Der Literaturprofessor Samuel Anderson muss sich unfreiwillig auf die Suche nach der Lebensgeschichte seiner Mutter machen, nachdem diese einen republikanischen Gouverneur vor laufender Kamera mit Steinen bewirft. Nathan Hills Roman Geister bewegt sich zwischen vielen verschiedenen Themen und verliert dabei den Fokus.
Das Leben des Literaturprofessors Samuel Anderson ändert sich schlagartig, als er den Anruf eines Anwalts erhält, der seine Mutter vertritt. Diese hatte Samuel während seiner Kindheit verlassen und seit zwanzig Jahren besteht kein Kontakt mehr. Nun wird ihr vorgeworfen, einen potentiellen Präsidentschaftskandidaten mit Steinen beworfen zu haben – und das vor laufender Kamera. Für Samuel ist es die Chance endlich zu verstehen, was damals geschehen ist und wer seine Mutter wirklich ist.
Samuel ist zu Beginn des Romans ein gelangweilter Professor für Literatur an einer unbedeutenden Universität. Die Studierenden, die seine Kurse besuchen, sind größtenteils unmotiviert und ohne großes Interesse an Literatur. Seine eigenen schriftstellerischen Ambitionen sind nach einem ersten Erfolg mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Statt Bücher zu schreiben, verbringt er seine Zeit lieber in einem Online-Rollenspiel. Erst der Anruf des Anwalts seiner Mutter reißt ihn aus seinem öden Alltag. Sie soll einen Politiker angegriffen haben und nun hofft der Anwalt, dass Samuel für sie bürgt und so den Richter milder stimmen kann. Gleichzeitig verlangt Samuels Verleger Periwinkle den Vorschuss für Samuels Buch zurück, da dieser seit Jahren keine Seite geliefert hat. Blöd nur, dass Samuel das ganze Geld bereits ausgegeben hat. Also bietet er dem Verlag an, ein Enthüllungsbuch über seine Mutter, die als „Packer-Attacker“ überall in den Medien ist, zu schreiben. Eigentlich eine Ausgangssituation, aus der sich ein spannender und interessanter Roman entwickeln könnte. Doch leider verliert sich Nathan Hill in Details und langen Beschreibungen, die das Lesen unnötig in die Länge ziehen und verstrickt sich in unwichtigen Nebensächlichkeiten.
Kaum dass sie den Fernseher einschalteten, sahen sie in den Nachrichten Bilder von einer weiteren verdammten humanitären Krise, von einem weiteren gottverdammten Krieg an einem gottverdammten Ort, sahen Bilder von verwundeten Menschen und hungernden Kindern und empfanden eine schreiende, bittere Wut auf diese Kinder, weil sie in die einzigen Momente der Entspannung eindrangen und die wenige Zeit zerstörten, die ihnen vom Tag noch blieb.
Nachdem ich Geister zu Ende gelesen hatte, habe ich mich gefragt, was Nathan Hill hier eigentlich erzählen will. Eine Familiengeschichte? Oder eine schwierige Mutter-Sohn Beziehung? Vielleicht auch eine Art Medien- und Gesellschaftssatire? Gesellschafskritik? Nichts von all dem oder alles zusammen? So ganz schlüssig bin ich immer noch nicht. Spuren von all dem habe ich aber auf jeden Fall gefunden. Aber keinen wirklichen Fokus, alles läuft nebeneinander her und verliert sich letztlich in Details. Das ist mir besonders an den Nebenfiguren aufgefallen. So wird die Geschichte von einem Online-Spieler erzählt, der sich in derselben virtuellen Welt bewegt wie Samuel, die dermaßen übertrieben und klischeehaft daherkommt und dazu kaum etwas zu Samuels Leben beiträgt. Die Schilderungen eines dicken Mannes, der aufgrund seiner Online-Sucht seine Frau verliert, sich verschuldet, in der virtuellen Welt gleichzeitig der beste Spieler ist, sich natürlich schlecht ernährt und sich jeden Tag schwört, dass nun alles anders wird, wirkt hier völlig fehl am Platz. Ebenso die Studentin, die offensichtlich betrügt, sich gleichzeitig für unheimlich wichtig hält und letztlich Samuel seinen Lehrstuhl kostet. Beide Figuren wollen mit ihrer Überzeichnung überhaupt nicht zum Rest des Romans passen.
