeigt Eskalationen im bürgerlichen Milieu und schreibt wunderbare Dialoge.
Am 21. März gibt Elisabeth eine Frühlingsparty. Das Datum stimmt, doch draußen beginnt es zu schneien. Als Gastgeberin hat Elisabeth wenig Erfahrung und eigentlich ist die Feier ihr auch zu viel. Doch als alle Stühle und Gläser organisiert sind, scheint der Abend zu gelingen. Bis sich die Nachbarn Jean-Lino und Lydie wegen eines Bio-Hühnchens streiten. Später als Elisabeth und ihr Mann bereits im Bett liegen, klingelt Jean-Lino und erzählt, dass er Lydie erwürgt hat.
Wie soll man reagieren, wenn mitten in der Nacht der Nachbar klingelt, mit dem man eben noch nett zusammen gesessen hat und einen nach oben bittet, mit der Erklärung, er hätte seine Frau erwürgt? Diese Situation ist es, die Yasmina Reza in ihrem Roman Babylon entstehen lässt. Die Protagonistin Elisabeth entschließt sich letztlich dazu, dem Nachbarn Jean-Lino dabei zu helfen, die Leiche verschwinden zu lassen. Wie bereits in ihren Dramen (unter anderem Der Gott des Gemetzels) und anderen Romanen lässt die französische Autorin und Dramatikerin jemanden seine Beherrschung verlieren und stellt das bürgerliche Milieu bloß. Auslöser für den Kontrollverlust im Roman Babylon ist ein einfaches Bio-Huhn, das zwischen Jean-Lino und seiner Frau zu einem Streit führt. Während sie sich in der Gesellschaft von anderen noch zurückhalten, eskaliert die Auseinandersetzung, als sie allein in der Wohnung sind.
Der Grund für den Streit lässt kaum darauf schließen, dass sich daraus ein Mord entwickeln könnte. Jean-Lino erzählt zur Unterhaltung von einem Restaurantbesuch, bei dem Lydie darauf besteht, die genauen Zuchtbedingen des Hühnchens zu erfahren. Während des Lokalbesuchs schon genervt von seiner Frau, berichtet Jean-Lino nun in der Abendgesellschaft davon und macht seine Frau vor der gesamten Runde lächerlich. Was banal erscheinen mag, wird von der Autorin gekonnt in eine bereits länger andauernde Phase von gegenseitigen Beleidigungen, Demütigungen und Bloßstellungen verwoben, in der Reza ihre Leser hinter die Fassade der Eheleute blicken lässt.
Ausgangssituation ist die Planung eines Frühlingsfestes von Elisabeth. Dazu hat die 62-jähre Patent-Ingenieurin ihre Freunde, allesamt aus dem gutsituierten-bürgerlichen Milieu, eingeladen. Nur die Nachbarn wollen nicht so recht in diesen Kreis passen. Die Therapeutin Lydie ist esoterisch angehaucht, singt in Jazz-Bars und hat Elisabeth auch schon mal angeboten, deren Wohnung auszupendeln. Mit Jean-Lino verbindet Elisabeth dagegen eine nachbarliche Freundschaft. Doch Babylon erzählt nicht nur von der Feier und ihren Folgen, sondern blickt auch immer wieder auf die Lebensgeschichte von Elisabeth und Jean-Lino. Wie sind sie zu dem geworden, was sie heute sind? Was hat sie geprägt? Warum verhalten sie sich in dieser bestimmten Situation so; er verliert die Kontrolle und sie hilft dabei, einen Mord zu vertuschen?
An manchen Tagen springt mich schon beim Aufwachen mein Alter an. Unsere Jugend ist tot. Nie wieder werden wir jung sein. Dieses Nie-wieder ist das Schwindelerregende.
Doch auch wenn die Eskalation und die menschlichen Abgründe in Babylon im Vordergrund stehen, gelingen der Autorin auch wirklich komische Passagen. Vor alle die Versuche, die Leiche verschwinden zu lassen, bieten sarkastische und ironische Momente. Für die vom Leben etwas gelangweilte und aufgrund ihres Alters melancholische Elisabeth ist das ganze fast schon eine Art Abenteuer. Endlich passiert etwas. Sie blüht förmlich auf in ihren Versuchen einen Plan zu entwickeln, um ihren sympathischen Nachbarn zu schützen. Dabei trägt sie nur ihre Kunstfell-Pantoffeln, ihr Hello-Kitty Oberteil und eine Flanell-Schlafanzughose.
Was Reza absolut beherrscht, ist die Kunst, Dialoge zu schreiben. Nichts scheint hier zufällig, jedes Wort wird mit Bedacht genutzt. Ebenso schafft die Autorin es spielerisch anhand von kurzen Zwischenbemerkungen, die Unterschiede zwischen Jean-Lino und Lydie sowie den anderen Gästen aufzuzeigen.
– Da bitte! Jean–Lino nahm uns zu Zeugen. Als der Kellner weg war, sagte ich zu Rémi, wenn Oma Lydie uns erlauben soll, das Hühnchen zu essen, dann muss das Hühnchen vorher auf einem Baum gesessen haben. […]
– Es muss auch Staubbäder nehmen können, fuhr Lydie fort, mit einer Haltung des Halses und in einem Tonfall, bei dem es Jean–Lino sofort hätte eiskalt werden müssen, wäre er nur etwas nüchterner gewesen.
In ihrem Roman Babylon bleibt Yasmina Reza ihrem Stil und Thema treu. Jetzt könnte man ihr vorwerfen, sie sollte doch mal von ihrem Muster abweichen und etwas Neues ausprobieren. Aber warum ändern, was gut funktioniert? Auch Babylon ist gut durchdacht, funktioniert dramaturgisch einwandfrei, auch wenn es keine Überraschungen gibt. Die Dialoge sind dabei der Höhepunkt des Romans, aber ebenso kommen auch einige komische Momente nicht zu kurz. Wer von Yasmina Reza und ihrer Kunst der Eskalation noch nicht genug hat, wird auch mit Babylon seine Freude haben.
[…] Nach der Frühlingsfeier steht mitten in der Nach Elisabeths Nachbar vor der Tür und bittet sie und ihren Mann um Hilfe: Er hat seine Frau erwürgt und weiß nicht, was er tun soll. Wie wird Elisabeth reagieren? In ihrem Roman Babylon bleibt Yasmina Reza ihrem Stil und Thema treu. Jetzt könnte man ihr vorwerfen, sie sollte doch mal von ihrem Muster abweichen und etwas Neues ausprobieren. Aber warum ändern, was gut funktioniert? Auch Babylon ist gut durchdacht, funktioniert dramaturgisch einwandfrei, auch wenn es keine Überraschungen gibt. Die Dialoge sind dabei der Höhepunkt des Romans, aber ebenso kommen auch einige komische Momente nicht zu kurz. Wer von Yasmina Reza und ihrer Kunst der Eskalation noch nicht genug hat, wird auch mit Babylon seine Freude haben. Die gesamte Rezension findet ihr hier. […]
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