Im April hatten wir recht viel Zeit zum Lesen – und, wie ihr sehen könnt, mehr Lust auf Sachbücher als bisher. Von denen waren zwar nicht alle gleich überzeugend, dafür konnten uns aber vier der fünf Romane begeistern.
Margarete Stokowski – Die letzten Tage des Patriarchats
In diesem Buch sind 75 Texte versammelt, einige Essays, die meisten aber Kolumnen aus der taz und von Spiegel Online, die zwischen 2011 und 2018 erschienen. Stokowski schreibt locker, witzig und klug über Themen wie Rechtspopulismus, Sexismus, Gewalt, Machtverhältnisse, Privilegien und Gerechtigkeit. Einige wenige der Texte kannte ich bereits, aber da ich ihre Kolumne nicht rigoros wöchentlich verfolgt habe, war mir glücklicherweise vieles neu. Ich muss sagen, dass gerade diese Fülle von Informationen, Diskussionen und Reaktionen für mich dazu geführt hat, erst recht wütend, betroffen und fassungslos zu werden. Eine grandiose Zusammenstellung!
James Baldwin – Giovannis Zimmer
In den Fünfzigerjahren lernt der Amerikaner David in Paris Giovanni kennen. Die beiden beginnen eine Affäre, die in David sowohl Verlangen als auch Scham auslöst. Als Davids Verlobte zurückkehrt, stößt er Giovanni zurück, in der Hoffnung, sich selbst damit zu retten. Der 1956 veröffentliche Roman wurde zu einem der wichtigsten Werke Baldwins. Auf eindringliche Weise schildert er den inneren Kampf von David und erstellt ein beeindruckendes Psychogramm, in dem David mit seiner Identität und Selbstachtung kämpft. Keine einfache Lektüre, aber immer noch aktuell und eindringlich.
Haruki Murakami – Kafka am Strand
Kafka Tamura erhält von seinem Vater eine dunkle Prophezeiung und verschwindet kurz darauf von Zuhause. Er flieht vor dem, was er womöglich tun könnte, und begibt sich auf die Suche nach seiner Mutter, die ihn als Kind verließ. Zeitgleich regnet es Fische und Blutegel, der alte Nakata legt sich mit dem Katzenfänger Johnny Walker an, Gegenwart und Vergangenheit beginnen zu verschmelzen. Kafka am Strand ist einer von Murakamis forderndsten Romanen, was an all den verrückten, magisch-realistischen Elementen, aber auch an der inzestuösen Thematik liegt. Nichtsdestotrotz hat er mich komplett in seinen Bann gezogen, was vor allem an den wundervoll herausgearbeiteten Figuren, dem Humor und dem wunderbar surreal-traumhaften Gefühl lag, das einen auch noch lange nach der letzten Seite begleitet. Hier findet ihr eine detaillierte Besprechung.
Benjamin Myers – Offene See
Der Roman erzählt eine klassische Coming-of-Age Geschichte, in der Robert nach dem Ende seiner Schulzeit auf die ältere Dame Dulcie trifft, die ihn aufgrund ihrer Ansichten und Art zu leben, seine bisherigen Pläne überdenken lässt. Offene See lebt vor allem von den metaphernreichen Naturbeschreibungen, die zum Schwelgen einladen. Die Handlung dagegen ist vorhersehbar und letztlich auch nicht tiefgehend. Zur ausführlichen Rezension gelangt ihr hier.
Amélie Nothomb – Kosmetik des Bösen
Ein Mann wartet am Flughafen auf Grund einer Verspätung auf seinen Flieger – und plötzlich setzt sich ein aufdringlicher Holländer neben ihn. Was zunächst noch nach einer halbwegs bekannten Situation klingt, nimmt schnell immer abstrusere Züge an: der Quälgeist ist nicht nur eloquent, sondern auch verrückt und gewalttätig. Nothomb überzeugt hier mit einem amüsanten und schockierenden Dialogroman über das Böse im Menschen. Ein herrlich düsteres Buch mit einem absolut überraschenden Ende. Wir haben den Roman bereits rezensiert.
Paolo Giordano – Den Himmel stürmen
Teresa verbringt den Sommerurlaub bei ihrer Großmutter in Apulien, wo sie die Nachbarsjungen Bern, Tommaso und Nicola kennenlernt. Zwischen ihr und Bern entwickelt sich eine Beziehung. Und im Verlauf der folgenden Jahrzehnte kreuzen sich immer wieder ihre Wege. Doch es wird niemals wie im ersten Sommer. In Rückblenden erzählt Teresa von ihren Erinnerungen und der gemeinsamen Sinnsuche. Bern wird zu einer Art Überfigur, gegen welche die anderen klein und blass wirken. Gespickt mit vielen intertextuellen Verweisen auf die Bibel entwickelt sich ein komplexes Geflecht von emotionalen Abhängigkeiten, das nur stellenweise von manchen zu dramatischen Handlungen gebrochen wird.
Mary Beard – Frauen und Macht
Dieses Buch beinhaltet zwei Vorträge der Historikerin, die Alte Geschichte an der Cambridge University lehrt. Sie veranschaulicht, wie schon im alten Griechenland Frauen zum Schweigen gebracht wurden und sich männliche Machtstrukturen etablierten, denen wir Menschen heute noch folgen. Durch viele historische Beispiele und Analysen zeigt Beard, dass unser heutiges Verhalten und Denken in sehr alten Mustern verwurzelt ist – und fordert uns alle dazu auf, diese neu zu überdenken. Ein Manifest würde ich es nicht direkt nennen, auch die von der Presse attestierte Sprengkraft habe ich nicht gespürt, aber es ist ein interessanter Exkurs in die Anfänge des Patriarchats, eine gute Hintergrundlektüre für alle, die sich mit dem Thema Feminismus befassen möchten.
Sophia Amoruso – #Girlboss
Sophia Amoruso, die Gründerin des Modeunternehmens Nasty Gal, schreibt ihn diesem Buch über ihren weg an die Spitze. Sie berichtet von Nebenjobs, Außenseitertum, vom Introvertiertsein und den daraus resultierenden Stärken. Sie appelliert an positives Denken und daran, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, anstatt nur zu abwarten, dass etwas passiert. Laut Amoruso gibt es für jeden einen Weg, den man nur finden muss. Auch wenn einiges klischeehaft amerikanisch klingt, ist das Buch durchaus locker, amüsant und unterhaltsam geschrieben. Ich mochte den Fokus auf der Bedeutsamkeit von Anderssein/Besonderssein, die eingestreuten Kurzporträts von Unternehmerinnen sowie die Zitate zur Inspiration. Nach der Lektüre habe ich zwar keine brennende Lust bekommen, mein eigenes Unternehmen zu gründen, durfte aber eine interessante Frau kennenlernen, die sich ihren Erfolg mit Leidenschaft hart erarbeitet hat.
„Alter your clothes all you want, but don’t you dare alter your inner freak – she’s got your back as much as I do.“
Das nenne ich mal einen abwechslungsreichen Büchergeschmack. :D Ich muss sagen, dass ich „Die Einsamkeit der Primzahlen“ von Paolo Giordano sehr, sehr toll fand und mich „Den Himmel stürmen“ dagegen etwas enttäuscht hat. Vielleicht bin ich aber auch einfach nicht bibelfest genug, um die Anspielungen zu verstehen. :D Kafka am Strand steht allerdings auch schon lange auf meiner Wunschliste, danke für die Erinnerung. :)
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