Tommy Orange – Dort dort

Tommy Orange Dort dort Rezension Roman

Zwölf Geschichten geschickt verwoben durch ein alles veränderndes Ereignis: Tommy Oranges Debüt Dort dort befasst sich mit der Native American Community in Oakland.

In Oakland soll zum allerersten Mal ein Powwow stattfinden, eine große Feier der Native American Community, bei der man zusammenkommt, teils von weit her anreist, tanzt, isst, sich zurechtmacht, Traditionen aufrecht erhält und sich austauscht. Hier laufen auch die Schicksale zwölf verschiedener Personen zusammen, die alle das Powwow besuchen oder es organisieren: unter anderem Edwin, der hier ein Praktikum macht, Blue, die Vorsitzende des Powwow-Kommittees, Dene, der einen Dokumentarfilm drehen möchte, Orvil, der durch den Tanz zu traditioneller Musik endlich mit seinen Wurzeln in Verbindung kommt, und Tony, der junge Mann mit dem Fetalen Alkoholsyndrom und der unkontrollierbaren Wut.

Opal and Jacquie’s mom never let them kill a spider if they found one in the house, or anywhere for that matter. Her mom said spiders carry miles of web in their bodies, miles of story, miles of potential home and trap. She said that’s what we are. Home and trap.

Dort dort orientiert sich an seiner immer wieder auftauchenden Spinnenmetaphorik und ist selbst wie ein einziges großes Spinnennetz – er startet zunächst großflächig mit vielen unterschiedlichen Charakteren, doch je weiter er voranschreitet, desto enger wird das Netz. Geschichten verknüpfen sich miteinander, immer mehr, und am Ende laufen alle Fäden beim Big Oakland Powwow zusammen. Ebenso hält der Autor es wie Dene Oxendene, dessen cineastisches Projekt scheinbar ohne konkretes Ziel vorgeht: Dene möchte die Leute aus seiner Community filmen und erzählen lassen, um möglichst viel zu erfahren, möglichst viele Lebens- und Denkweisen sichtbar zu machen. Sein Ziel ist es, ein großes Spektrum der Native Americans zu porträtieren, und Orange scheint es ihm gleichzutun.

Wir begegnen zwei Frauen, die bei der Besetzung von Alcatraz durch die Native Americans in den Jahren 1969 bis 1971 dabei waren, wir lernen Jungs kennen, die fast nichts über ihre Wurzeln wissen und ein unterschiedliches Interesse daran entwickeln. Wir begleiten einen jungen, orientierungslosen Mann auf der Suche nach seinem Vater, welcher ein Native American sein soll, und müssen gleich in mehreren Fällen häusliche Gewalt gegen Frauen aus der Native American Community miterleben. Es wird getrunken, es wird mit Drogen gedealt, es werden Waffen mit Hilfe eines 3D-Druckers hergestellt. Aber genauso werden Geschwister geliebt und beschützt, Familien zusammengeführt und Vorfahren geehrt.

Some of us got this feeling stuck inside, all the time, like we’ve done something wrong. Like we ourselves are something wrong. Like who we are deep inside, that thing we want to name but can’t, it’s like we’re afraid we’ll be punished for it. So we hide. We drink alcohol because it helps us feel like we can be ourselves and not be afraid.

Zwischendurch, muss ich gestehen, war es nicht ganz leicht, den Überblick zu behalten. So viele Perspektiven, so viele Figuren, und immer folgt man ihnen nur wenige Seiten am Stück. Besonders die jungen Männer Carlos, Charles und Calvin sowie Dene und Daniel haben mich zeitweise durcheinander gebracht. Je näher das Powwow rückt, desto kürzer und hastiger werden auch die Kapitel, es folgen schnelle Szenewechsel, die das Tempo im letzten Drittel erheblich steigen lassen. Sind die Einführungen der zwölf Figuren noch langsam, stellenweise humorvoll und geben viele Hintergrundinformationen zu den einzelnen Personen und Familien, wird es zum Ende hin deutlich düsterer und brutaler, bis es in einem schmerzhaften Höhepunkt gipfelt.

Der gesamte Roman umspannt Themen wie Identität, Familie, Vorfahren, Wurzeln, Geschichte und Traditionen. Die meisten der Figuren sind verloren, zwischen Tradition und Moderne, zwischen den Kulturen. Sie sind auf der Suche nach ihrer Identität als „Urban Indian“, in Familien, die sich mehr und mehr von den alten Bräuchen und Lebensweisen lösen. Aber er handelt auch vom Zusammenhalt, vom Kampf gegen die Einsamkeit und für die Sichtbarkeit in der amerikanischen Gesellschaft.

You walked into the room and, just as you did, they started singing. High-voiced wailing and howled harmonies that screamed through the bottom of that big drum. Old songs that sang to the old sadness you always kept as close as skin without meaning to. […] This was what it sounded like to make it through these hundreds of American years, to sing through them. This was the sound of pain forgetting itself in song.

Tommy Oranges Roman Dort dort erzählt mal locker, mal ernsthaft bis deprimierend vom Verlust und vom Vergessen, vom Trauma und Verdrängen, von Träumen und der Hoffnung, nie klischeehaft, aber immer spannend. Ein ambitioniertes wie beeindruckendes Debüt über eine marginalisierte Community, die in den Medien und der Kulturlandschaft nach wie vor unterrepräsentiert ist.

To dance as if time only mattered insofar as you could keep a beat to it, in order to dance in such a way that time itself discontinued, disappeared, ran out, or into the feeling of nothingness under your feet when you jumped, when you dipped your shoulders like you were trying to dodge the very air you were suspended in, your feathers a flutter of echoes centuries old, your whole being a kind of flight.

Weitere Besprechungen findet ihr bei Lesen in vollen Zügen, Literaturreichsowie schiefgelesen.

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