Mit Kämpfen hat der norwegische Autor seine Reihe beendet und berichtet zum letzten Mal von seinem Leben, seiner Arbeit, seiner Frau, seinen Ängsten und seinen Kindern. Vor allem der essayistische Mittelteil dürfte wohl für gespaltene Meinungen sorgen.
Nun ist es also tatsächlich geschafft. Hunderte Seiten intensiver Auseinandersetzung mit sich selbst liegen hinter mir und der letzte Band von Karl Ove Knausgårds Min Kamp Reihe ist damit abgeschlossen. Kämpfen, so der Titel des Buches, verlangt vom Leser nochmal einiges, besonders im Mittelteil. Zeitlich setzt das Werk kurz vor der Veröffentlichung des ersten Romans (dt. Titel Sterben) an und zeigt Knausgårds hier noch als einen Autor, der zwar bereits erfolgreich im Literaturbetrieb etabliert ist und auch mit Preisen ausgezeichnet wurde, aber weit davon entfernt ist, der literarische Star zu sein, der er heute ist.
Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung kannten nur Knausgård selbst, der Verlag und ein ausgewählter Freund, Geir Angell, der wohl für die Entstehung immens wichtig war und der auch Einfluss auf den Titel hatte, das neue Manuskript, das Knausgård berühmt machen sollte. Nach und nach schickt Knåusgard das Manuskript an Personen, die darin namentlich genannt werden und deren eigene Geschichte eine wichtige Rolle spielt. Es ist vor allem die Rückmeldung seines Onkels Gunnar, dem Bruder seines Vaters, die den Autor aus der Bahn wirft. Voller Verachtung und Hass beschimpft er Knausgård, wirft ihm Verleumdung, Geldgier und Lügen vor. Den Ursprung und auch die Schuld sieht Gunnar bei der Mutter, deren Ziel es sei, die Familie Knausgård zu zerstören.
Die Angst, jemand könnte auf mich böse sein, war die Angst des Kindes, sie gehörte nicht in die Welt der Erwachsenen, dort war sie tatsächlich unerhört, aber irgendwas in mir hatte diesen Schritt nie getan, war niemals erwachsen und abgehärtet worden, das Gefühl des Kindes lebte im Geist des Erwachsenen weiter.
Die Angst vor einem gerichtlichen Prozess und der damit verbundene Begegnung mit seinem Onkel lösen bei Knausgård eine solche Angst aus, dass sie ihn fast lähmt, er sogar darüber nachdenkt, das Projekt zu beenden und nicht zu veröffentlichen. Hier beginnt eine der spannendsten Prozesse in der gesamten Reihe, nämlich die Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk und der Frage der Rechtfertigung. Er beginnt eine intensive Klärung über seine Motivation, die eigene Biographie öffentlich preiszugeben und nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Familie zum Gegenstand seiner schriftstellerischen Arbeit zu machen. Neben den familiären Schilderungen nehmen Alltagsbeobachtungen und eigene Lektürebeobachtungen in diesem Band nochmal mehr Platz ein als in den vorigen.
Wie ein Bruch erscheint dann der Mittelteil des Romans. Knapp 500 Seiten, die sich größtenteils mit Hitlers „Mein Kampf“ auseinandersetzen, laut Knausgård dem „einzigen absoluten Tabu in der Literatur“. Und auch wenn es hart klingen mag, stellt sich mir die Frage, wer diese Seiten wirklich braucht? Sie fügen sich alles andere als harmonisch in das Buch ein und sind essayistisch gehalten. Der Titel wird hier für den Leser zum Programm, es ist anstrengend, sich hierdurch zu kämpfen. Neben der Jugend Hitlers wird über mehrere Seiten ein Gedicht von Paul Celan zum Holocaust interpretiert. Ein essayistischer Einschub, der von mir aus gerne ausgespart hätte werden können, zumal sich hier Sätze wie „Einige Bilder aus jener Zeit vermitteln eine nahezu überbordende Schönheit, wie das der Soldaten in Reih und Glied, aufgenommen in Augenhöhe, ein Meer aus Stahlhelmen, das sich vollkommen symmetrisch bewegt, der gleiche Mensch, bis ins Unendliche wiederholt“ finden. Problematisch ist hier für mich, dass der dahinter stehenden Ästhetizismus von Knausgård ebenso wenig hinterfragt wird, wie seine eigene Begeisterung. Dieser Teil wirkt eher wie eine wissenschaftliche Abhandlung, die alles andere als flüssig zu lesen ist und sich sehr zieht.