Ein anderes Problem für mich war, dass Nathan Hill scheinbar nichts dem Zufall und der Vorstellungskraft des Lesers überlassen will. Gerade am Ende, als es um die Ereignisse in der Stadt Chicago im Jahr 1968 geht, wird alles aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt und bis ins kleinste Detail geschildert, so dass ich als Leser überhaupt keinen Platz mehr für eigene Gedanken und Bilder hatte. Es war einfach schon alles da und musste auch nicht mehr durchdacht oder nach und nach verstanden werden. Hier wird mir jeder Gedanke und jede Gefühlsregung der Figuren sofort mitgeteilt.
Und wenn Chubby Checker singt: Take me by my little hand and go like this – Nimm mich bei meiner kleinen Hand und mach es so, erklärt er ihrer Generation, wie sie auf das reagieren sollen, womit sie konfrontiert werden – den Krieg, den Wehrdienst, die sexuellen Verbote. Er sagt, dass Gehorsamkeit die Lösung ist.
Dabei ist längst nicht alles schlecht an Geister. Vor allem die Lebensgeschichte von Samuels Mutter Faye wird sehr facettenreich und lebendig dargestellt. Tochter eines angepassten Einwanderers aus Norwegen, wächst sie in einem kleinen Ort auf, wo jeder jeden kennt. Sie träumt vom Dichter Ginsberg und heiratet schließlich Henry, den Vertreter eines Tiefkühlunternehmens. Hier werden anhand einer individuellen Biographie durchaus kritisch das Vorgehen und das Leben der Friedensbewegung dargestellt. Der Roman erzählt dabei auf drei Zeitebenen durcheinander. Zunächst Fayes eigene Jugend (1968), Samuels Jugend (1988) und die Gegenwart des Erzählens um den „Packer-Attacker“ (2011). Wie ein Puzzle setzen sich nach und nach die unterschiedlichen Ebenen zu einem Bild zusammen, das anhand von Samuels Familie auch ein stückweit die jüngere amerikanische Geschichte von der Bewegung der 68er bis zur Occupy Wall Street betrachtet.
Und auch stilistisch kann Nathan Hill überzeugen. So ist zum Beispiel der Einfall, ein Kapitel als Wähle-dein-eigenes-Abenteuer-Geschichte zu schreiben, durchaus originell und bietet Abwechslung. Ebenso gelingt es ihm, glaubhaft unterschiedliche Sprachebenen zu bedienen und auch die verschiedenen Stimmungen des Romans in die richtigen Worte zu fassen.
Manchmal ist nicht der Schmerz das, wovor wir fliehen, sondern die Ungewissheit.
Selten fiel es mir so schwer, mir eine klare Meinung zu einem Buch zu bilden, wie bei Nathan Hills Geister. So stören mich auf der einen Seite die Längen, die unnötigen Nebenschauplätze sowie das Ansprechen von verschiedenen Themen, die alle nebeneinander laufen, ohne dass ich das Gefühl habe, dass sie wirklich zu Ende gebracht werden. Auf der anderen Seite gelingt es aber auch, stilistisch anspruchsvolle, spannende Geschichten zu erzählen, die durchaus ihre komischen Momente haben.
Hallo :)
Eine tolle Rezension, mir gefällt die Aufmachung richtig gut!
Schade konnte dich aber das Buch nicht komplett überzeugen, das Cover hingegen ist richtig interessant :D
LikeGefällt 1 Person
Die Verbindung zwischen den Personen lag für mich in der Frage nach der persönlichen Gestaltung der Zukunft des eigenen Lebens. Was mache ich aus meinem Leben? Ich glaube,
LikeGefällt 1 Person
…uppps….war noch nicht fertig !
…Hill will darstellen, dass man es unabhängig von seinen sozialen Verhältnissen trotzdem selbst in der Hand hat, wie man sein Leben entscheidend gestaltet und das man in bestimmten Situationen Ja oder Nein sagen kann. Soweit habe ich das für mich „herausgelesen“.
LikeGefällt 1 Person
Da würde ich auf jeden Fall zustimmen. Aber für meinen Geschmack waren gerade manche Nebencharaktere so platt, dass es überhaupt nicht zur Darstellung von Samuel und seiner Mutter gepasst hat.
LikeGefällt 1 Person