Lawrence Osborne macht die Insel Hydra zum Schauplatz menschlicher Abgründe. Welch schöne Tiere wir sind entwickelt sich zu einem beklemmenden Thriller.
Ihre Sommerferien verbringt Naomi auf der griechischen Insel Hydra, in der Residenz ihres Vaters, der im Kunstgeschäft tätig ist. Während des heißen Sommers lernt sie Sam kennen und bei einem ihrer Ausflüge auf die andere Seite der Insel finden sie einen ungepflegten Mann, ein Flüchtling aus Syrien. Naomi kümmert sich um Faoud und setzt so eine Kette von folgenreichen Ereignissen in Gang.
Alkohol, Hitze und Langeweile. Was für Sam und Naomi ruhig beginnt, entwickelt sich nach und nach immer mehr wie ein Thriller. Bereits in seinem letzten Roman Denen man vergibt hat sich der Schriftsteller Lawrence Osborne mit menschlichen Abgründen auseinandergesetzt. In Welch schöne Tiere wir sind ist nicht die marokkanische Wüste Schauplatz der Handlung, sondern eine knapp 60 km² große griechische Insel. Naomi ist unnahbar, schön, reich und kennt Hydra fast so gut wie die Einheimischen. Gemeinsam mit ihrem Vater und der Stiefmutter, mit der sie ständig aneinandergerät, verbringt sie die Sommermonate auf Hydra. Die Langeweile und der Überdruss werden erst von Sam und ihrer Familie und kurz darauf von einem syrischen Flüchtling aufgehoben.
Es ist seltsam, dachte er später, als er aufgestanden war und im Speisesaal seinen Kaffee trank, denn unter allen Kreaturen, die atmen und sich auf der Erde tummeln, existiert keine, die schwächer ist als der Mensch.
Von Beginn an erzeugt Osborne eine Atmosphäre, in welcher der Überdruss ständig eine untergründige Gefahr ausstrahlt. Spätestens als Naomi den Syrer Faoud dazu anstiftet, in das Haus ihres Vaters einzubrechen, ist klar, dass hier etwas gewaltig schief läuft. Naomi hat bereits in jungen Jahren ihre Mutter verloren und empfindet für ihre Stiefmutter vor allem Verachtung. Gleichzeitig staut sich in ihr auch auf ihren Vater eine immer stärkere Wut an. Während sie selbst vom Reichtum profitiert, lehnt sie das Leben ihres Vaters und seiner Bekannten ab, die aus ihrer Sicht ihren Wohlstand nicht verdient haben. Negativ formuliert entdeckt Naomi die Nächstenliebe aus purem Überdruss.
Sie war die Retterin, und sie genoss die Rolle. Durch sie fühlte sie sich auf eine neue Art lebendig. Ein anderes Leben zu retten: Das war nicht nichts. Es war eine großartige Errungenschaft, aber doch eine kleine Machtverschiebung in Richtung der Schwachen.
Trotz aller Vorbereitung und der Überzeugung von ihrem richtigen Handeln mündet Naomis Plan in einer Katastrophe, der sie ebenso kühl wie rational begegnet. Während im ersten Teil des Romans in einem beschaulichen Tempo das Leben der Reichen auf Hydra und ihre Versuche, die Zeit totzuschlagen, beschrieben wurde, kippt die Geschichte immer mehr Richtung Thriller. Während vordergründig alles seinen gewohnten Gang geht, stehen nun Themen wie Sühne, Schuld und Amoral im Vordergrund. In beklemmender Weise gelingt es Osborne, seine Protagonistin dabei zu zeigen, wie sie ihr Leben einfach weiter führt, als wäre nichts passiert. Es sind allein ihre Entscheidungen, welche die folgende Handlung auslösen und dennoch ist Naomi seltsam unbeteiligt und emotionslos.
Das Leben war voll von solchen Menschen. Man wusste nichts über sie, obwohl sie einem eine Zeit lang fast unersetzbar schienen. Sie waren Sternschnuppen, die einen strahlenden Moment lang aufflammten, den Himmel gar einige Sekunden lang erleuchteten und dann für immer verglühten.
Hydra erscheint im Roman wie eine paradiesische Insel, die plötzlich aus den Fugen gerät, obwohl es nur wenige Menschen überhaupt bemerken. Ein böser Traum Naomis, zwar mit folgenreichen Konsequenzen, die ihr aber scheinbar nichts anhaben können. Leider benutzt der Autor immer wieder Sprachbilder, die zwar auf den ersten Blick anders und ungewöhnlich wirken mögen, bei genauerer Betrachtung aber nicht besonders gut funktionieren. So werden Augen beschrieben, die „Soldaten“ sind, „bereit für die Schlacht und die dreisten Zweifel anderer“. Dagegen steht die dichte Atmosphäre, gerade zu Beginn, aber vor allem die Tiefe, mit der die Psyche der Figuren ausgearbeitet wird.
Welch schöne Tiere wir sind mag am Anfang ruhig wirken, nimmt aber immer mehr Fahrt auf. Beklemmend sind die Darstellung der Hauptprotagonistin und ihre Reaktion auf die von ihr ausgelösten Ereignisse. Aber auch abseits der Handlung zeigt sich Lawrence Osborne souverän und beleuchtet mit Tiefe die Psyche seiner Figuren. Einziger Wermutstropfen sind vereinzelte Sprachbilder, durch die die literarische Ästhetik gestört wird.
Weitere Informationen zum Autor und seinem Werk findet ihr auf der Webseite des Piper Verlags.