Dagegen wieder vielmehr gelungen ist das letzte Kapitel, das sich mit der psychischen Erkrankung von Knausgårds Frau Linda auseinandersetzt. Nachdem sie das Manuskript des Romans gelesen hat, der sich mit der Beziehung zwischen den beiden beschäftigt, kommt es zu einer Ehekrise. Linda, die bereit vorher psychisch sehr labil war, erleidet nun einen völligen Zusammenbruch, der für sie in der Klinik endet. Die Spannung zwischen den beiden, ihre Ausbrüche, ihr Verhalten und seine eigenen Gefühle schildert Knausgård mit einer solchen Intensität, die mich wieder daran erinnert haben, weshalb ich mich auch durch die Längen der vorigen Bände gekämpft habe.
[…] sie forderte so viel von mir, so unfassbar mehr als es je ein anderer Mensch getan hatte, und es war ihr nicht einmal bewusst. Manchmal war es so provozierend, dass es mich in einen Zustand versetzte, der an Wahnsinn erinnerte. Ich wurde so wütend, dass es nicht anderes mehr gab als diese Wut, ohne dass ich ihr freien Lauf lassen konnte, ich fraß sie in mich hinein, und die Ausstrahlung, die ich dann bekam, wenn die Wut sich in mir freisetzte und sich mit dem Körper vereinigte, wenn meine Bewegungen vor Zorn schwerfällig wurden, konnte natürlich mit Verachtung verwechselt werden. Nein, es war Verachtung.
Wie gewohnt spart der Autor hier nicht an privaten und intimen Details und lässt seine Leser ganz nah an seinem Leben und seinen Erinnerungen teilhaben. Das fragile Zusammenleben der Familie und alle Schwierigkeiten werden schonungslos und ohne Rücksicht offengelegt. Diese Schilderungen sind genau das, was mich bei Knausgård packen und gleichzeitig faszinieren kann. Er schildert Glück und Unglück, beschreibt seine Gefühle, sowohl die positiven als auch die unangenehmen und solche für die er sich schämt, direkt und offen.
Nach sechs Bänden stelle ich mir dennoch immer wieder die Frage, warum das Leben von Karl Ove Knausgård auf seine Leser eine solche Faszination ausübt. Vielleicht die Lust an einem gewissen Voyeurismus und der Drang, sich mit ihm zu identifizieren? Oder ist es die Darstellung des banalen Alltags? Denn letztlich findet hier wohl fast jeder Erlebnisse, die ihm bekannt sein dürften. Aufgrund der Verdichtung fühlt sich der Leser ihm stets verbunden und nah, obwohl wir ihm wohl längst nicht so nah kommen wie wir denken. Wie auch immer, eine abschließende Erklärung habe ich zumindest für mich noch nicht gefunden.
Will man in die Wirklichkeit eindringen, wie sie für den Einzelnen ist – und irgendeine andere Wirklichkeit gibt es nicht -, will man es wirklich, dann kann man keine Rücksicht nehmen. Und das tut weh. Es schmerzt, wenn keine Rücksicht genommen wird, und es schmerzt, keine Rücksicht zu nehmen. Dieser Roman hat allen in meiner Umgebung wehgetan, und er hat mir wehgetan, und in einigen Jahren, wenn sie groß genug sind, um ihn zu lesen, wird er meinen Kindern wehtun. Hätte ich ihn noch schmerzhafter werden lassen, wäre er noch wahrer geworden.